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ford-prefect
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Speak Easy – Diskussionsrunde über Böhse Onkelz, Frankfurt/Main, 17.11.2017

In der wechselhalften und gewiss nicht bloß glanzvollen Biographie der Böhsen Onkelz spielt die Frankfurter Hard’n’Heavy-Kneipe Speak Easy eine wichtige Rolle. In dieser schummrigen und verwinkelten Kaschemme, die sich in einer winzigen Sackgasse der Großen Rittergasse in einer kleinen Fußgängerzone im Stadtteil Sachsenhausen versteckt, direkt am südlichen Rand der Innenstadt unweit des Mainufers, hatten sich die vier hessischen Rocker früher regelmäßig getroffen, lange vor den großen Verkaufserfolgen. Vor dem Speak Easy wurde damals Andreas „Trimmi“ Trimborn, ein enger Kumpel der Band, im Juni 1990 erstochen. Ein traumatisches Erlebnis, das die Combo später in Songs wie „Nur die Besten sterben jung“ und „Das Messer und die Wunde“ verarbeitet hat. Gestern war im legendären Speak Easy der Journalist und Sachbuchautor Klaus Farin, ehemaliger Leiter des Berliner Archivs der Jugendkulturen, für eine Lesung zu Gast. Über die Onkelz, ein vielgestaltiges Thema, zu dem Experte Klaus Farin intensiv geforscht und publiziert hat. Im vergangenen Juni legte der jung gebliebene 59-Jährige erneut sein differenziertes Sachbuch über die Onkelz neu auf, in einem schwarzen Schuber und doppelbändig über seinen Verlag Hirnkost, das man im Speak Easy an einem Büchertisch kaufen konnte. Mit einem Preis von 34 Euro war mir die Box allerdings etwas zu teuer.

„Das erste Mal habe ich die Böhsen Onkelz um 1987 wahrgenommen“, erinnerte sich Gastredner Klaus Farin vor überschaubaren 15 Besuchern, die sich auf Barhockern an der Theke und auf Eckbänken verteilten. Auch ich dachte mir im Vorfeld: Die x-te Podiumsdiskussion über die Onkelz, braucht man das, vor allem, wenn man eh schon alle Fakten und Geschichten kennt? Doch der lockere Vortrag von Klaus Farin war wirklich fruchtbar und lohnenswert. Es war kein steifer Vortrag, sondern eine offene Unterhaltung, bei der man Zwischenfragen stellen durfte und an der ich mich wie bei einem verbalen Ping-Pong-Spiel lebhaft beteiligen konnte. Unter anderem erörterte Publizist Klaus Farin das Verhältnis zwischen den Toten Hosen und den Böhsen Onkelz, die ja lange Zeit eine scharfe Fehde miteinander ausgetragen hatten, ein erbitterter Streit, der seinen Höhepunk 1996 in dem Onkelz-Song „Ihr sollt den Tag nicht vor dem Abend loben“ erlebte, eine Anti-Hosen-Hymne. Inzwischen sei das Kriegsbeil zwischen den Onkelz und den Hosen begraben, beide Bands respektieren einander als gleichwertige Rockacts. Campino und Onkelz-Mastermind Stephan Weidner sollen sogar, wie Klaus Farin verriet, auf Ibiza gemeinsam eine kleine brüderliche Sauftour unternommen haben.

Anschließend räumte Farin, der sich ebenso bestens mit der Gothic- und Punk-Kultur auskennt, seinen Platz für den Zeitzeugen Andy Terror, ein alter Mann mit grauem Bart und tätowierten Händen, der mit dem Speak Easy als Türsteher aufgewachsen und ab Anfang der 1990er Jahre lange Bühnenarbeiter der Onkelz gewesen sei. Mit überwundener Drogen- und Alkoholvergangenheit. Bis Mitte der 1980er Jahre habe das Speak Easy ursprünglich „Zoo“ geheißen, überall an den Wänden sollen damals ausgestopfte Tiere gehangen haben. Lemmy sei mal im „Easy“ nach einem Motörhead-Auftritt plötzlich einmarschiert, ebenso wie Bruce Dickinson von Iron Maiden. Ihm und Klaus Farin hätte ich (mit meinem Faible für Nostalgie) noch ewig zuhören und Löcher in den Bauch fragen können, nach drei Stunden ging jedoch die Veranstaltung in den allgemeinen Kneipenbetrieb über mit lauter Rock-Musik auf der Anlage. Am heutigen Samstag, 18. November, findet der Onkelz-Vortrag gegen Abend noch mal im Speak Easy statt.

Publizist und Jugendkulturforscher Klaus Farin nach dem Onkelz-Vortrag in der Hard’n’Heavy-Kneipe Speak Easy

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Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!