Antwort auf: Stan Getz

#10318903  | PERMALINK

go1
Gang of One

Registriert seit: 03.11.2004

Beiträge: 5,625

Danke für den informativen Beitrag, Flurin!

Ich selbst kenne längst nicht so viele Getz-Alben. Meine persönliche Top 12 ist ziemlich Bossa-lastig: Mit dem überragenden Getz / Gilberto und den großartigen Alben mit Charlie Byrd, Luiz Bonfá und Laurindo Almeida ist schon ein Drittel meiner Liste gefüllt. Aus den 50ern wähle ich At the Shrine mit Bob Brookmeyer, West Coast Jazz mit Conte Candoli und Lou Levy und das Sextett-Album mit Cal Tjader; aus den 60ern noch, neben der Bossa Nova, Focus mit den Arrangements von Eddie Sauter und Sweet Rain mit Chick Corea; aus den 70ern Captain Marvel, wieder mit Chick Corea (1972 aufgenommen, aber erst 1975 veröffentlicht, ist das Album mit den frühen Return to Forever-Aufnahmen vergleichbar); und aus den 80ern schließlich die Aufnahmen mit Kenny Barron vom 6. Juli 1987 aus dem Café Montmartre in Kopenhagen (Anniversary und Serenity). Das Frühwerk von Getz ist da nicht repräsentiert; das kenne ich zu wenig.

nail75In den Linernotes zu den tatsächlich ganz fantastischen Roost-Recordings steht die heftigste Anklage, die ich jemals gegen einen Musiker in einem Text gelesen habe, der ihm ja eigentlich positiv gegenüberstehen sollte. Da steht: „Through the 1970s and 80s Getz continued to make bewitchingly beautiful music even as he left behind the wreckage of his life and the lives of his family. It is said that in his last year or so, Stan Getz found a semblance of peace. For his contribution to the art of the twentieth century he deserved it.“ Wow. Ich will eigentlich gar nicht wissen, was dahintersteckt.

Wenn Du es nicht wissen willst, erzähle ich es Dir erst recht. ;-) Ich vermute, dass da auf die Vorfälle von 1954 angespielt wird, als Stan Getz wegen seiner Heroinsucht für ein halbes Jahr in den Knast musste. Geplagt von Entzugserscheinungen, hatte er versucht, einen Drugstore zu überfallen, um Morphium zu erbeuten (mit einer Spielzeugpistole; seinen Revolver hatte ihm die Polizei von L.A. bereits im Vorjahr abgenommen; ein Verfahren war anhängig). Er hatte den Versuch allerdings abgebrochen und ist um eine Anklage herumgekommen (das halbe Jahr Knast war für Drogendelikte). Sein Selbstmordversuch, in der Nacht als er festgenommen wurde, ist zum Glück gescheitert, aber seine Ehe, belastet durch die Drogensucht und das unstete Leben des fahrenden Musikers, ist daran zerbrochen. Seine Frau Beverly hat sich von ihm scheiden lassen und ihre drei Kinder wurden voneinander getrennt und bei Verwandten untergebracht (als er 1956 erneut geheiratet hat, haben er und seine zweite Frau Monica das Sorgerecht für die Kinder von ihm und Beverly erhalten; das ist vielleicht auch relevant). Ansonsten galt Stan Getz allgemein als „schwieriger“ Charakter, launisch und ruppig im Umgang, der seine tiefsitzende Unsicherheit gerne mit Arroganz und Aggressivität überspielt hat. Monica Getz hat es aber immerhin rund 30 Jahre mit ihm ausgehalten. (Und uns als Hörern kann das ohnehin egal sein.)

--

To Hell with Poverty