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ford-prefect
Feeling all right in the noise and the light

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Slime – Kammgarn, Kaiserslautern, 21.10.2017

Mangelndes Sendungsbewusstsein kann man den fünf Hamburger Politrockern, die aufmerksam das politische Zeitgeschehen zu verfolgen scheinen und unverblümt kommentieren, weiterhin nicht vorwerfen. „Die Geschichte da draußen wiederholt sich. Die Faschisten sind in den Bundestag leider eingezogen“, bedauert Sänger Dirk Jora, der nordische Altpunk mit der grellblonden Starkstromfrisur. Im pfälzischen Kulturzentrum Kammgarn rumpeln Slime nicht oben im großen Saal, sondern unten im Keller im kleinen Cotton Club. „Ihr werdet heute Abend einiges vom neuen Album zu hören kriegen“, verspricht Sänger Dirk Jora. In Bezug auf die vor einem Monat auf dem Label „People Like You Records“ erschienene Platte „Hier und Jetzt“, das erste Studioalbum des rüden Quintetts von der Waterkant seit 1994. Wenn man die CD „Sich fügen heißt lügen“, auf der Slime anarchistische Gedichte des revolutionären Lyrikers Erich Mühsam vertont hatten, von 2012 nicht mitzählt. Das einzige Slime-Album, das ich besitze. Slime sprühen vor ungeahntem Schaffensdrang, was man dem gelungenen neuen Album anhört. Im Kammgarn bekommt das nicht übermäßig große Publikum frische Songs wie „Banalität des Bösen“, „Ich kann die Elbe nicht mehr sehen“ und, als punkrockige Analyse der NSU-Problematik, „Die Geschichte des Andreas T.“ auf die Lauscher. Bezogen auf Andreas Temme, den skandalträchtigen Mitarbeiter des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz. In ihren Gassenhauern stecken griffige und plakative Parolen, die manchmal feinere Grautöne vermissen lassen. Minimalistischer und schnörkellos dahingerotzter Urpunk im 1977-Style.

Seit jeher liefern Slime den Soundtrack für die autonome Szene und die Antifa. Das ist auch 2017 noch so. Dass die rauen Künstler die Hoffnung auf Besserung der sozialen Verhältnisse nicht aufgeben, drücken die fünf Schleimer, indem sich Slime selbst kritisch hinterfragen, in dem neuen und überraschend poppigen Stück „Unsere Lieder“ aus, wofür die Musiker sogar ihren persönlichen kommerziellen Erfolg und Ruhm opfern würden: „Mir wär‘ es lieber, unsere Lieder wären nicht mehr aktuell und niemand würde sie noch singen / Sie wären nur ein Zeugnis einer längst vergessenen Welt / Ich hätte lieber Unrecht“. Was im Cotton Club stört, ist dieser schwarze Metallpfosten, der mitten im vorderen Bühnenrand den Boden mit der Decke verbindet. Und somit die Sicht auf die Bühne behindert. Scheint jedoch ein tragender Pfeiler zu sein. Der Live-Sound im Club war allerdings ganz ausgezeichnet, klar und transparent, mit dem Gesang im Vordergrund und die krachenden Gitarren druntergemischt. Kompliment an den Live-Mischer. Oder eher an die moderne Veranstaltungstechnik?

Vor der Bühne springen junge Punker ungestüm herum, ein langer Typ rutscht plötzlich auf dem weißen Schaum eines zuvor umgekippten Bierglases aus und landet unsanft auf dem linken Arm. Lässt sich jedoch hinterher die Schmerzen nicht anmerken. Slime können auch akustisch auf Barhockern zupfen, was der Fünfer mit der Nummer „Gewalt“ demonstriert. Zwischendurch sprechen Gitarrist Michael „Elf“ Mayer und Sänger Dirk Jora die Ausschreitungen auf der Frankfurter Buchmesse vor einer Woche an: Ihrer Meinung nach hätte man die rechtspopulistischen Verlage wie Antaios und Manuscriptum gar nicht erst zur Bücherschau einladen dürfen. Deshalb widmen Slime, die selbst 2013 ihre Bandbiographie „Deutschland muss sterben“ im Heyne-Verlag herausgebracht hatten, dem Börsenverein des deutschen Buchhandels ihren Song „Linke Spießer“. In diesem Lied rempeln die Hamburger Urgesteine uncharmant das liberal-brave Bildungsbürgertum an. Nach 105 schweißnassen Minuten Auftritt war dann Schicht im Schacht.

zuletzt geändert von ford-prefect

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Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!