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Die letzten Tage am Zurich Film Festival – ich besuchte vier Vorstellungen, alle aus der tollen Reihe Neue Welt Sicht: Ungarn:
OUT (György Kristóf, Slowakei/Tschechische Republik/Ungarn, 2017)
Alles in allem die Enttäuschung unter den Filmen, die ich mitnahm … ein Roadmovie über einen Arbeiter, der entlassen wird, ins Baltikum fährt angelockt von einem Werbeprospekt einer Werft, die dann aber gar keine Leute zu suchen scheint … er kriegt dennoch einen Job, verliert ihn wieder, zieht umher, will Fischen gehen, lernt ein paar seltsame Leute und Gebräuche kennen: eine Frau, die ihm den ohrenlosen ausgestopften Hasen Lew vermacht, Nacktbier-Runden in der örtlichen Kneipe, von wo er schliesslich, wieder arbeitslos, mit einem bekloppten Russen mitfährt, der ihn nach Hause bringt in ein halbfertiges Haus, in dem er mit seiner totaloperierten Plastic-Frau lebt … klingt alles besser, als es ist, wobei ich nur eine grobe Ahnung habe, woran das liegen könnte: zuwenig lakonisch, zu dicht und zugleich zu langfädig … einfach nicht ganz gut genug, um wirklich toll zu sein, aber auch weit davon entfernt, schlecht zu sein.
KURZFILME AUS UNGARN (Ungarn, 2016)
DIALOGUE (Gábor Fabricius, 7′)
BEAUTIFUL FIGURE (Hajni Kis, 17′)
LOVE (Réka Bucsi, 15′)
GARAGE INVENTORY (Alyx Ayn Arumpac, 12′)
WELCOME (Balázs Dudás, 31′)
Ein sehr gemischtes Programm, bei dem mir v.a. die letzten zwei Filme wirklich gut gefielen. In „Dialogue“ werden – ohne Dialog – die Flucht eines ostdeutschen Paares 1989 mit einem Nigerianer auf der Flucht 2016 übereinandergelegt, hektisch geschnitten, etwas nervig, aber ganz ok. „Beautiful Figure“ wurde als „schöner Liebesfilm“ angekündigt, dabei ist es eine eher spooky Stalking-Story, in der eine Putzfrau einer Studentin näherzukommen versucht. „Love“ war der einzige Animationsfilm des Programmes, fing „meh“ an aber wurde doch ganz gut, schön gemacht jedenfalls und irgendwie auch ziemlich spooky – die Beschreibung aus dem Programm: „Ein Meteoriteneinschlag in einem entfernten Sonnensystem verändert die Atmosphäre eines pulsierenden Planeten. Durch den Wandel der Anziehungskräfte werden sich die tierischen Bewohner einander bewusst und vereinigen sich.“
Zur Sache ging es dann in „Garage Inventory“, von einem Stipendiaten gedreht, der die Garagen der Ungarn (in Österreich hat man Keller, in der Schweiz und anderswo Schrebergärten, in Ungarn eben: Garagen) unter die Lupe nimmt und dabei Bilder von der Art einfängt, wie man sie aus Filmen von Ulrich Seidl kennt … krasse Sache. Richtig krass dann aber der längste und mit Abstand heftigste Film am Schluss, in dem ein ungarischer Junge – der am Anfang des Films mit seiner Mutter aus dem serbischen Norden zurück zum Vater in Ungarn zieht – sich als „runner“ betätigt und Flüchtlingen über die Grenze zu schmuggeln hilft. Die Perspektive, die der Film einnimmt, gepaart mit der offensichtlichen Perspektivlosigkeit – das ist ein völlig anderes Europa, das mit der westeuropäischen nur sehr wenig am Hut hat – macht den Film sehr stark. Obendrein ist er aber auch schlicht gut gemacht.
1945 (Ferenc Török, Ungarn, 2017)
Ein unfassbar toller Film! Nach dem Krieg kehren zwei Juden, Vater und Sohn, zurück in ein Dorf in der Puszta. Sie kommen zu Fuss vom Bahnhof, nähern sich – halbwegs in Echtzeit, „High Noon“ lässt grüssen – dem Dorf, in dem gerade die Vorbereitungen für die Hochzeit des Sohnes des Bürgermeisters stattfinden. Die Kunde verbreitet sich bald, die Denunzianten und Profiteure (unter ihnen an vorderster Stelle der Bürgermeister selbst) geraten in Aufregung und beraten sich, derweil ihre Frauen das das gestohlene Silber verstecken … und die Juden kommen, hinter der Kutsche mit zwei Kisten voller Parfüm und Kosmetika herlaufend, langsam aber sicher näher. Zuviel sei nicht verraten, aber sowohl vom – wortkargen – Drehbuch und von den Bildern (Miklós Jancso – und irgendwie auch Béla Tarr – lässt grüssen), wie auch von der Musik und vom Casting her grossartig (der Bürgermeister sei ein bekannter Comedian, der alte Jude ein Tänzer etc. – der Regisseur war anwesend und rang um die richtigen englischen Worte, was leider zu oft nicht gelang, etwas schade dass man ihn nicht auf ungarisch interviewte und dann jeweils übersetzte).
WHITE GOD/UNDERDOG (FEHÉR ISTEN) (Kornél Mundruczó, Ungarn/Deutschland/Schweden, 2014)
Gestern als letztes dann doch noch die Chance, den verpassten „Underdog“ zu sehen, der hier regulär im Kino lief – toller Film!
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