Antwort auf: Pharoah Sanders

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vorgarten

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pharoah sanders‘ karriere im jahr 1977 fällt in zwei teile – eine ausgedehnte europatournee im quartett mit khalid moss (p), hayes burnett (b) und clifford jarvis (dm), wovon ein mitschnitt aus kopenhagen kursiert; und einen eintrag ins kapitel us-jazz nach dem jazz, mit norman connors und phyllis hyman für buddah records bzw. arista, bei dem zumindest ein neues album eingespielt wird, das viel geschmähte LOVE WILL FIND A WAY.

norman connors legt in interviews wert darauf, dass sein weg von der avantgarde hin zu r&b, disco und smooth jazz nicht den zwängen des marktes unterworfen war. selbst als er elvin jones bei coltrane vertreten hätte (wo er erstmalig auf sanders traf), sun ras drummer war, mit shepp und brown gespielt hätte, wäre er immer auch ein soul-fan gewesen. sein eigenes debüt DANCE OF MAGIC (u.a. mit hancock, bartz, mcbee und stanley clarke) erschien 1972 bei cobblestone, dem jazzableger von buddah. dahin wechselte er danach und wurde deren a&r manager, wo er mit der ersten und zweiten liga des jazz kommerzielle alben machte. mit den sängerinnen jean carne und phyllis hyman, aber auch mit post-miles michael henderson landete er einige r&b-hits, die man immer noch sehr gut hören kann, vor allem „valentine love“ und „you are my starship“ (1980 gab es noch den disco-hit „take me to the limit“, da war connors allerdings schon führender produzent bei arista, das 1978 den vertrieb von buddah übernahm).

auf der welle des erfolgs von „you are my starship“ (1976, mit henderson, gumbs, lee ritenour, hubert eaves, don alias und gary bartz) überredete connors sanders, für das nachfolgealbum ROMANTIC JOURNEY dessen „thembi“ neu aufzunehmen.

https://www.youtube.com/watch?v=uO8vs2rzo3M

mit bei dieser hollywood-session dabei sind u.a. ritenour (g) und jerry peters (p), die beiden co-solisten, mit denen sanders sehr unaufgeregt ideen tauscht, dominant ist daneben der e-bass von alphonso johnson. wir hören viel percussion, auch streicher, spaciges e-piano (wahrscheinlich eaves), versteckt auf diesen sessions hören wir noch reggie lucas, victor feldman, gary bartz (der dauer-solist von connors, der hier natürlich pausiert), george bohanon und oscar brashear, also lauter leute, die nach dem ende des us-jazz ein bisschen session-honorar gebrauchen können.

im geraden beat auf funky bass-vamp-basis, mit sanften streichern und komischen urwald-geräuschen, kommt das einfache thema von „thembi“ natürlich nochmal glatter rüber. sanders spielt sopran, sein ton ist natürlich schön, hat aber seine rauheiten und ecken. sanders wirkt nicht gerade dplaziert hier, seine harmonieseeligen linien sind ernst gemeint und werden auch hier und da überblasen, bewegen sich aber mit grazie im einfachen pop-arrangement, ohne es sprengen zu wollen. das stück fließt 5 minuten lang auf gleichem intensitätslevel, bis drums und percussion während des klaviersolos in double time wechseln und auch sanders nochmal zulegt.

auch bei der nächsten connors-session ist sanders dabei, diesmal für eine version seines „creators“, den connors schon ohne ihn auf „you are my starship“ eingespielt hatte (mit bartz und einem ziemlich coolen funky beat):

https://www.youtube.com/watch?v=0iFt9g5uiQc

die version mit sanders ist viel näher am original. sanders spielt tenor, es gibt ein rubato-intro und ein ziemlich wildes und auratisches solo. connors standard-pianist bobby lyle tut sein möglichstes, um etwas modalen jazz mit einem twist zu spielen, sängerin eleanor mills (und connors selbst) versuchen am ende sowas ähnliches wie das leon thomassche jodeln, und mühelos überführen sie alle gemeinsam das stück reibungslos in den pop, für den jazz nur noch eine farbe ist.

das wohl meist missverstandene und meistgedisste sanders-album überhaupt entsprang ebenfalls der connors-fabrik. die texturen sind üppig, sanders bleibt auf vergleichsweise brave soli beschränkt, 2 sachen davon landeten synergetisch noch auf einem phyllis-hyman-album, der closer, auf dem connors mitsingt, auf dessen album MELANCHOLY FIRE. das cover zeigt den pharoah von spitzen rotlackierten fingernägeln gehalten.

man tut LOVE WILL FIND A WAY allerdings ein bisschen unrecht, wenn man es nur als kommerzprodukt abtut. sanders ist durchaus umfassend involviert, hat auch die songs für frau hyman geschrieben, z.t. sogar die lyrics. es sind weggefährten dabei, kenneth nash, khalid moss, lenny white wechselt bei den etwas wilderen sachen an die drums. das ultrakitschige „love will find a way“ ist wirklich hübsch und selbstvergessen, auch das hyman-feature „love is here“ hat ein tolles tenorsolo. aber es gibt auch wirklichen quatsch hier, z.b. „got to give it up“ von marvin gaye mit partygeräuschen. und es wird schon sehr deutlich, dass das alles nicht 100%ig auf sanders‘ mist gewachsen ist, dafür ist auch „pharomba“, das am nahesten an seinen impulse-sachen dran ist, nur ein schwacher aufguss seiner trademarks.

22.7. 1978
die intensive umarmung durch connors zieht sich bis ins folgejahr 1978, als sanders mit der band des drummers in montreux auftritt. auf diesem album ist er auf drei stücken zu hören, die sich viel weiter in sanders‘ welt bewegen als die studiosessions. selbst connors‘ standardpianist bobby lyle wagt sich weit ins freie fach hinaus und am ende gelingt allen auf „casino latino“ eine ziemlich heiße version von sanders‘ „you’ve got to have freedom“.

aber zurück ins jahr 1977.

23.8.1977
der copenhagen-auftritt im quartett ist ziemlich spektakulär, vor allem, weil der pianist khalid moss auf eine klassischere weise traditionell spielt als z.b. bonner, und gleichzeitig mit clifford jarvis ein ungemein heißer drummer dabei ist, der sanders vielfältige angebote macht. den beginn macht eine 30-minütige version der neuen komposition „you’ve got to have freedom“, die erst auf einem kommenden album erstmals aufgenommen wird, seitdem aber ein klassiker im sanders-repertoire ist. das zweite stück hat allerdings eine hardbop-struktur, in der der pianist moss deutlich auflebt. sanders spielt ein paar changes mit, dann geht er in ein heißes duett mit jarvis über, das irgendwann interstellar-space-charakter annimmt. es gibt eine tolle unbegleitete phase, dann macht die band schön klassisch mit moss‘ solo weiter.

dass sanders wieder mit klassischen jazz-stücken flirtet, ist eine neue entwicklung. auf anderen mitschnitten der europa-tournee wurde mehrfach eckstines „i want to talk about you“ dokumentiert, einmal auch „my favorite things“. was genau dieses stück ist, hat bisher niemand herausgefunden (es scheint jedenfalls kein original zu sein):

das dritte stück fängt mit einem bass-solo von hayes burnett an (über den ich nicht viel weiß, auf den wildflower-sessions taucht er in der band von jimmy lyons auf), in das die band schließlich frei einsteigt, um am ende noch ein tolles solo auf gestrichenem bass zuzulassen.

danach kommt das wunderbare „harvest time“, hier in ein entspanntes, beseeltes stück modal jazz verwandelt, dass durch jarvis‘ begleitung durchgehend spannend bleibt. esfolgt ein schönes melancholisches solo von moss, dann steigt sanders wieder ein, der durchgängig „in“ spielt, ein schöner kontrast zu den freien sachen woher.

den abschluss bildet ein 20-minütiges freies stück, in dem sich eine percussionorgie, eine wilden kollektivimprovisation, ein schönes bass-solo, hymnische rubato-themen und eine geräuschstudie, bei der sanders ins horn ruft, glöcklichen klingeln, einander abwechseln – und dann kommt auf den letzten minuten tatsächlich der walzerrhythmus von „my favorite things“ (leider im sanders-solo abgeschnitten).

eine wirklich tolle band; die reaktionen auf die anderen europa-auftritte sind ähnlich enthusiastisch, dummerweise wurde das alles offenbar nirgends (paris, amsterdam, willisau, frankfurt,…) vernünftig dokumentiert.

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