Antwort auf: Violine im Jazz

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Svend Asmussen (1916-2017)

Ein eher beiläufiger Kauf vor zwei, drei Monaten … fiel mir gestern im Rahmen einer Unterhaltung über Geiger (Venuti, Grappelli) wieder ein und CD 1 lief schon gestern. Wie man in der AAJ-Kritik lesen kann, sind die ersten beiden CDs wirklich nicht geeignet, um zu verstehen, warum Asmussen als „force of nature“ galt (er starb im Februar 2017, wenige Tage vor seinem 101. Geburtstag). Im Gegensatz zu Grappelli zog Asmussen nicht pausenlos um die Welt, spielte aber seit den Dreissigern mit vielen Grössen des Jazz (er wirkte auch bei „Duke Ellington’s Jazz Violin Session“ mit). Dann erklärte er den Jazz für tot und trat in den Vierzigern und Fünfzigern mit Revues und Cabaret-Truppen auf … und das hört man eben den Stücken auf den ersten beiden CDs auch an – da ist er als Crooner zu hören, aber auch in durchaus guten Nummern. Der oft harte Bruch zwischen Qualität und Schmonzes ist beim Hören aber nicht immer leicht zu ertragen (er singt auch – die Aufnahmen auf CD 2 stammen allesamt aus Hamburg, 1953 und 1958 – „Just a Gigolo“ in der deutschen Version).

Interessanter wird es gewiss ab CD 3, auf der er mit Grappelli im Studio in Schweden 1965 und im Radiostudio in Dänemark 1964 zu hören ist (die Session von 1965 – den Grossteil der CD – gab es zuvor auf Two of a Kind, ob die restlichen Stücke, ungefähr 20 Minuten Musik, auch schon irgendwo drauf waren, weiss ich nicht). Auf CD 4 gibt es vier Stücke mit Stuff Smith (1966), die auch schon auf dessen Storyville-CD Five Fine Violins: Celebrating 100 Years von 2010 zu finden sind (die anderen drei dort zu hörenden Geiger sind Poul Olsen, Ray Nance und Soren Christensen), sowie eine Session aus dem Petit Opportun in Paris von 1985 mit dem Georges Arvanitas Trio (nur ein Stück ist auch auf der Storyville-CD zu finden, die davor schon diesen Aufnahmen gewidmet ist, die anderen drei sind neu). Auf CD 5 gibt es dann Aufnahmen von 1996 mit der Combo mit Jacob Fischer (g), Jesper Lundgaard (b) und Aage Tanggard (d). Eine DVD liegt auch noch bei, dort ist Asmussen mit den Regulars im Montmartre in Copenhagen zu sehen (Kenny Drew, NHOP und Ed Thigpen).

Eine Box mit drei CDs und einer DVD wohl, aber völlig wertlos sind die ersten beiden CDs doch nicht, Asmussen überzeugt immer mal wieder und die Begleiter sind völlig in Ordnung (Max Leth an Piano und Vibraphon etwa, oder der Gitarrist Ulrik Neumann, mit dem Asmussen Duo-Aufnahmen gemacht hat, in den Vierzigern wie auch 1958 in Hamburg).

Nachruf aus der WaPo – besonders schön diese Episode über Fats Waller:

In 1938, Mr. Asmussen’s quartet opened in the Danish city of Aarhus for the brilliant, hard-living stride pianist and composer Waller.

“During our set,” Mr. Asmussen later told the Wall Street Journal, “Fats stood in the wings and listened, with a bottle of milk in one hand and a bottle of scotch in the other. By the time we finished, both bottles were empty.”

CDs 3-5 liefen inzwischen auch und für sie lohnt die Anschaffung der Box in der Tat! Die Musik von 1996 (zuvor als Fit as a Fiddle veröffentlicht) präsentiert eine echte working band und der 80jährige Asmussen ist in bester Form (er spielte bis ins neue Jahrtausend hinein weiter) und benutzt sogar ein paar vorsichtige Effekte (ein Wah-Wah in „Groove Merchant“, dem Stück von Jerome Richardson). Und bei dieser Band bieten auch die Novelty-Nummern (ein charmantes Latin-Stück, eine Polka-Mazurka, was immer das sein mag) einiges Fleisch am Knochen.

Bisher kannte ich Asmussen eigentlich nur vom Album As Time Goes By mit Lionel Hampton, das ich damals eher zögerlich kaufte (es erschien 2004 in der kurzlebigen Sonet Reissue-Serie von Universal – zehn Alben kamen damals neu heraus, dann wurde das Unterfangen ohne weitere Veröffentlichungen eingestellt). Doch es überzeugte mich sofort sehr. Begleitet werden die beiden Co-Leader von NHOP (b) und Ed Thigpen (d), sowie auf dem Titelstück vom ansonsten als Produzent agierenden Rune Öfwerman (p). Auf dem Programm standen bei der Session im Mai 1978 Hampton/Goodman-Klassiker (Flying Home, Midnight Sun, Air Mail Special, Rose Room, Avalon) und eben das seltsame Titelstück, das obgleich so steif wie die Hauptdarstellerin durch „Casablanca“ berühmt wurde.

Duke Ellington’s Jazz Violin Session, die für Reprise eingespielt, aber erst einige Jahr verspätet veröffentlicht wurde, kannte ich zwar auch schon länger, aber das führte damals wie das Sonet-Album auch nicht dazu, dass von Asmussen mehr hören musste.

Die neue Box (sie erschien schon 2016) ist aber wohl gerade richtig dosiert, auch wenn man von den ersten beiden CDs wohl auch eine Auswahl von unter 80 Minuten hätte erstellen können (sie sind zusammen ca. 105 Minuten lang und man hätte da einiges streichen können).

Eine Überlegung wert sein könnte aber noch European Encounter mit John Lewis … kennt das zufällig irgendwer hier?

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