Antwort auf: Pharoah Sanders

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vorgarten

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1970

der pharaonische output umfasst in diesem jahr zwei eigene alben, sowie zwei mit alice coltrane, mit der sanders auch 1971 noch live unterwegs ist. es ist interessant, dass sie beide aus dem john-coltrane-universum eigene wege finden, durchaus im gleichen label („spiritual jazz“, wahrscheinlich mit großer schnittmenge unter den fans), aber mehr und mehr in sonischen parallelwelten. alice greift pianistisch verstärkt auf den blues zurück, hat aber auch die harfe entdeckt und fabriziert mit dem einbezug von tambura und oud drone-musik mit individualistischen spitzen, während sanders selbst bewegliche perkussive geflechte baut, in denen bläsersoli nur noch klangfarben sind.

26.1.1970
die ptah-session, in coltranes home studio aufgenommen, mit dem tollen tenorsax-satz sanders & henderson, dazu ron carter und ben riley.

ein wesentlich reiferes album als die trauerarbeit in einzelstücken auf A MONASTIC TRIO. auffällig, wie viel dunkler alices musik ist als der hippieske entwurf von KARMA und JEWELS. das funkelnde triostück „turiya and ramakrishna“ bleibt knietief im blues, die ambivalenten akkorde des titelstücks vermitteln eine ungreifbare melancholie, „mantra“ dront auf einem ton. letztere beiden profitieren von der inspirierten gegensätzlichkeit von henderson (suchend, virtuos, ein bisschen fremdelnd) und sanders (abstrakt, hymnisch, im ton fast für sich stehend). nach wie vor würde ich behaupten, dass sanders auf „mantra“ sein tollstes solo überhaupt spielt, mit einem enormen facettenreichtum, ungeheuer intensiv. das harfenstück „blue nile“ funktioniert darin bestens als schimmernder lichtblick, mit schönem interplay der beiden flötisten, natürlich auch das alles auf blues-grundlage.

1.7.1970
summun, bukmun, umyun. eine wilde trommelgruppe um die bass-vamps von cecil mcbee und das hymnische klavier von lonnie liston smith herum. und wenn gary bartz, pharoah sanders und woody shaw gerade nicht trommeln und rascheln und klappern, spielen sie kurze soli und kommentare auf ihren hauptinstrumenten (sanders allerdings auf dem sopransax), die für schöne abwechslung sorgen, sich aber nicht groß aus dem hintergrund nach vorne drängeln.

harmonisch ist das furchtbar simpel, aber man gerät automatisch in ein anderes hören, eine ziemlich glücklich machende trance (oder man schaltet ab und lässt es vorbeiplätschern). nichts schreit hier um aufmerksamkeit, keine individuelle stimme möchte gewürdigt werden, es gibt keine meistersoli oder dramatische zuspitzungen. die perkussion ist allerdings so toll verzahnt, dass eigentlich immer etwas neues passiert. und auch die kurzen bläserbeiträge bringen das statische bild immer an anderer stelle zum leuchten. clifford jarvis ist ein guter mann für eine polyrhythmische grundbewegung, aber es ist vor allem mcbee, der hier mehr sein will als funktional, eine handgemachte einzelstimme gegen resonanzen und drones behauptet, gerade und vor allem in seinem arco-spiel im zweiten stück.so wie sanders gelingt es ihm, hipness mit sentimentalität zu verbinden. was eben auch beweist, dass im sich immer mehr herauskristallisierenden sanders-konzept nicht die kollektive gleichförmigkeit an oberster stelle steht, sondern der individuelle beitrag dazu.

4.7.1970
alice und pharoah live im village gate, mit charlie haden und rashied ali – und mit vishnu wood, der hier nicht nur oud spielt, sondern alice in dieser zeit auch mit dem yogi und guru swami satchidananda bekannt macht, mit dem sie schließlich nach indien aufbrechen wird.

das 11’30 lange stück „isis and osiris“ ist eine tolle ausgedehnte sopransax-improvisation, erst nur über den klangfarben von oud und harfe, schließlich fällt rashied ali in einen rumpelbeat, der für mich zu den tollsten früh70er-jazzdiskografie-momenten überhaupt gehört. leider ist kein weiteres dokument dieses auftritts verfügbar, nur dieses eine stück durfte den closer zu JOURNEY IN SATCHIDANANDA bilden.

27.10. oder 8.11.1970
die studiosession kommt ohne oud aus, dafür gibt es eine tambura (gespielt von tulsi). und sanders hat mcbee (für haden) und majeed shabazz (perc) mitgebracht. die zeichen stehen auf indien, allerdings noch aus dem von john coltrane eingerichteten home studio aus entwickelt, was so weit geht, dass alice noch eine variation auf dessen „india“ einspielt. der knaller hier ist natürlich das harfengeprägte titelstück, mit seinem klang- und detailreichtum und dem hippen bass-vamp, und ein bisschen füllmaterial bis zum closer. sanders spielt wieder ausschließlich sopransax, wird dabei aber von der anlage der musik in eine wenig kaschierte john-coltrane-rolle gedrängt, muss über blues changes solieren und überhaupt die solistische hauptlast tragen. er macht das facettenreich, als der co-partner, als den ihn ja auch das cover auszeichnet, und fügt sich in die gegenüber seiner eigenen musik etwas komplexeren und geheimnisvolleren klang- und rhythmuswelten seiner ehemaligen bandkolleg_innen coltrane und ali ein.

25.11.1970
die erste THEMBI-session, für die lonnie liston smith ein fender rhodes im studio entdeckt und mit „astral travelling“ einen kozmigroove-klassiker entwickelt, über dessen butterweiche wolken sanders einen zarten sopransaxhimmel baut. mcbee ist wieder dabei, clifford jarvis auch, zusätzlich michael whites originelle 70er-jahre-jazzvioline.

im zweiten stück, „red, black & green“ packt sanders endlich mal wieder sein tenorsax aus, per overdub sogar doppelt, und die sanfte seligkeit der letzten aufnahmen wird auch noch mal kraftvoll fortgewischt. ein krawallsolo wie zu besten coltraneband-zeiten, allerdings eingerahmt durch hymnische akkorde und gesangliche linien, die er selbst dazuspielt. mit „thembi“ sind wir danach wieder in der 2-akkord-seligkeit, und sanders greift wieder zum sopran. smith spielt hier ein schönes solo und die verzahnung der linien von sanders und white ist auch sehr hübsch. gypsy hat es „kitsch“ genannt, ich würde es „pop“ nennen, aber es ist auffällig, welche generischen licks sich da plötzlich in sanders‘ spiel einschleichen. interessanterweise ist ja mit bill szymczyk auch ein rockproduzent beteiligt (was vielleicht die kanalwanderungen und overdubs erklärt, aber das hätte ed michel auch alleine hingekriegt).

12.1.1971
mit der zweiten THEMBI-session sind wir schon im folgejahr, haben den drummer ausgewechselt (haynes für jarvis), vermissen michael white und bekommen dafür wieder eine trommelgruppe (u.a. wieder mit majeed shabazz und nat bettis).

nach dem schon von gypsy herausgestellten tollen mcbee-solo-stück („love“), kommt ein superfunktionaler leichter groove, pharoah an der flöte und ein hervorragendes smith-solo. mir macht das großen spaß, weil es sich im gleichförmigen groove ständig neu schattiert, mal dreht die percussion ein bisschen frei, dann kommen ausbruchsakzente von mcbee, dann hat smith noch eine tolle solo-idee, dann wechselt sanders mit seinem tamburin kurz die gangart. sanders‘ tenorsound hat ein paar effekte dazu bekommen (mikrofon im schalltrichter?), außerdem kann er alle paar sekunden zwischen pop, aggression und hymne hin- und herschalten, wie es ihm gerade einfällt. im zweiten teil wechselt die band noch mal in eine art schnellen sambarhythmus und sanders liefert sich mit smith ein vogelschrei-duell. die tribalistische dschungelfantasie finde ich persönlich jetzt am kitschigsten, aber soche geschmacksgrenzen waren 1971 wohl noch nicht gezogen.

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