Antwort auf: Pharoah Sanders

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vorgarten

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14.1.1969

1969 ist ein wichtiges jahr für sanders. drei leadersessions, noch eine unter leon thomas‘ namen, und mit letzterem, cecil mcbee und lonnie liston thomas werden die weichen für das musikalische programm der nächsten jahre gestellt. die clifford-jordan-produktion für ein neues label, das es dann nie gab, macht den unscheinbaren anfang und wird auch erst 1973 auf tollivers und cowells strata-east-label veröffentlicht.

die working band von den europa-auftritten (liston smith, sirone, sharrock, majeed shabazz) wird ordentlich aufgefüllt (4 weitere percussionisten, ein weiterer bassist, sonny fortune und howard johnson als sparringpartner, und sanders gibt seine gesangsversuche an leon thomas‘ kompetente stimme ab). und obwohl jedes der drei stücke ein paar funkelnde details hat, ist die atmosphäre so gleichförmig entspannt wie auf PHAROAH’S FIRST und die vier-akkord-vamps mit den mantra-themen sind gesetzt. funkelnde details z.b. sind thomas‘ jodelverzierungen, das unironische (bye bye, dave burrell) hymnische spiel von liston smith, die zweistimmig vorgetragenen themen von fortune und sanders, das rhythmisch vertrackte intro von „balance“, die sich in kakofonien auswalzenden kollektivimprovisationen, die sich hin wieder quer ins mantra setzen (und in „balance“ schließlich übernehmen, insofern: falscher titel), und die hypnotischen, ungehetzten percussionorgien, die vor allem das fast halbstündige titelstück so faszinierend machen.

die musik ist sehr selbstverständlich und klar organisiert, sanders ist angekommen. und wenn man damit klarkommt, dass sich diese themen und akkordwiederholungen für immer festsetzen, entdeckt man von einem moment auf den nächsten noch lauter schöne flüchtige sounds, die sich gegenseitig herausfordern. alles reagiert aufeinander, ein exzess der resonanzen.

14./19.2.1969

pharoah sanders hat einen masterplan und bob thiele einen hit für impulse. weiter geht es mit der sanders&thomas-show, 4 akkorde auf 33 minuten, peace and happiness for all the land. wo „a love supreme“ sich über sein mantra emanzipiert und den existenzialistischen ruf des einzelnen zu seinem recht kommen lässt, ist hier das gerüst , der fluss, die kreisbewegung genug.

gypsy-tail-windInsgesamt wirkt das Album (von 1969) stärker aus einem Guss (was bei einem 33 minütigen Stück und einem kurzen Post Scriptum auch wenig wundert), Sanders hat ein paar sehr starke Moment und auch das ganze Getrommel, Gesinge und Gesumme passt hier besser. Dennoch (auch hier gewährte ich drei Durchgänge) schweife ich im Verlauf des Albums immer wieder ab, es fesselt mich nicht wirklich, mäandriert etwas zu stark… ganz böse könnte man von Ethno-Smooth-Jazz reden… die Tendenz Sanders‘ ist jedenfalls angebahnt und sollte in den nächsten Alben weiter in diese Richtung getrieben werden. Und „Karma“ bleibt wohl eins der besten Alben von Sanders.

hier möchte ich einerseits zustimmen, andererseits sanft widersprechen. natürlich mäandert das, und wie. aber es gibt mindestens zehn bessere sanders-alben (für mich). so toll ich den „creator“ finde (und man braucht wirklich wenig mehr, um ein paar zentimeter über dem teppich zu schweben) und so wenig ich darüber jetzt große meisterimrpovisationen erwarte, ist diese version hier ganz schön unscharf, breiig, wenig dynamisch und wenig abwechslungsreich. jeder einzelne dieser vielen tollen musiker könnte jederzeit irgendwas aufregendes machen – man würde es halt nicht hören. von einem james spaulding ab dringt ab und zu mal ein flötenton an die oberfläche. watkins‘ waldhorn nur, wenn er besonders schief spielt. sanders und thomas nehmen sich angenehm zurück, mit großem sinn für auftritte, aber richtig los lassen sie hier nicht. und auch billy hart habe ich schon mal inspirierter trommeln gehört. aber was soll das gemäkel, wenn der song so toll ist. ich bin gespannt, wie ich andere versionen (die nächste kommt ja bereits 2 alben später) nach dem wiederhören empfinde.

ach ja, das kurze „colors“, in dem gott einen regenbogen schickt. eine wunderschöne komposition. und der ton von sanders voller grazie. aber ein paar farben fehlen auch hier.

20.10.1969
das nächste album noch im gleichen jahr, das riecht nach schneller bedarfsbefriedigung der langsam aus ihrem karma-koma erwachenden fans. bob thiele ist mittlerweile bei impulse weg und hat leon thomas zu seinem neuen label flying dutchman mitgenommen, dazu später. ed michel, der mitten im spiritual-jazz-hype den staffelstab übernimmt, initiiert ein „karma 2“. dazu dient der „prince of peace“ aus der noch unveröffentlichten IZIPHO-ZAM-session, das in „hum-allah-hum-allah-hum-allah“ umbenannt wird. das stück ist nach wie vor super und die band wunderbarerweise etwas schlanker geworden. trotzdem hat es nicht die fokussiertheit der originalaufnahme. das riesending „sun in aquarius“ ist allerdings ein trip. der vamp braucht hier nur noch 2 akkorde (beim „creator“ und beim „prince of peace“ sind es ja immerhin noch 4), dafür gibt es aber unglaubliche soundpassagen, mit gongs und behämmertem klavierinnenraum, flötenflächen, einem sanders-solo, das so explodiert wie nichts mehr seit coltrane-tagen und das von gypsy hervorgehobene bass-duett. konzise ist das alles nicht, aber in seiner heftigkeit dann doch unerwartet.

21./22.10.1969
smart move von bob thiele, auf leon thomas zu setzen und den „creator“ mit fast den gleichen leuten gleich nochmal in radiotauglichen 4,5 minuten aufzunehmen. pharoah sanders fungiert vertragstechnisch hier unter pseudonym („little rock“). auf der neuen version spielt er eine sehr schöne flöte, roy haynes hin und wieder hiphop, mcbee und liston smith das, was es braucht, und aus dem epos wird ein song. der rest verschiebt sich auch richtung hipness, thomas hat viel gutes material, einen virtuos ausgespielten bigband-hintergrund, friedensgesang und politische anklage halten sich poptauglich in balance und die restlichen musiker setzen (anders als auf KARMA) wirkliche akzente (spaulding, sanders, haynes). der große gemeinsame auftritt kommt in der malcolm-hommage („malcolm’s gone“), einer rubato-elegie, in der sanders mal richtig aufdrehen kann und die musik auch mal uncool werden darf („he died to save me, gave me my dignity“).

dass leon thomas mit diesem zeug auf großen touren ordentlich furore machen wird (dann aber eher mit oliver nelson) und im vocaljazz-bereich der spät60er und früh70er vakuen füllen und polls anführen kann, ist klar. die verbindung von ihm und sanders ist trotzdem sehr besonders – beider stimmen sind unmittelbar auratisch aufgelanden und erkennbar, die musik gehört ihnen, sobald sie einen ersten ton verlauten lassen. es ist aber auch toll, wie sie sich gegenseitig den raum überlassen. das lässt halt gerade diese prinzipiell zu volle musik transparent bleiben. (und darüber hinaus sind es beides gute percussionisten, ich glaube, über sanders tamburin-künste muss man noch mal gesondert sprechen ;-) .)

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