Antwort auf: Randy Newman – Dark Matter (04.08.2017)

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speed-turtle

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Ob etwas „witzig“ ist oder nicht liegt doch ohnehin immer im Auge des Betrachters bzw. Hörers. Da ist Willander eben auf einer anderen Humorschiene unterwegs als ich, wenn er der kleinen musiktheatralischen Eröffnungsszene nix abgewinnen kann, so what? Da läuft wohl bei jedem ein anderes Kopfkino ab. Beim plötzlichen Umschalten in den Gospelmodus nach „Show of hands?“ sehe ich z.B. immer einen unvermittelt wild los tanzenden Randy Newman in Priester-Robe vor mir, was durchaus nicht unkomisch ist. Auch wie er, diverse Rollen verkörpernd, sich am Ende noch selbst in der dritten Person in deren Text hinein mogelt, hat hohes Breitgrinspotenzial. Und wie er – ja, durchaus „geschwätzig“, aber auch das ist keineswegs so neu bei ihm – lauter falsche Fährten legt, worum es eigentlich gehen könnte, nur um zu demonstrieren, dass die „True Believers“ eben leider doch die bessere Musik haben, womit sie alle vermeintlich „vernünftigen“ Argumente und Theorien buchstäblich an die Wand „spielen“, ist eine wunderbare Pointe, die offensichtlich auch gut als Seitenhieb auf den Teil seines Publikums funktioniert, der unentwegt bissige Statements zur Lage der Nation von ihm erwartet.
Man kann das sicher alles auch überinterpretieren und dabei nicht zuletzt die musikalischen Selbstzitate (am Ende eindeutig „Glory Train“ aus dem FAUST-Musical) mit einbeziehen, aber wenn man will, findet man genügend Meta-Ebenen, um die Nummer jedenfalls kaum als „leer“ abqualifizieren zu können. Es ist in der vordergründigen Kapitulation der Satire vor der immer absurderen Realität einerseits bitter, erfüllt andererseits in der virtuosen Weise, wie dieser Missstand gleichzeitig vorgeführt und unterlaufen wird, allerhöchste Newman-Standards. Für mich volle Punktzahl.
„Brothers“ führt musikalisch zurück zu den Anfängen, erinnert stilistisch stark an das Debüt-Album, bevor es dann in diese groteske Wendung zur „Buena Vista Social Club“-Karikatur nimmt – 4 Punkte.
„Putin“ hätte als leichtere Nummer im Band-Format gut auf „Harps & Angels“ gepasst und da sicher auch größeren Witz entfaltet. Hier wird es durch das überladene Arrangement leider etwas zu schwerfällig, um richtig zünden zu können. Trotzdem immer noch genug „Typisches“ wie die kleinen Kabbeleien mit den Background-Ladies, um 3 Punkte zu rechtfertigen.
„Lost Without You“ ist dafür dann wieder ein echtes Highlight. Vielleicht der erste Newman-Song überhaupt, bei dem ich spontan einen fetten Kloß im Hals hatte und der mir in emtionalen Momenten schon auch die Augen feucht werden lässt. Wieder so ein Kopfkino-Ding, aber diesmal auf eine peinigende Art, die ohne die kitschfrei einschmeichelnde Musik unerträglich wäre. Allein dieses tonlos wie mit letzter Anstrengung rausgepresste „Just the blood this time. Just the blood…“ Für mich auf einer Stufe mit Klassikern wie „In Germany Before The War“, klare 5 von 5 Punkten.
„Sonny Boy“ hat es danach bei mir schwer, der Stimmungswechsel kommt trotz der getragenen Einleitung viel zu abrupt, um mich darauf gleich von Beginn an einlassen zu können. Der braucht für ein gerechtes Urteil sicher noch den einen oder anderen Hördurchgang, aber für den musikhistorischen Erkenntnisgewinn kommt im Zweifel auf jeden Fall ein Dankbarkeitsbonuspunkt oben drauf, also werden es schon mal nicht weniger als 4.
Auf einen Extended Cut von „It’s A Jungle Out There“ hatte ich schon für das Vorgängeralbum gehofft, inzwischen nicht mehr daran geglaubt, und nun, wo er (auf Wunsch der Plattenfirma?) doch noch kommt, bin ich undankbarerweise gar nicht so begeistert, wie ich sollte. Freue mich trotzdem immer wieder, ihn zu hören. Ich sag mal 3,5.
„She Chose Me“ – bei den „True Believers“ unter den Fans offenbar lange bekannt, für mich neu und keineswegs unwillkommen. Das ist eine Facette, die ich eben auch sehr mag bei ihm, egal wie viele Wochenenden er daran geschrieben hat oder eben nicht. „Sentimental“, wie Willander findet – vielleicht. „Läppisch“ – ganz sicher nicht. 3 Punkte.
„On The Beach“ hingegen scheint die Nummer zu sein, auf die sich irgendwie Alle einigen können; was überrascht, weil sie musikalisch im Grunde ähnlich überraschungsarm daherkommt wie der geschmähte Vorgänger. Gehobener Newman-Standard zwar, aber insofern eben auch relativ unspektakulär. Pluspunkt ist hier natürlich wieder der Kontrast zwischen der sonnendurchflutet-entspannten Atmosphäre und dem eher traurigen Inhalt, der das Thema „Verlust“ (hier: alter Weggefährten, die sich irgendwann ausgeklinkt und in ein Leben „am Strand“ verabschiedet haben) aus anderer Perspektive und mit anderen Mitteln fortschreibt als beim hochemotionalen „Lost Without You“. Und zugleich perfekt zum folgenden letzten Song hinleitet. 4,5 Punkte.
Und dann endet dieses im Ganzen so überaus (und punktuell im Übermaß) opulent orchestrierte Werk mit einer schlichten Solo-Piano-Ballade. Willander wirft sie (erstaunlich empathiefrei) als „läppisch sentimental“ in einen Topf mit „She Chose Me“, was definitiv das ungerechteste seiner Fehlurteile in dieser Causa darstellt. Für mich ist es die Vollendung der kleinen Song-Trilogie rund um das Verlust-Motiv, die auf wiederum (mich) sehr berührende Weise an die vorangegangene Nummer anknüpft und gleichzeitig auch eine thematische Klammer schließt. Denn um Verlust ging es genau genommen von Anfang an (da war es noch der eines bis dato für unkaputtbar gehaltenen „Common Sense“ im postfaktischen Zeitalter). Der Titel „Dark Matter“ entpuppt sich damit als genau so doppelbödig wie hier im Vorfeld bereits vermutet: Es geht um „Dunkle Materie“ im denkbar weitesten Sinn.
In der Summe der Einzelwertungen – für „Wandering Boy“ habe ich jetzt mal 4 Punkte veranschlagt – komme ich somit ebenfalls auf glatte 4 Punkte. Weil wir hier unter uns sind. Bei Amazon wären es natürlich 5, weil da einer sowieso immer schon vorgegeben ist und deshalb nicht wirklich zählt.

zuletzt geändert von speed-turtle

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Musik ist nicht was sie ist, sondern was sie den Menschen bedeutet. (Simon Rattle)