Antwort auf: Umfrage nach den besten dritten Alben

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wahr

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Ein paar Kommentare schonmal zu meiner Liste. Rest folgt dann noch.

 

01. Captain Beefheart & His Magic Band – Trout Mask Replica
In den 1960ern wohnte Don Van Vliet aka Captain Beefheart eine Zeit lang bei Bassist Gary ‚Magic‘ Marker in Venice, CAL. In jener Phase seines Lebens nahm Van Vliet auch öfter mal Acid. Eines Abends, als ein Trip langsam abflaute, machte er sich in Markers Wohnung auf die Suche nach einem Drink. Da Van Vliet der Überzeugung war, unter Acid so gut sehen zu können wie eine Katze, suchte er im Dunkeln nach einem Glas, ging in die Küche und öffnete den Geschirrschrank, der auf Kopfhöhe angebracht war. Marker hatte ein paar Monate vorher gut sechs Kilo Kartoffeln gekauft, um ein Kartoffelgericht zu Thanksgiving zu machen und nicht alle Kartoffeln verarbeitet. Die schlummerten seitdem vergessen in einem Netz im Geschirrschrank. Kartoffeln haben die Angewohnheit, unter Lichtausschluss starke Triebe auszubilden, auf der Suche nach Nährstoffen und Licht. Als Van Vliet den Geschirrschrank öffnete, sprang ihm das Kartoffelnetz mit unzähligen tentakelähnlichen, langen Trieben entgegen. Im Nebenzimmer hörte Gary Marker aus der Dunkelheit einen lauten Schrei, ähnlich dem Anfangsschrei von James Brown auf „I Feel Good“, nur eine Oktave höher. Sekunden später polterte Van Vliet durch die Küchentür, aschfahl, mit aufgerissenen Augen, wie wild mit den Armen fuchtelnd. Groteske Ansammlungen von Kartoffeltrieben stakten in Haar und Kleidung und baumelten an ihm herab. Er kreischte, er sei von einem Alien angegriffen worden, das sich im Geschirrschrank versteckt hätte. Marker brauchte zwei Stunden, um Van Vliet soweit zu beruhigen, dass er ihm erklären konnte, was wirklich passiert war.

Diese Geschichte versinnbildlicht sehr gut die Wirkung von „Trout Mask Replica“: Beim ersten Hören denkst du, ein Alien würde dir entgegenspringen. Du möchtest schreiend flüchten und verstehst erst nach einer Weile, dass das, was du erlebt hast, auf ganz normale Weise zu erklären ist: Die scheinbar zusammenhanglos übereinandergelagerten Gitarrenkanäle, Basslinien und Schlagzeuggalopper, die dir anfangs so fremdartig vorkamen, haben ihren Ursprung sowohl in jener jagenden, aus Rhythmus- und Gegenrhythmus aufgebauten „Banjer“-Musik afrikanischer Sklaven, als auch in „Free Jazz“, der strukturierten Gruppenimprovisation des Ornette Coleman Double Quartets. Cassettenrekorderaufnahmen nehmen den Geist von Country-Blues zu Zeiten der Wachswalzen auf, ebenso wie die Field-Recordings von Alan Lomax. Geschichten beschreiben das Schicksal von Hobos, die ziellos über das Land ziehen, Veteranen, verfolgten und ermordeten Juden, schanghaiten Seefahrern, liebeshungrigen Oktopussen und anderen an die Ränder gedrängten Gestalten – drübergesungen über das knorrige Geknäuel der Musik, als würde Jackson Pollock seine riesigen Gemälde nochmal mit an abseitigem Vokabular ausgerichteten Gedichten übermalen. Am Ende stehst du fasziniert vor diesem Gesamtkunstwerk der Bezüge und denkst: Wenn dich jetzt tatsächlich ein Alien anspringen würde, ist es vielleicht nur auf der Suche nach einem Drink.

 

02. Curtis Mayfield – Superfly
Letztens besorgte ich mir für wenig Geld ein Mint-Exemplar der französischen Pressung von 1972, weil ich dachte, das Presswerk Pathé Marconi EMI, Chatou, holt da nochmal was Unglaubliches aus dem Sound raus, so wie bei den Hendrix-Pressungen. Tat es aber nicht, der Sound klang nur ebenso superfantastisch wie ich ihn gewohnt war. Für mich das beste, was Mayfield je gemacht hat. Betont mehr den Groove und fährt selbst bei den Streicherparts nicht dick auf. Über Mayfields Gesang müssen wir nicht reden. Hier passt alles total perfekt.

 

03. Can – Tago Mago
Wenn man die Baleareninsel Tagomago aus einem bestimmten Winkel aus der Luft betrachtet, dann sieht sie tatsächlich ein bisschen so aus wie der berühmte Kopf auf dem Cover von „Tago Mago“. Wahrscheinlich Zufall, aber wenn man ein Album aufrichtig liebt, dann ist in der Fantasie alles möglich.

 

04. Ann Peebles – Part Time Love
Gekauft in einem Plattenladen, der im Keller lag, in der damals wohl unattraktivsten Straße Kiels, im Knooper Weg. US-Original, sowas hatte ich von einer Hi-Records-Platte nie zuvor gesehen. Sechs Mark, oder so. Die zweite Platte, die ich kaufte, war Black Flags „Nervous Breakdown“, SST 001. Ein paar Monate später wurde der Laden hochgenommen. Hat unter der Hand Nazi-Platten verkauft.
„Part Time Love“ hat diesen unnachahmlichen Hi-Records-Sound: Bass und Schlagzeug ziemlich weit vorne, leicht verbasst alles, darüber und darunter mischen sich die Bläser, eher gedrängt produziert. Das ist kein Superduperklang im technischen Sinn, sondern pure Magie, vielleicht in der Wirkung (auf mich) noch mit den Black Ark-Produktionen zu vergleichen. Ann Peebles singt beseelt und selbstbewusst, auch weil sie zeigt, dass sie dafür nicht groß auf die Tube drücken muss. Meine liebste Soul-Sängerin.

 

05. PJ Harvey – To Bring You My Love
„To Bring You My Love“ ist vollgesogen mit Bedeutung wie ein griechisches Drama. Polly Jean Harvey liegt leblos im Wasser wie die arme Ophelia, die sich das Leben nimmt, nachdem sie von Hamlet, der sie eigentlich liebt, zurückgewiesen wird. Und auch der Sound der Platte nimmt viel Drama auf, drückt sich in den Raum, sägt sich durch, selbst in den ruhigen Passagen. Harvey singt filterig und fiebrig. Große Platte, die wirklich alles macht, um der Größe gerecht zu werden.

 

06. Jan Jelinek Avec The Exposures – La Nouvelle Pauvreté
„La Nouvelle Pauvreté“ hat einen Sound, der ganz typisch für seine Entstehungszeit und den Entstehungskontext (Sampletronic, Elektro-Akustik) ist: Scharf gesetzt, teilweise verglitscht, Details und Artefakte in den Vordergrund bringend, entpersonifizierend, Szenen aus einer distanzierten Position aus kreierend/beobachtend. Für mich ist „La Nouvelle Pauvreté“ wie ein unbeachtetes Ereignis, das erst im Nachhinein an Bedeutung gewinnt. Mir scheint, Jelinek verwendet hier besonders unscheinbare Samples und Elektronika, die man leicht überhören kann, denen er aber in der Summe einen beiläufigen dramatischen Spin gibt. Nie habe ich je ein Sample auf einer Jelinek-Platte identifizieren können. Musik, die sich bewegt wie eine Stadt hinter Scheiben.

 

07. St. Vincent – Strange Mercy
„Strange Mercy“ ist eine tolle Platte, ein Verwandter von Bowies „Scary Monsters“ (vielleicht ist es kein Zufall, dass die Titel ähnlich klingen), nur das Annie Clark sowohl den Bowie- als auch den Fripp-Part übernimmt. Halt die Tradition fortführt, kaputte Gitarrensounds in Pop-Platten zu schmuggeln.

 

08. Sufjan Stevens – Greetings From Michigan The Great Lake State
Mit „Michigan“ habe ich Sufjan Stevens kennengelernt. Diese sehr eigene Mischung aus Folk und Heilsarmee, aus Sozialbeobachtung und persönlichem Werdegang. Musikalisch noch nicht ganz zu einem urbaneren Bild zusammengesponnen wie auf „Illinoise“, dafür pastoraler, träumerischer, mit Seelenschau auf den zweiten Blick. Eine eigenartige, künstliche Postkartenwelt, sie bildet das Tableau für Reflektionen über Ziel- und Arbeitslosigkeit, biografische Details und religiöses Zeug.

 

09. Wovenhand – Consider The Birds
Wovenhand kann ich immer nur für genau die Zeitspanne ernstnehmen, in der ich sie höre. Also lass ich mich die 40 Minuten auf „Consider The Birds“ ein, fürchte den alttestamentarischen Prediger, verehre ihn für seine gerechten Schläge, falle auf die Knie in den Staub, verzückt und fanatisch den Herrn preisend. Wenn das Album dann zuende ist, reichts aber auch. Dann amüsiere ich mich und denke, ich habe gerade als Statist an einem Sandalenfilm aus Cinecittà teilgenommen. Die neueren Alben von Wovenhand, die ja mehr in Richtung Metal gehen, sind wie „Conan in der Muckibude“, da fehlt mir der Staub von Babylon.

 

10. 16 Horsepower – Secret South
Ein langes intensives Sehnen nach und preisen von dem EInen, EInzigen, ihrwisstschon. So intensiv wie der Gun Club in seinen intensivsten Momenten, nur steht Eugene Edwards eben nicht dem Blondie-Fan-Club vor, sondern hat sich einem Buch verschrieben, aus dem auch gerne mal was rausgerissen wird, um Missliebigkeiten zu bekunden oder sie in das Booklet von „Secret South“ zu kleben.

 

11. Black Sabbath – Master Of Reality
„Alright now!/ Won’t you listen?/ When I first met you didn’t realize/ I can’t forget you or your surprise/ You introduced me to my mind/ And left me wanting you and your kind/ I love you/ Oh you know it“. Wenn Osbourne mit seiner entwaffneten Offenheit singt, ganz ohne Gesangsstundenstimme, ohne Filter, dann berührt mich das. Black Sabbath waren eine sehr zarte, zerbrechliche Band.

 

12. Magma – Mekanïk Destruktïw Kommandöh
Irgendwie auch mit nichts so richtig zu vergleichen: Chöre, als hätte sie Ligeti für ein Brecht-Lehrstück arrangiert, Jazz, Rock, Irrsinnskonzept, das sich über mehrere Alben erstreckt und auf das Christian Vander immer wieder zurückgreift. Optische Präsentation in schwarzen Klamotten mit riesigen Halsketten mit Magma-Emblem (Hallo Urge Overkill, wir wissen, wo ihr eure Ideen herhabt!), dazu noch streitbarer Totalitarismus-Verdacht. Zum Ende hin vielleicht ein bisschen viel Geschreie, daher in der Platzierung weiter hinten.

 

(wird fortgesetzt)