Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

Startseite Foren Kulturgut Für Cineasten: die Filme-Diskussion Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II) Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

#10144645  | PERMALINK

Anonym
Inaktiv

Registriert seit: 01.01.1970

Beiträge: 0

Punk Love
(Regie: Nick Lyon – Italien/USA, 2006)

Sarah ist eine 15-jährige Teenagerin, die unter dem Missbrauch ihres Vaters leidet. Spike ist ein 21-jähriger junger Mann, der seine Hoffnung, als Musiker berühmt zu werden, fast aufgegeben hat. Beide halten sich mit kleineren Gaunereien gerade eben so über Wasser. Aber beide haben auch ihre hingebungsvolle und bedingungslose Liebe für einander – und diese lässt sie die größten Probleme wie ihre Drogensucht wenigstens zeitweise vergessen. Als Spike mit seiner Band erste Erfolge feiert, können die beiden zunächst auf eine bessere Zukunft hoffen. Wird ihre Liebe stärker sein als die Steine die ihnen überall in den Weg gelegt werden?

Nick Lyon fingiert ein vermeintlich realistisches Indie-Drama, indem er mit einem niedrigen Budget von knapp zwei Millionen Dollars und unter exzessivem Einsatz des Blaufilters oft kolportierte Schauergeschichten von sozialem Abstieg (bedingt durch Drogen und Ungehorsam gegenüber Familie und Gesellschaft) in Filmschablonen gießt, die seit „Christiane F.“ auch gerne von Erdkunde- und Sportlehrern während einer Freistunde an der städtischen Realschule gezeigt werden.
Hier kann man etwas lernen, hier gibt es eine erbauliche Message, gut getarnt hinter düsteren Bildern von Sex, Gewalt und Sucht, die Jugendliche begeistern sollen, nein, die Jugendliche leimen sollen dem biederen Stumpfsinn in die Falle zu gehen, der sich aus „Punk Love“ ableiten lässt: Der warme Schoß einer gewöhnlichen Existenz, die Gemütlichkeit der Mehrheitsgesellschaft, die nette Schlammpackung des bürgerlichen Sumpfes.
Ist man erst mal mit diesem Anspruch angetreten, müssen natürlich auch die Motive drastisch genug sein, um verständlich darzulegen, wie sich zwei nette Teenager in den Fängen von Drogen und Sub- oder Gegenkulturen verlieren konnten – freiwillig macht sowas schließlich keiner. Nein, der Wunsch in einer Punkrockband Bass zu spielen oder einfach mal ein Blech zu rauchen, entsteht ausschließlich durch kaputte Familienverhältnisse: Sexueller oder seelischer Missbrauch. Begangen vom eigenen Vater. Mütter, die nichts davon wussten. Sonst hätten sie ihren Kindern zur Seite gestanden. Es ist zum Speien.
Das Perverse daran ist die hinterhältige Inszenierung des Regisseurs und Drehbuchautors Nick Lyon, die schon im Vorspann vorgibt eine bedingungslose Liebe zwischen jungen Menschen zu zeigen, ja, diese Liebe sogar würdevoll zu feiern. Leider sind die poetischen (Sprach-)Bilder ein wenig zu abgeschmackt, um wirklich begeistern zu können und kurz darauf offenbart sich auch, warum dies so ist: Nick Lyon belügt sein Publikum. Er borgt sich die Ästhetik eines alternativen Lebenswandels, um für den Mittelweg der breiten Masse zu werben. Nick Lyon ist ein Faker, ein Blender, ein Poseur und noch viel schlimmer: Ein Verräter.
Jede Abweichung von der Norm wird in „Punk Love“ heftigst bestraft, so dass die beiden Protagonisten nach kurzer Zeit in einer verfahrenen Lebenssituation stecken, die Bonnie und Clyde und Romeo und Julia alle Ehre machen würde. Der Ausweg kann nur der Tod sein, weil Lyon das jugendliche Paar für seinen Lebenswandel (Harte Drogen, freier Sex, Verachtung der Autoritäten) bestrafen muss und obendrein für ihn noch ein tragisches, romantisches Ende dabei abfällt.
Abfall wäre auch genau das richtige Wort, um „Punk Love“ auf den Punkt zu bringen, wäre da nicht der melancholische Soundtrack, leicht hingekratzt von Violinen und Celli, welcher einige Szenen in würdevoller Schönheit schweben lässt, wenn Lyon sein durchaus vorhandenes inszenatorisches Geschick nicht wieder in künstlichem Regen, stereotypen Großstadt-bei-Nacht-Aufnahmen (Portland, Oregon, that is) und dem anfangs schon erwähnten Blaufilter ertränkt. Im Schneideraum gibt er sich experimentierfreudig, brilliert aber eher darin Indie- und Musikvideoklischees aufzuwärmen. Dies sorgt auch für den Würgereiz: In seinen Bilderwelten spricht Lyons Film von anderen Dingen als auf der erzählerischen Ebene. Ein schizophrener Versuch, der durchaus zu gefallen weiß, wenn man die kräftige reaktionäre Strömung im Hintergrund ausblenden kann. Leider ist dies nur minutenweise möglich, bevor Lyon seinem Publikum brutal ins Gedächtnis zurückruft, wer in dieser Gesellschaft die Ansagen macht und wer ihnen zu gehorchen hat.
Dieses Trauerspiel setzt sich selbst im internationalen Verleih des Films fort: „Punk Love“ (Originaltitel) erschien zunächst unter dem romantisch-verklärenden Verleihtitel „Fallen Angels – Jeder braucht einen Engel“, der auf die Eingangs- und Schlusssequenz des Films Bezug nimmt, bevor man ihn bei erneuter Veröffentlichung auf Blu-ray lapidar „Junkies“ nannte – selbst hier spürt man den mitleidslosen Tonfall der Feierabendbiertrinker, der sich so hinterfotzig durch den gesamten Film zieht.

Trailer

--