Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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vorgarten

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friedrich
Weder Ike Quebec noch Gene Ammons spielen auf den genannten Alben Bossa Nova. Diese Musik ist etwas mit Bossa Nova aromatisiert, aber viel mehr auch nicht.

redbeansandriceklar ist das interessante und schöne Musik, und klar darf man Brasilien nicht auf den Bossa Nova reduzieren…

ich finde die diskussion ziemlich spannend, ob das bossa ist, was das sonst ist, warum warum das quebec-album so gut funktioniert und das von hawkins eigentlich gar nicht, warum diese schweren tenoristen da eigentlich nichts zu suchen haben usw.
klar, die bossa nova war ja selbst von der tristano-schule infiziert, deshalb funktionierte das bei getz und desmond später ganz gut (gibt es eigentlich ein bossa-album von tristano oder marsh?). aber quebec ist unter den hier diskutierten vielleicht der einzige, der zu dieser musik wirklich anders spielt, er lässt die ganze zeit seinen ton mit viel luft stehen, säuselt um die melodien herum, lässt den beat die hauptarbeit machen – während ammons und hawkins klassische jazzsoli versuchen, die sofort von den melodien weggehen, da kommt es dann eher auf das material an: hawkins kriegt leider nur totgerittene bossa-hits („desafinado“, „o pato“ usw.) vorgesetzt (und ein bisschen neues, lahm brasilianisiertes bluesmaterial), die sachen auf dem ammons-album sind da viel interessanter. tatsächlich gibt es keinen einzigen bossa darauf, nur zwei bossa-versionen (am anfang und ende), wo dann die musiker sich den groove draufgeschafft haben und es demzufolge auch ziemlich formelhaft klingt. ziemlich toll gerät aber das vergleichweise heiße „cai cai“, das eigentlich ein samba-smash-hit von carmen miranda war (in einer holly-wood-musical-version, ONE NIGHT IN RIO, aus den 40ern), da kann der drummer mal aufdrehen und ammons geht sehr gut mit. was das ansonsten für rhythmen sein sollen, ist mir total unklar, sie kriegen ja noch nicht mal das signal „latin!“ hin manchmal (z.b. auf ammons-originalstück).

was ich fast ein thema für dissertationen o.ä. fände, ist, welches latin-material wie in die usa gekommen und dort auf jazzalben gelandet ist. bei ammons gibt es zwei nordbrasilianische sachen (das dritte, „anna“ ist ein baião, das zweite konnte ich mit google im original einem indigenen gitarrenduo zuordnen, los índios tabajares, die waren, mit kopffederschmuck, in den 50ern ein hit in den usa). der „pagan love song“ ist eine hollywood-exotica-erfindung, das normalerweise aber „hawaii“ assoziieren lassen soll, hier wird es genauso mühelos auf bossa gebürstet. das letzte stück ist ein haitianisches volkslied, und wo der miranda-hit herkam, bevor er in einem hollywood-musical landete, kriege ich nicht raus. bei quebec kommen dann liszt und dvorak, aber auch 2 stücke aus einem brasilainischen samba-musical aus den 30ern. wer auch immer das material für solche sessions angeschafft hat, war ziemlich intensiv auf recherche.

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