Antwort auf: Steve Coleman und M-Base

#10140319  | PERMALINK

vorgarten

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(was man hier nicht erkennen kann: das konterfei des saxophonisten ist in fluoriszierendem gelb sichtbar und leuchtet tatsächlich im dunkeln!)

steve coleman & five elements: LUCIDARIUM. label bleu 2004. rec. 27.-30.5.2003.

nach den beiden eher locker eingespielten label-bleu-veröffentlichungen ist das hier wieder ein ausgesprochenes high-concept-album. coleman arbeitet hier auf einem skalensystem von 10 statt 12 tönen pro akkord, weswegen einerseits präparierte oder anders gestimmte instrumente zum einsatz kommen, aber auch eine gruppe von sängerinnen und sängern, die ein eigenes klangsystem entwickelt haben: erstmals jen shyu (sie wird in ähnlicher funktion der band bis heute erhalten bleiben), aber auch der merkwürdige theo bleckmann, sowie kyoko kitamura, judith berkson, lorin benedict und der freestylende rapper kokayi. „everybody was struggling“ fasst beckman die arbeit an dem album zusammen und shyu versucht zu erklären: „“We broke it down into five tones to learn it. So each step was less than a minor third but more than a half step. It would be approximately something like a C, a very sharp D, a very flat F# and then a slightly sharp G#, then a flat B-flat.“

craig taborn ist diesmal der pianist und auch er spielt in einer eigenen, etwas geisterhaften stimmung. überraschend in einem coleman-lineup auch der ziemlich dominant präsente mat maneri (bratsche) und der experimentelle posaunist & cellist dana leong. auch eine mundharmonika (grégoire maret) ist wieder dabei, zwei trompeter (finlayson & alessi), ravi coltrane, zwei bassisten (drew gress, akustisch, und anthony tidd, elektrisch), neu ist der drummer dafnis prieto, der sean rickman (ziemlich toll) ersetzt. die wieder breit aufgestellte afrokubanische percussion versteht sich von selbst.

improvisiert wird hauptsächlich kollektiv, einzelne soli fallen allenfalls sehr kurz aus. es gibt einen latin-grundpuls, der auch unter den symphonischsten passagen liegt. die anderen instrumente fließen in wellen durch die rhythmisch aufgeheizte grundstruktur, die mal nach festgezurrtem funk, mal accelerierend schillert, mal scheinbar im rubato aufgelöst. der gesamteindruck ist ziemlich toll, sehr ungewöhnlich, eine vergleichbar aufgebaute musik fällt mir auf die schnelle nicht ein. die mystisch-dunkle atmosphäre mit den vielen originellen klangfarben, die aber ständig zu wissen scheinen, wo sie hingehören, hat etwas leicht beunruhigendes, man versteht es nicht, aber man merkt, dass es klaren regeln folgt. am ende macht sich das album etwas lockerer, es gibt zum schluss sogar eine neueinspielung von doug hammonds „perspicuity“, das coleman als sehr einflussreich für seine musikalische entwicklung bezeichnet. ich habe LUCIDARIUM bisher etwas links liegen gelassen und höre es seit wochen mit immer größerer faszination.

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