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steve coleman & five elements: alternate dimension series 1
rec. 13./14.3.2002. published for free via http://m-base.com/downloads/
das ist es also, das gratisalbum, das coleman bei bmg nicht machen durfte und das dann 2002 auf seiner webseite zum download angeboten wurde. ironischerweise sind mittlerweile all seine bmg-, diw- und jmt-alben dort frei verfügbar, aber ausgerechnet die label-bleu-alben nicht (die auf pi sowieso nicht). während der knapp 5 jahre, die coleman dort unter vertrag war (und mangels us-vertrieb in seinem heimatland quasi komplett von der bildfläche verschwand), ging das französische label in die knie und ist mittlerweile wohl gestorben. auch die „alternate-dimensions“-serie blieb auf eine folge beschränkt.
musikalisch gehört das alben zu meinen allerliebsten von coleman. an zwei tagen aufgenommen (mit einer personell leicht variierenden band), am dritten gemastert, klingt es kein bisschen nah schnellem zusammenhau, sondern hat eine zwingende energie und eine ziemlich tighte playing-konzeption. klavier und gitarren fehlen diesmal und geben raum für solistische interaktion; dafür werden ein e- und ein akustischer bass kombiniert und zu den drums gibt es eine freie conga-begleitung und einen separat momenthaft eingesetzter clave-spieler (yosvany terry, der eigentlich tenorsaxofonist ist). coleman teilt sich mit finlayson den gut eingespielten solo spot, in besetzung eins spielt interessanterweise der aus dem marsalis-umfeld bekannte james genus akustischen bass und reggie washington e-bass, an den drums sitzt plötzlich wieder gene lake. in der zweiten besetzung wechselt washington auf akustischen bass, anthony tidd spielt die elektrische variante und sean rickman ist der drummer.
5 stücke, allesamt originalkompositionen, zwischen 9 und 12 minuten. „common law“ (dazu gibt es 2 alternate takes) fängt im freien rubato an. coleman, finlayson und genus spielen unisono ein getragenes, marschähnliches thema, in dem jeder ton einen anderen akkord vorgibt. drums und conga assoziieren frei, genus im ersten solo von coleman auch, das schnell eine hymnische qualität bekommt und (selten genug) mit überblaseffekten arbeitet. die entwicklung scheint frei, aber coleman bleibt doch auf die akkorde bezogen. nach 4 minuten kommt ein drum-solo und plötzlich ein schneller clave-rhytmus. die akkorde des themas werden vom e-bass weitergespielt, während lake erst einen typischen m-base-abstraktgroove dazugibt und dann in einen ride-becken-swing übergeht. coleman soliert weiter in dichten tonketten, manchmal fällt finlayson ein, übernimmt schließlich ruhig, dann immer virtuoser werdend. genus spielt dazu walking bass, auch das sehr ungewöhnlich für ein coleman-setting. saxofon und trompete solieren schließlich gleichzeitig und beenden in einem rasanten full stop das stück. am ende etwas session talk, gene lake sagt: „I had fun.“
„cycle of absolute dominants“ fängt noch ruhiger an, in besetzung 2. coleman und finlayson spielen sparsam ruhige unisono-töne, washington soliert dazu, die percussion assoziiert frei. nach 2 minuten geben beide bässe ein ostinato vor, das zyklisch gebaut ist. drums und percussion spielen einen langsamen, aber in sich spannenden beat dazu, die clave wird dazu durchgehalten. coleman und finlayson wechseln sich in schönen solopassagen ab, die ungehetzt, harmonisch interessant, sich langsam energetisch steigern. das ganze stück hat einen tollen flow, über 12 minuten ein abstrakter latin-rhythmus mit interessanter jazziger akkordprogression. der akustische bass löst sich etwas vom ostinato und trägt zur binnenspannung bei. schön ist vor allem das zusammenspiel der beiden solisten und rickmans fähigkeit, immer wieder im beat momenthaft die energie zu erhöhen. am ende solieren nur noch coleman und washington und es gibt einen fade-out.
„ascending numeration“ (auch davon gibt es noch einen alternate take) legt einen zahn zu. nach einem drumsolo (wieder 1. besetzung, also gene lake) kommt ein schnelles thema, wieder als zyklische endlosmelodie. lake spielt dazu einen beat auf 2 und 4, der e-bass hält die akkorde durch, der akustische bass bewegt sich dazwischen. lake groovt sehr viel härter, mit mehr masse, als der fein abstrahierende rickman, coleman muss als erster solist direkt in die vollen gehen. als höhepunkt steigt finlayson mit ein und beide spielen eine zeitlang gleichzeitig, bevor der trompeter komplett übernimmt. wieder gibt es einen cherry-effekt – harmonisch ambivalente linien, viele pausen dazwischen, ziemlich hohes energieniveau. coleman steigt wieder ein, diesmal wechseln sie sich ab. am ende gibt es ein percussion-inferno, von dem am ende nur die congas überbleiben, alle steigen kurz zum thema wieder ein, full stop.
„reflection upon two worlds“ ist eine ballade und bleibt komplett im rubato. das schöne thema dient als ankerpunkt, zu dem beide solisten immer wieder zurückkehren. coleman und finlayson wechseln sich ab und geraten klangschön auf unterschiedliche art und weise zu klischeefreien, hymnischen variationen.
„octagonal dance abstract“ ist ein freies m-base-groove-stück ohne eigentliches thema. genus spielt walking bass, die anderen den eingeübten abstrahierten funkrhythmus, coleman udd finlayson spielen quasi durch, solange ihnen etwas zum beat einfällt. das bleibt nicht unbedingt auf ganzer länge spannend, ist aber als vergleichsweise „heißer“ closer verständlich. für die letzten 2 minuten gibt coleman schließlich ein kürzelthema vor, das in einem unmöglichen metrum gehalten ist. es scheint komplett spontan erfunden, aber lake hat es natürlich sofort drauf. eine kleine demonstration im eingeübten playing. aber es ist die schöne balance zwischen freiem spiel, lebendigem rhythmus und strukturierenden akkorden, die dieses album sehr besonders macht.
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