Antwort auf: 09.02.2017 "Ausgepackt" & "gypsy goes jazz 44" & "Pure Pop Pleasures"

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John Coltrane (ts), Shadow Wilson (d), Thelonious Monk (p), Ahmed Abdul-Malik (b) im Five Spot, NYC

THELONIOUS MONK QUARTET with JOHN COLTRANE
7. Sweet and Lovely (Arnheim–Daniels–Tobias)
8. Blue Monk (Thelonious Monk)/Epistrophy (Thelonious Monk–Kenny Clarke)

John Coltrane (ts), Thelonious Monk (p), Ahmed Abdul-Malik (b), Shadow Wilson (d)
Live, Carnegie Hall, New York, NY, 29. November 1957
von: Thelonious Monk Quartet with John Coltrane Live at Carnegie Hall (LP: Mosaic/CD: Blue Note, 2004)

Wir hören auch gleich noch den Rest des zweiten Sets. Weiter geht es mit einer Ballade, dem von Monk heiss geliebten Standard „Sweet and Lovely“. Der Pianist spielt Arpeggios im Stile von Art Tatum (die wohl auch als eine Inspiration von Coltranes „sheets of sound“ betrachtet werden können), während Coltrane im Thema für einmal nur Begleitung spielt – die mit der linken Hand Monks perfekt zusammenfliesst. Auch Abdul-Malik entpuppte sich als Glücksgriff, wie man hier sehr schön hören kann: die Combo als ganze ist perfekt integriert, jede Nuance abgestimmt, vom Bass kommt ein Pochen, er springt in einer kaum unterdrückbaren und ziemlich unwiderstehlichen Art herum. Wilson hält sich am Schlagzeug zwar zurück, doch was er dabei alles anstellt, auch hier an den Besen, ist beim genauen Hinhören sehr beeindruckend.

Erst nach drei Minuten steigt Coltrane ein, Wilson deutet schon davor ein doppeltes Tempo an, doch wiederholt Coltrane zunächst einen Teil des Themas im langsamen Tempo. Dann verdichtet er seine Linien immer mehr – mit einem tollen Ton übrigens! Die Rhythmusgruppe droht da und dort auseinanderzufallen, doch auch da täuscht der Schein: Wilson hat die Lage jederzeit im Griff, der Big Band-Veteran (er spielte z.B. in den frühen Vierzigern mit Count Basie) kommt noch mit jeder Monk’schen Dehnung der Zeit zurecht. Dann schliesst Coltrane seine Themeninterpretation mit einer schnellen Phrase ab, die Rhythmusgruppe fällt sofort ins doppelte Tempo, doch Coltrane spielt noch einmal die zentrale Phrase der Melodie, bevor er sich in ein weiteres grossartiges Solo steigert, das stellenweise in eine Art Selbstgespräch mündet. Monk begleitet immer sparsamer, setzt über längere Zeiträume aus, was seine Einwürfe umso effektiver wirken lässt. Dem fliessenden Spiel Coltranes stellt er eine Art Stottern entgegen, der Atemlosigkeit die hohe Kunst der Sparsamkeit, das Beherrschen der Pause als Gestaltungsmittel. Schliesslich fängt Monk den Saxophonisten wieder ein, setzt am Ende von dessen Solo einen perfekt placierten Haltepunkt, mit dem er das langsame Thema zurückholt – Abdul-Malik nutzt das sogleich – und die Reprise beginnt, mit einem Tremolo da, einem seiner typischen absteigenden Läufe dort.


Thelonious und Nellie Monk mit Coltrane 1957

Den Abschluss macht ein Stück, das ich bereits für die zweistündige Sendung zubereitet hatte, der charmante Blues „Blue Monk“, der nahtlos in das abschliessende, leider nicht ganz komplett erhaltene Band-Thema „Epistrophy“ übergeht. Auch die Stücke „Sweet and Lovely“ und „Blue Monk“ wurden erstmals im Trio für Prestige eingespielt, wieder 1952 bzw. 1954, „Epistrophy“ ist eine Gemeinschaftskomposition von Monk mit dem Schlagzeuger Kenny Clarke, die schon 1948 für Blue Note aufgenommen wurde. Den Blues öffnet Monk solo am Klavier, in einem deutlich rascheren Tempo als üblich. Für den zweiten Durchgang steigt Coltrane ein, doch natürlich spielt er nicht das Thema selbst sondern eine raffinierte tiefere Begleitlinie zu Monks Lead. Im Solo ist dann kein Halten mehr. Coltrane legt los, wie man es von anderen Blues-Aufnahmen aus seinen zahllosen Prestige-Alben kennt. Wieder scheint er stellenweise in einen Dialog mit sich selbst zu treten, Monk punktiert, streut Farbkleckser ein, während Wilson ebenfalls immer wieder Akzente setzt und auch Abdul-Malik immer wieder melodische Akzente setzt. Die Verzahnung ist einmal mehr perfekt und als Monk aussetzt, merkt man das zunächst kaum – Coltrane trägt den Monk-Sound und auch die so typische „Blue Monk“-Wärme auch allein weiter. Doch dann ist Monk auch schon wieder da, repetitiv, insistierend hält er Coltrane den Rücken frei und gibt zugleich Anregungen. In sein eigenes Solo steigt er dann mit ein paar grossartigen Phrasen ein, ungewöhnlich weit vom thematischen Material entfernt, zu dem er in der Folge aber wie gewohnt immer wieder zurückkehrt. Der flexible und doch stampfende Puls von Abdul-Malik/Wilson bettet das fantastische Klaviersolo bestens ein – selten spielte Monk so animiert, so aktiv, so dicht wie an diesem Abend. Doch natürlich fehlen seine Akzente nicht, seine Dissonanzen, seine eigenwilligen Voicings, seine zickigen Rhythmen. In der Themenreprise spielt Coltrane eine neue Variante von zweiter – und zugleich erster – Stimme, dann wechselt Monk direkt in „Epistrophy“. Wilson spielt einen Beat dazu, der jenem von Blakey an Charakter überlegen ist und setzt einige ziemlich irre Akzente, während Coltrane das repetitive Lick spielt und sich im Einstieg in sein Solo davon klar inspirieren lässt – was Monk natürlich umgehend aufgreift. Dann setzt er einmal mehr zu einem Solo an, das keine Zweifel lässt: da hat einer Monks Musik bis in die letzten Verästelungen studiert und erfasst – und lässt sich davon zu ungeahnten Höhenflügen inspirieren, die in den folgenden Jahren weiter gingen und seine Musik – und die Musik überhaupt – auf ein ganz neues Niveau heben sollten.


Flyer des Carnegie Hall-Konzertes vom 29. November 1957

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba