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MILES DAVIS
16. Bags’ Groove (Take 1) (Milt Jackson)
Miles Davis (t), Milt Jackson (vib), Thelonious Monk (p), Percy Heath (b), Kenny Clarke (d)
Van Gelder Studio, Hackensack, NJ, 24. Dezember 1954
von: Bags’ Groove (Prestige; CD: Thelonious Monk – The Complete Prestige Recordings; Fantasy, 3 CD, 2000)
Den Höhepunkt der Prestige-Phase bildet zweifellos die am Heiligabend 1954 eingespielte All-Star-Session mit Miles Davis und Milt Jackson. Begleitet werden die drei Ms von Percy Heath und Kenny Clarke, die mit Miles Davis (und Horace Silver am Klavier) damals zu einer fabelhaften Rhythmusgruppe zusammenwuchsen. Gemäss Produzent Bob Weinstock kam es aus ganz und gar profanen Gründen zu dieser überragenden Session, nämlich weil – Weihnachten stand ja vor der Tür – die Musiker mehr denn sonst Geld benötigten. Es ranken sich Gerüchte um die Session, die wohl überzogen sind (Monk: „Miles’d got killed if he hit me.“). Es gab allerdings Spannungen, weil Miles mit Monks Begleitungen nicht klarkommen wollte oder weil Monk Miles’ Wunsch nach einem Chorus ohne Piano als beleidigend empfand, wie Percy Heath berichtete. So setzt Monk hinter den Trompetensoli meist aus, was zu einem noch klareren Klangbild führt. Miles sagte später allerdings auch: „I love the way Monk plays and writes, but I can’t stand him behind me. He doesn’t give you any support.“
Doch zur Musik, denn die hat es in sich! Monks Solo in diesem ersten Take von „Bags’ Groove“ gilt als „Moment reinster Schönheit“, wie André Hodeir es formuliert hat, das Stück gilt überhaupt als eine der vollkommensten Jazzeinspielungen. Miles und Jackson gehörten in ihren Anfängen beide zum Kreis, der sich regelmässig bei Monk einfand, um vom Meister zu lernen (Henri Renaud berichtete einst, dass er sich am Klavier abmühte, schwierige Passagen aus Monks Prestige-Aufnahmen zu spielen – Monk sass dabei auf dem Sofa und habe ihm Note für Note diktiert, ohne einen einzigen Fehler). Kenny Clarke schliesslich war der Schlagzeuger, der einst neben Monk den Grundstock des rhythmischen Vokabulars des modernen Jazz gelegt hatte.
Milt Jacksons eingängiges Blues-Thema ist ein wiederholtes, viertaktiges Riff. Es klingt zugleich erdig und bluesig aber auch ganz modern und offen. Miles Davis betont in einem seinem Solo den Aspekt des Offenen. Er bläst ein schnörkelloses Solo von abstrakter Schönheit, in dem auf logische Weise aus einer Phrase die nächste wächst. Milt Jackson bringt danach den Blues-Aspekt an die Oberfläche, doch durch den Klang seines Instruments knüpft er zugleich direkt an die kühle Eleganz von Miles’ Trompete an. Monk folgt mit einem grandiosen Solo, in dem er die Akkorde von Jacksons Stück zu zerschiessen droht, es scheint, als wolle er die Tonalitätsgrenzen übertreten. Über den flexiblen Beat von Heath/Clarke spielt er ein Motiv aus zwei Tönen (C und F – ein Kritiker fragte damals, ob es sich um einen Witz handeln solle) und entwickelt es über zwei Chorusse. Dann erweitert er im dritten Chorus diese Entwicklung (aus dem C-F-Motiv bricht er mit einem Fis aus, klar) in rhythmischer wie melodischer Hinsicht, fügt im vierten eine Reihe rhythmisch kapriziöser Block-Akkorde hinzu und bohrt weiter bis an den Rand der Tonalität. Einmal mehr gibt es einen suggerierten Dreier über dem walkenden Vierer des Basses. Clarke entgeht anders als Blakey der Versuchung, auf die Klavierakzente stets zu reagieren, setzt sparsam eigene Akzente und kommentiert die Schnittpunkte zwischen dem Klavier und dem Bass, dessen four-to-the-bar quasi zum Kontrapunkt von Monks Solo werden. Dann setzt Monk einen Kontrast, lässt die linke Hand fast ganz weg und setzt weitere Akzente durch Triolen, die teils nur angedeutet werden aber klar zu fühlen sind – die Perfektion der Reduktion. Miles Davis spielt dann drei weitere Chorusse vor der Reprise, wieder ohne Piano. Sie fangen gewissermassen den Kontrast zwischen dem bluesig-sprudelnden Vibraphon und dem spröden, sperrigen Klavier wieder auf und leiten konsequent zum Abschluss über.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba