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gypsy-tail-wind
soulpope… mit Arcadi Volodos und unter dessen Fingern war das blos inhaltslose Kunstfertigkeit ….
Gut, soviel kann ich mit einiger Gewissheit sagen: an Kunst-(oder Finger-)fertigkeit dachte ich bei den bisher insgesamt fünf oder sechs (und zahlreichen teilweisen) Durchgängen gewiss nie.
wie schön, dass diese empfehlung direkt gefruchtet hat. zum charakter der musik schreibt herbert henck im booklet u.a. folgendes:
Ein erstes Durchblättern ließ das Notenbild vertraut und aus pianistisch-technischer Sicht mühelos spielbar erscheinen. Virtuoses, Ornamentales oder Spielerisches fehlte fast ganz, ebenso alles, was gewöhnlich zu den Errungenschaften moderner Musik zählt, wie etwa komplexe rhythmische Proportionen, häufige Taktwechsel, extreme Register, exzessive Dynamik, Häufung von Vorzeichen oder große Intervallsprünge.
(…)
Langsame Tempi überwogen, und die dynamischen Werte bewegten sich vor allem im leisen oder halblauten Bereich. Dramatische Steigerungen waren so die seltene Ausnahme. Alles schien auf Gleichmaß, Ruhe und sangbare Linien angelegt. Ausgewogenheit, Beschränkung und Unaufdringlichkeit standen im Vordergrund, und im Wesentlichen bestimmte ein Tonfall von Wehmut, Trauer, Stille oder Versenkung den Ausdruck der Musik.
Am Ende des ersten Heftes gab es einen Vermerk, in dem der Komponist die Schwierigkeit beschrieb, die wahre Bedeutung des Zyklustitels zu übersetzen. Mompou verwies dabei auf den spanischen Mystiker San Juan de la Cruz [Johannes vom Kreuz] (1542–1591), der in einem seiner Gedichte «La Música Callada, la Soledad Sonora» besungen hatte:
la noche sosegada,
en par de los levantes de la aurora,
la música callada,
la soledad sonora,
la cena que recrea y enamora;San Juan de la Cruz, Cántico espiritual
Er gleicht der Nacht, mit stiller Ruh gekrönet,
Die schon entgegen geht dem Morgenlicht;
Er ist Musik, die nur verschwiegen tönet,
Ist Einsamkeit, die süß in Klängen spricht,
Ein Abendmahl, das froh zu neuer Lieb’ erfrischt.Johannes vom Kreuz, Geistlicher Gesang II, 15
Übersetzung von Bernhard PanzramDe la Cruz habe hier versucht, so Mompou, die Idee einer Musik auszudrücken, welche die Stimme des Schweigens selbst sei: «à exprimer ainsi l’idée d’une musique qui serait la voix même du silence».
Allein dem zweiten Stück war ein Zitat aus dem Gedicht Les pas (aus den Poésies – Charmes, 1922) von Paul Valéry (1871–1945) vorangestellt:
Car j’ai vécu de vous attendre,
Et mon coeur n’était que vos pas.denn ich lebte vom Dich-Erwarten,
und mein Herz war nichts als dein Schritt.(Übersetzung von Rainer Maria Rilke)
(…)
Fast alle Stücke waren kurz und fanden auf ein oder zwei Seiten Platz. Gleichwohl schienen sie sich über ihr aufgezeichnetes Ende hinweg fortzusetzen, da der Komponist (zumindest in den ersten beiden Heften) konsequent auf den traditionellen Doppelstrich am Schluss der Stücke verzichtet hatte. Symbolisch führten Bögen an den letzten Noten ins Leere und bedeuteten, die pedalisierten Klänge von diesem Punkt an sich selbst zu überlassen und ihren eigenen Gesetzen nachzugeben, nach denen sie ausklingen und sich in Instrument und umgebendem Raum verlieren.
Die zerfließenden klangfarblichen Mischungen, deren mannigfaltige Schwingungen und Schwebungen sich der Notation entziehen, erschienen mir bald als Zentren dieser Musik, in denen sich das Vorangegangene sammelte und sich oft geradezu vom Materiellen und Sinnlichen ins Immaterielle und Geistige wandelte. Dieses Enden im Raum, im Leeren und Unfassbaren beeinflusste mein Hören und meine interpretatorische Ausarbeitung des Werkes nachhaltig. Die an den Schlüssen gemachte Klangerfahrung übertrug sich allmählich zurück ins Innere der Stücke, wo es häufiger bei einem mit Fermaten bezeichneten Innehalten einen vergleichbaren Stillstand der Klänge gab, und wirkte schließlich, begünstigt durch die langsamen Tempi, bis in das Verklingen einzelner Töne nach.
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