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Anonym
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Also wirklich, man kommt ja nicht mehr hinterher … Vielmals danke, gypsy, für’s Zurechtrücken! Den Gielen-Band, ich hatte ihn nur aus der Bibliothek geliehen, kann ich gleichfalls sehr empfehlen, auch eben für ein Exempel, wie aus vielen Querverbindungen, die sich aufwerfen lassen (gruenschnabel hat’s gesagt mit dem Zusammengehen von Biografischem), dennoch immer wieder ein zündendes Gespräch möglich ist, womöglich sogar gerade dadurch ermöglicht wird. Zum Buchrücken-Text möchte ich zustimmend ergänzen, dass in der Kunst Subjektivität immer den Anspruch auf Objektivität erhebt, die alte Geschichte des „Ansinnens“ einer Übereinstimmung in der Auffassung des Schönen – aber nicht die Oktroyierung einer Meinung. Darin liegt neben der gesetzlosen, raschen Auslegung an Stammtischen, von der wir uns hier doch sehr angenehm fernhalten, schlicht etwas Tröstliches.
Was die Werktreue betrifft, so stolpere ich seit jeher darüber: dass angeblich werktreue Interpretationen mir so unsäglich langweilig erscheinen können, andere – mit Freiheiten – gar nicht. Und ich meine nicht Brendel; mit ihm kann ich zuweilen schon etwas anfangen, aber seine Aversion gegen Gould halte ich für einen weisen Mann eher unpassend. Was mich nicht abhalten würde, ihn zu hören. Dies aber nur als Einstreu. Das Bizarre mag doch sein, dass eine Treue zu etwas gewahrt sein soll, das sich erst im Spiel überhaupt als etwas herausstellen kann, auf das erst dann Bezug genommen werden könnte, um ihm treu zu sein. Also so etwas wie die rhetorische Figur des Späteren vor dem Ersteren. Und was ist schon ein „Andante“? Man kann auf verschiedene Weise leicht bewegt latschen. Wo erweist sich da die Treue? Gewiss in den Noten, wie sie dann latschen, aber der Blick ist nun einmal gelenkt, ein Wirrspiel fast zwischen Notentext und Interpretenaugen. Jeder Jeck machts anders: Arrau hat die halbe Kulturgeschichte, habe ich gelesen, um ein Werk und den Komponisten herum gelesen, trotzdem ist ihm auch nicht mehr Grandioses gelungen (die Etudes von Chopin!, die Préludes, die ich ihm fast nicht zugetraut hätte) – ich meine Inselgeschichten – als anderen, die weniger belesen waren. Und von Allegri zu schweigen, was für ein Gehüpfe ist möglich und erst so etwas wie das Prestissimo in op. 109 von Beethoven oder der Schlusssatz aus Chopins zweiter Klaviersonate, in dem fast nichts übrig bleiben darf.
Wenn da nun jemand etwas „verbessert“, tut er es aus dem weiteren Gang der Dinge heraus. So gesehen könnte man auch sagen – aber immer unter der Voraussetzung, dass einem teleologisches Denken zumindest für eine Weile gefällt -, dass Mendelssohn Beethovens Streichquartette verbessert hat, oder Beethoven diejenigen Mozarts. In der Regel spricht man da eher von „Einfluss“. Aber ein Interpret könnte ja doch einfach seine Einflüsse auch ausdehnen und Werktreue würde dann Abweichungen vom Notentext zulassen, nicht so sehr im moralischen Sinn des Verbesserns, sondern in der schlichten Bemühung ums „Sehen“, wie die Dinge sein können. Ein Ansinnen eben, ein Vorschlag. Wo jeder die Grenze zur Albernheit zieht, steht dann wieder auf einem anderen Blatt.
Dass Tschaikowsky die fünfte Symphonie für misslungen hielt, könnte ein Zeichen dafür sein, dass er an einem wunden Punkt war. Gewöhnlich kommt man mit ihnen nicht klar, sondern ist wund. (Es würde mich nicht wundern, wenn Svetlanov genau das herausgetrieben hat damals.) Ich habe da tatsächlich keine Ahnung, aber wie hat die Sechste Abhilfe schaffen können, für Tschaikowsky? Und, gruenschnabel, kennst Du die „Symphonie Pathétique“ von Klaus Mann? Das ist so lange her, dass ich das Buch gelesen habe, ich erinnere mich aber sehr gut an den Versuch, aus dem Komponisten herauszuschauen beim Komponieren. Das gelang Klaus Mann, immer auf Abgrenzung zum Herrn Papa bedacht, der in Ironie, wenn auch etwas langweiliger, bewanderter war, vielleicht. Also, Einstreu zwei, Klaus Mann kannte keine Ironie. Tschaikowsky vermutlich, so wie ich ihn bisher gehört habe, auch nicht.
Nicht, dass Ironie erforderlich wäre, um Himmels willen. Und Ironie erleichtert auch nicht das Scheitern. Es sind die Gedankengesten, die man einnehmen kann, und auch eine Fixierung auf eine Treue zum Werk, das schlichterdings nicht so existiert wie ein Apfel auf dem Tisch (pardon, Cézanne et al. würden mich hier zerfleischen, ich sags ja auch nur zum Reizen), ist eine gedankliche Geste. Eine Selbstorientierung, die das Selbst – gleiche Geschichte wie mit dem Werk – auch erst herstellt in der Orientierung. Und diese Gedankengesten werden dann übersetzt in Sprachen: musikologische, metaphorische, meinende. Es bleibt das Kaleidoskop. Und z. B. die Befriedigung, wenn Leute wie Kopatchinskaja auftauchen.
Das Mozartkonzert – unter Walter Susskind (Süßkind) – ist wirklich das viele Hören wert. Es gibt noch andere Mitschnitte, aber entscheidend ist die Sache unter Susskind. Und ich rätsele jetzt mal weiter, warum die Juilliards damals keinen Bock mehr auf Gould bei Schumann hatten (Bernstein hat dann übernommen).
Gould nehme ihnen das Heft aus der Hand, sagte man. Glaube ich ja nicht, also gut, noch einmal.
Ja, und Horszowski mit dem WTK. Warum hat er nicht auch noch das Zweite Buch eingespielt, bitteschön? Der Mann hat eine rätselhafte Diskografie, fast so, als hätte er meist anderes zu tun gehabt als Platten aufzunehmen.
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