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Gut, ich habe jetzt mal alles, was ich eigentlich noch erledigen müsste, links liegen gelassen, mir eine Flasche Wein aufgemacht und ein paar unqualifizierte Bemerkungen in die Tastatur gehackt. Dein Blindfoldtest hat mich jedenfalls die letzten Tage auf dem Weg zur und von der Arbeit begleitet und mir insgesamt sehr gut gefallen.
Hier nun meine kurzen Eindrücke (ohne Anspruch irgendetwas irgendwie erkennen zu können; aber das ist ja auch nicht der Sinn des Spiels):
Track 01
Einen Blindfoldtest mit einer gehörigen Portion Humor zu beginnen finde ich ja immer gut. Hier hat es allerdings lange gedauert, bis ich auf den Trichter gekommen bin. Erste Gedanken waren: da zählt jemand Ayler zu seinen großen Vorbildern und arbeitet sich an prägnanten Folkmelodien ab. Irgendwann klappte mir dann die Kinnlade herunter und ich war wieder fünf. Alleine für diesen Moment der Erkenntnis: Danke! Wieder mal ein sehr sympathischer Einstiegstrack in einen deiner Blindfoldtests.
Track 02
Und hier sind wir gleich tief in den 60ern gelandet. Hat auch etwas Exotica-Flair und Surf-Bass. So richtig mag mich das nicht umreißen, aber vielleicht auch nur, weil hier die Komfortzone so klar definiert bleibt.
Track 03
Ein bizarres Ding, Track im Track. Wird zuerst noch der Soundtrack einer 70er-Jahre Serie evoziert (incl. schnellen Zooms auf fahrende Autos, die Brücken überqueren), gibt es doch schnell eine Wendung ins Kontemplative. Der Bass bleibt das verbindende Element (und groovy), aber Geige und Flöte stimmen ein Lamento an. Auch bei der neuerlichen Wendung ab 3:00 muss ich wieder verstärkt an eine Fernsehserie denken, wahrscheinlich tue ich der Musik furchtbar unrecht.
Track 04
Uh, das hat sich mit jedem Hören mehr und mehr zu meinem heimlichen Hit gemausert. Das Banjo ist mir auch erst beim zweiten Hören wirklich aufgefallen (und dann aber!), aber die jungle growl trumpet habe ich sofort ins Herz geschlossen. Um Kontinuität zu wahren und den Strang der Erinnerung an Fernsehserien fortzuführen: hier musste ich stark an die Muppet Show denken, die hatten teils ähnlich bezaubernd eingängige Stücke im Repertoire, während gleichzeitig puschelige Monster tanzten oder motorisch den Unterschied zwischen „Vorne“ und „Hinten“ demonstrierten. Eine große Nummer. (Ach ja, das Tambourin hat es mir auch verdammt angetan, hach.)
Track 05
Das hier ist dann wohl eher neueren Datums? Die Rhythmusgruppe Bass/Drums gefallen mir sehr gut, vor allem der Drummer, der einen sehr flächigen Swing hat und doch auch irgendwie so ein Avantgarde-Feeling mit reinbringt. Zum Piano habe ich irgendwie nicht so recht eine Meinung entwickeln können, der Saxophonist wusste mich auf die kurze Dauer nicht so recht zu überzeugen. Ist das eine Combo ohne Leader, oder täuscht der kurze Track?
Track 06
Hard Bop meets Post Bop oder so. Das Stück entwickelt einen tollen Sog, der mich auch über die vollen 8 Minuten trägt. Das Trompetensolo gefällt mir sehr gut, hat so einen Dorham-Vibe, so etwas klassisch-bescheidenes und dabei einen tollen Ton. Das Saxophon bratzt dann da so leicht drüber, legt halt aber auch einen höheren Gang ein. Warum das Posaunensolo klangtechnisch so versteckt wird erschließt sich mir nicht ganz, oder soll es das Basssolo vorbereiten? Jedenfalls: irgendetwas an diesem Pianisten finde ich kurios; ist mir zuerst im Solo aufgefallen, das irgendwie untypisch klingt, und hat sich dann, in der Rückschau, eigentlich durch den ganzen Track gezogen. (Zudem klingt das Klavier ähnlich wie das kaputte Ding, das Waldron in den tollen Five Spot Aufnahmen spielt.)
Track 07
Erste Assoziation ist natürlich AEOC, zumindest sind hier Leute am Werk, die Sound auf ähnlich vielfältige Art definieren und vornehmlich Klanglandschaften kreieren. Die Flöte treibt das Ganze leider für mich unnötig in den Kitschbereich hinein; dafür ist der Bass ein absolutes Highlight! Oder sind das zwei Bässe? Ein Bass und ein Cello? Das Vibraphon setzt dann immer wieder tolle Farbtupfer, aber diese Flöte (und dann noch gedoppelt), nein, die geht nicht wirklich für mich. Wer der Bassist ist, würde mich aber wirklich interessieren! Insgesamt überwiegt die positive Grundstimmung aber schon für mich.
Track 08
Gleich zu Anfang zwei absolut widersprüchliche Empfindungen: toller Trompetenton! Fürchterliche Gitarreneffekte! Mit so perlenden Chorus-Effekten auf der Gitarre kann man mich leider echt jagen, das verhagelt mir hier schon einiges. Versuche ich die linke Seite auszublenden, bleibt aber eigentlich eine spannende Mischung aus den nervös agilen Drums, einem gleichmütigen Bass und eben diesem Trompetenton (der mich ein wenig an Stanko erinnert, aber ich kenne nur wenig von ihm; vielleicht ist es aber auch eine ECM Aufnahme und sie haben die Trompete ähnlich aufgenommen?).
Nach zwei Dritteln wechselt der Track dann komplett und bekommt eher so ein LoFi-Indie-Pop-Flair. selbst Stanko klingt auf einmal wie Matthew Halsall. Die Gitarre klingt etwas cleaner und ist auch gleich viel angenehmer. Dieses Lick, das stetig wiederholt wird und auch den Ausklang bildet, ist irgendwie eine merkwürdige Wahl. Gerade wenn man es alleine hört, wirkt es etwas uninspiriert. Dass der Rest der Instrumente ausfadet, während die Gitarre noch weiter spielt, könnte darauf hindeuten, dass hier Track by Track aufgenommen wurde (zumindest der zweite Teil), was allerdings sehr unüblich für Jazzrecordings wäre.
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