Antwort auf: 2016: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Unerhört! 2016 – WIM, Zürich – 24.11.

Der zweite und leider letzte Abend, den ich dieses Jahr am Unerhört besuchte, stellte sich ebenfalls als sehr lohnenswert heraus. Tobias Delius hatte ich vor ein paar Wochen ja bereits in Basel gehört (klick) und davor vor elf Jahren auch schon am Unerhört mit dem ICP Orchestra. Schon damals hinterliess Delius einen hervorragenden Eindruck und – aufgrund des kurzen Festivalsets – Lust auf mehr.

Dass es also endlich mal klappte, ihn in angemessenem Rahmen hören zu können, war umso schöner. Den Auftakt des Abends in der kleinen Werkstatt für improvisierte Musik machte Peter K. Frey, solo am Kontrabass. Frey gehört zu den Gründern der WIM und im Publikum sassen verschiedene vertraute Gesichter der Zürcher Szene, darunter die Pianistinnen Gabriela Friedli und Irène Schweizer, die Schlagzeuger Dieter Ulrich und Christian Wolfahrt, der Elektrobassist Jan Schlegel oder der Saxophonist Omri Ziegele, der als Mitinitiator von Unerhört auch die Ansage machte. Frey spielte ein leises Set, das auf zurückhaltende Art aber recht intensiv wurde und mich wohl nach einer Viertelstunde hereinzog.

Nach der Pause dann das Trio Booklet, das sind: Tobias Delius (ts, cl), Joe Williamson (b) und Steve Heather (d). Heather sass an demselben sehr besonderen Kit, das Michael Griener am Vorabend beim Konzert mit Eskelin und Weber schon gespielt hatte – eine sehr schmale Bass-Drum (vielleicht 20 cm zwischen den Fellen), eine ganz flache Snare (wenig mehr als 5 cm), zwei flache Toms (ich dachte zunächst sogar, das seien weitere Snares, sie haben etwa die Höhe normaler Snares), dazu ein Hi-Hat und zwei weitere Becken (keines davon ein riesiges Ride). Nach dem Konzert ergab sich die Gelegenheit zu einer kurzen Unterhaltung mit Griener, dessen Kit eben darauf angelegt ist, dass er in einer unverstärkten Situation zulangen kann, ohne permanent Angst haben zu müssen, die anderen Musiker zuzudecken, was wie er meinte gerade bei Eskelin unglaublich gut ankomme – eine solche Rhythmusgruppe, also Weber/Griener, gäbe es in New York nicht, und nachdem mal das Eis gebrochen gewesen sei, hätte das Zusammenspiel allen dreien grosses Vergnügen bereitet … hoffen wir, dass die neue Intakt-CD dem Trio etwas Auftrieb gibt und zu weiteren Auftritten führen wird, es wäre zu schade, wenn diese hervorragende Kombination nicht öfter zu hören wäre!

Aber gut, Booklet: Delius stand praktisch vor meiner Nase und es war phantastisch (wie schon bei Eskelin am Vorabend) aus der Nähe die ganzen Nuancen und tonalen Schattierungen, das Spiel mit dem Atem, den mechanischen Geräuschen zu hören, das bei Delius ja nicht alleine kommt sondern in die Töne eingebettet und integriert wird. Das Trio machte sofort Dampf, es präsentierte ein äusserst variantenreiches Set, das von freien Passagen bis nach Südafrika reichte. Aus einfachsten Grooves (einmal klöppelte Heather einen Beat fast wie auf Miles‘ „In a Silent Way“) entwickelten sich Bögen, die aber immer wieder unerwartete Haken schlugen – vom Verschwurbelt-Verspielten zum melodisch-motivischen Tenorsaxophon mit der Souveränität eines Sonny Rollins innert weniger Sekunden. Sehr toll auch, wie offen das Trio aufeinander reagiert, im permanenten Wachzustand und natürlich auch mit der Souveränität, etwas laufen zu lassen – man braucht ja nicht auf jeden Hinweis, jedes Angebot der anderen beiden einzugehen, auch im Interplay liegt die Würze oft in der Auswahl.

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