Miles Davis

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  • #9949879  | PERMALINK

    vorgarten

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    soulpope
    Da beschreibst Du Deine Eindrücke des Wiener 73er Auftrittes trefflich …. bravo !!!!

    warst du damals live dabei?

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    #9949915  | PERMALINK

    soulpope
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    vorgarten

    soulpope Da beschreibst Du Deine Eindrücke des Wiener 73er Auftrittes trefflich …. bravo !!!!

    warst du damals live dabei?

    Ja …. aber nahegekommen ist mir das – zumindest damals – nicht …. es war als wäre ein Raumschiff gelandet – kurz …. ich habe erst viel später durch die Bootlegs sukzessive den Inhalt meiner Zeitzeugenschaft begriffen …. aber unmittelbare Nähe ist daraus bis heute nicht geworden – was aber mglw auch gar nicht die Intention des Raumschiffkommandanten war ….

    zuletzt geändert von soulpope

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9949939  | PERMALINK

    vorgarten

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    wow. da würde mich ja ein etwas ausführlicherer bericht sehr interessieren. mit welchen erwartungen ist man damals dahin gegangen? was für einen reim hat man sich daruf gemacht? wenn du magst…

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    #9950003  | PERMALINK

    vorgarten

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    19. juni 1974. „he loved him madly“.

    die band im studio, um die 32-minütige erinnerung an duke ellington aufzunehmen, der am 24. mai gestorben war. losin zählt ganze 33 fragmente, aus denen macero später das stück zusammengesetzt hat, das sich auf selbstbewusste weise als artefakt kenntlich macht und doch organisch wirkt.

    die ersten elf minuten bestehen aus collagierten, mäandernden linien von gaumont über mysteriösen orgelakkorden von miles. mtumes conga ist als zusätzliche ebene auf beide kanäle als klangfläche verteilt; al foster spielt kurze trauermarsch-hafte wirbel. die intimität der atmosphäre evoziert ein nachtstück, in der ein paar sounds gegen die stille gesetzt werden.

    nach 11 minuten setzt foster einen sparsamen beat, aus wenig mehr als aus gleichzeitig leise angeschlagenen hi-hat und snare. henderson federt etwas mit, mtume wird in die live-ebene des beats hineingezogen, lucas setzt sparsame verminderte akkorde. die meisten sounds haben einen nachhall, klingen wie aus einem entfernten raum. zwei minuten später ein melancholisches kurzes solo von liebman auf der flöte. ab minute 16 übernimmt miles – todtraurig, mit echo und durch den wahwah-filter, in sich zurückgezogen; behutsam motive weiterentwickelnd.

    nach 20 minuten wird der beat kurz wieder mit vom ersten rubato-teil abgelöst, das liebman-solo kommt wieder, der beat wird wieder aufgegriffen und intensiviert sich langsam. lucas wird dominanter, doch dann lassen sie es wieder mit der dramatisierung. es kommen wieder fragmente vom anfang, ein paar linien von gaumont, nochmal der beginn des liebman-solos, kurzes aussetzen des beats. wir befinden uns in einer geloopten entwicklungsstörung, die immer wieder von auf- und zusammenbruch erzählt. erst um 25 minuten herum geht es mit der groove-intensivierung von foster weiter, werden ein paar ideen von gaumont weiterverfolgt – dann sind wir in einem neuen teil, miles übernimmt, ein zittern im raum. foster wechselt die frequenz der hi-hat-schläge, mtumes spiel wird auch aufwendiger, lucas bleibt jetzt auf einem akkord. ganz subtil zieht die ganze band die schraube an, während miles für sich trauert und dann mehr und mehr in den groove findet. tatsächlich sind sie um die 30-minuten-marke zusammen wieder in einem komplexen funk-gerüst, bevor macero die coda zusammenmontiert – aus schimmernder orgel, gaumont-kürzeln, wahwah-akzenten von henderson, während foster auf dem funk-beat beharrt. ein teil davon läuft weiter, während fragmente vom anfang hinzukommen, der schlussakkord: ein sanfter orgelcluster. ein spektakulär subtil zusammengebautes stück trauerarbeit.


    einen tag später versucht die band, noch das stück „dominique“ aufzunehmen, ein feature für den neuen gitarristen. es überleben ca. 30 minuten, auf denen nur gaumont, lucas, henderson und foster zu hören sind, laut losin ein mäandernder, ergebnisloser jam, der es noch nicht einmal auf die COMPLETE ON THE CORNER SESSIONS geschafft hat.

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    #9950007  | PERMALINK

    vorgarten

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    Shortly after I returned from Ghana, Robert Quine gave me a copy of Miles Davis’ “He Loved Him Madly”. Teo Macero’s revolutionary production on that piece seemed to me to have the “spacious” quality I was after, and like “Amarcord”, it too became a touchstone to which I returned frequently.

    brian eno, essay über seine eigene produktion „on land“ (1982).

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    #9950013  | PERMALINK

    soulpope
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    vorgartenwow. da würde mich ja ein etwas ausführlicherer bericht sehr interessieren. mit welchen erwartungen ist man damals dahin gegangen? was für einen reim hat man sich daruf gemacht? wenn du magst…

    Ich war damals 14 und durch den (zumindest zu diesem Thema  ;-) ….) Vorteil einer 2 Jahre älteren Schwester durfte ich mit deren „Partie“ zu Konzerten mitgehen (das war ja damals zum Theme „Jugendschutz“ ja auch bei Konzerten ein Thema) …. jetzt waren diese Jungs musikalisch ziemlich breit aufgestellt und so hörte ich um dieses Miles Davis Konzert herum so Unterschiedliches wie Pink Floyd („Dark Side Of The Moon“ New Release Tour), Deep Purple, Uriah Heep, Emerson Lake & Palmer, Woody Shaw/Benny Maupin Quintett oder einige Abende hintereinander Art Farmer mit Jimmy Heath + Fritz Pauer + Jimmy Woode + Erich Bachträgl (an einem Abend spielte Roy Brooks die späteren Sets) im Wiener Jazzland etc …. mein Zugang damals war „expect the unexpected“ und das war – retrospektiv gesehen – bei dem Miles Davis Konzert wohl eh ein brauchbarer Ansatz …. jetzt musst Du Dir noch vorstellen dass dieses Konzert in der Wiener Stadthalle stattfand

    einem architektonisch wertigen Bauwerk aus der Feder von Roland Rainer, jedoch mit einer akustisch (insbesondere für elektronisch verstärkte Musik) vollkommen ungeeigneten Konzerthalle

    ausgestattet.

    Also verzerrter, dumpfer Klang und dunkel wars bei diesem Konzert (aus Erinnerung) auch – insoferne ist mein in der Vorpost beschriebene Ersteindruck mit dem Raumschiff – welches unter lautem Getöse landet, einen leicht autistisch wirkenden Kommandanten zu haben schien und dessen Antrieb während seiner Landedauer trotzdem körperliche Wärme vermittelte – recht treffend.

    Weiter kann ich nicht mehr abstrahieren, da sich die Erinnerungen mit den späteren Erkennnissen und so bedungenen Sichtweisen vermischen ….

    zuletzt geändert von soulpope

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9950031  | PERMALINK

    vorgarten

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    toller bericht, vielen dank! ich denke mal, „expect the unexpected“ gehörte 1973 noch zu den grundtugenden von musikfans. aber was diese konzerthalle angeht, frage ich mich ja generell, wo diese band eigentlich damals live eigentlich adäquat zur geltung kommen konnte. außer auf den vielen spuren der maceroschen aufnahmegeräte natürlich.

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    #9950041  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    vorgartentoller bericht, vielen dank! ich denke mal, „expect the unexpected“ gehörte 1973 noch zu den grundtugenden von musikfans. aber was diese konzerthalle angeht, frage ich mich ja generell, wo diese band eigentlich damals live eigentlich adäquat zur geltung kommen konnte. außer auf den vielen spuren der maceroschen aufnahmegeräte natürlich.

    Ich denke die meisten Konzerthallen ware nicht für diese Musik konzeptiv ausgelegt – so waren es mglw Open Air Konzerte welche (einen erleuchteten „Regler“ am Mischpult vorausgesetzt) hier auch klanglich bessere Ergebnisse zeitigten …. ich hörte ja (viel)mehr als 10 Jahre später Miles Davis mit seiner „Tutu“ Tour auf dem Jazzfest in Wiesen und dieses Konzert (begann so um 02.00 in der Früh, die Freiluftbühne war de facto mitten im Wald und es begannen sich langsam Nebel zu senken ….) war  – auch klanglich – eine situative Sternstunde (sag ma mal  ;-) ) ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9950069  | PERMALINK

    vorgarten

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    wieder ein dumpfer mitschnitt aus dieser zeit. miles‘ gesundheits- und damit verbundene drogenprobleme sorgen dafür, dass die band ihre konzert- und studiotätigkeiten zurückfährt. dave liebman steigt nach seinem abschiedsgeschenk auf „he loved him madly“ aus der band aus – er hat mittlerweile eine eigene gegründet und schon zwei alben auf ecm aufgenommen. als ersatz wird sonny fortune verpflichtet, der immerhin schon 35 ist und vorher in der band von mccoy tyner war.

    der mitschnitt aus boston ist ausgerechnet bei dem konzert entstanden, bei dem dominique gaumont aus ungeklärten gründen nicht dabei war. auch sonst kann man nicht beurteilen, wie repräsentativ dieser ausschnitt ist. deutlich wird, dass die band fast ausschließlich in einem langsamen verschleppten funk unterwegs ist, mit viel raum für soundexperimente, einer eher mitbewegten als tatsächlich draufsitzenden trompete. minutenlang sind verzerrte geloopte rückkopplungen von cosey zu hören, von der orgel aufgegriffen, mit verstärkerrauschen und einsätzen der drum machine. de facto bestehen die letzten 10 minuten des mitschnitts nur aus solchen effekten. miles‘ studio der elektronischen klangkunst.

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    #9950125  | PERMALINK

    vorgarten

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    7. oktober 1974. „mtume“, „maiysha“.

    wieder im studio, diesmal zu einer äußerst produktiven session. zunächst entsteht das tribalistisch-tranceartige „mtume“ als feature für den percussionisten. der trademark-teppich wird von fosters halbgeschlossener hi-hat ergänzt, außerdem gibt es auf der 4 einen schlag auf die snare. lucas spielt seine geräuschhaft-funkige rhythmusgitarre (nur ein akkord), cosey (?) begleitet auf dem doppelgong, miles mit schrägen orgelakkorden, gaumont (?) wiederholt flüssig im groove ein einziges motiv. das ganze funktioniert großartig. es gib aber auch einen b-teil, der von einem full stop der band eingeleitet wird, eine art refrain aus vier abwärts seufzenden akkorden, für die foster dezent rockig den beat wechselt.

    erst nach ca. 7 minuten gibt es so etwas wie ein trompetensolo, das aber auch nur aus einem variierten motiv besteht. so baut sich aus patterns ein groove zusammen, in dem sich nur in kleinen momenten einzelne stimmen kurz befreien, bis cosey die sache mit einem durch noise-schichten hindurchgepresstes solo an sich reißt. bei 12:30 dann ein orgelakkord, full stop, geräuscheffekte, alles über dem originalgroove, akzentverschiebung bei lucas, das stück bekommt etwas tänzelndes, nochmal die einzelnen motive, schluss nach 15 minuten.

    auf der ON THE CORNER SESSION box gibt es noch den track 11 von „mtume“, da liegt der akzent auf einem schönen, coltranesken sopransax-solo von fortune und einem weiteren von miles. für den veröffentlichten track reichen der groove und die trance.

    „maiysha“ ist demgegenüber eine ziemliche überraschung. ein loser bossa-rhythmus, eine cheesige freddie-stone-gitarrenbegleitung von lucas, eine miles-orgel, die tatsächlich popakkorde vorgibt (allerdings mit der ganzen hand gespielt und ziemlich unberechenbar in ihren akkordwechseln). die percussion tut gar nicht erst so, als würde sie diese etwas biedere vorlage ernst nehmen. der verschrobene blaxpoitation-soundtrack wird über fast 10 minuten entwickelt, lasziv, halbernst, bekifft, ohne druck zu erzeugen. die simple melodie wird von miles verzerrt, abgekämpft und schleppend draufgesetzt, was in entschiedenem gegensatz zum leichten latin-muster der vorlage steht. fortune darf ein flötensolo beisteuern, das sich wiederum genau an dieses muster hält, aber gegen die cluster-orgel kaum ankommt.

    bei 9:40 plötzlich ein wechsel. ein r&b-riff, ein gerader schlagzeuggroove, der allerdings im wechsel mal auf 1 und 3, mal auf 2 und 4 betont wird. ein zittriges, fast opernhaftes gitarrensolo erklingt (cosey? gaumont?), das immer geräuschhafter wird. dazu abstürzende orgelcluster. henderson spielt bass-riffs wie aus dem lehrbuch, lucas bietet am ende sogar noch reggae-impulse an. ernstnehmen kann man diese entwicklung nicht wirklich, aber womit man hier, 1974, auch am wenigsten bei dieser band rechnet, ist humor.

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    #9951545  | PERMALINK

    friedrich

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    vorgarten
    19. juni 1974. „he loved him madly“.
    (…) ein spektakulär subtil zusammengebautes stück trauerarbeit.

    Ein Stück, das ich sehr mag!

    Es mag spektakulär zusammengebaut sein, aber es klingt sublim und hängt eigentlich bloß wie eine Athmosphäre im Raum. Aber diesen Raum füllt es dann auch aus, lässt die Zeit stillstehen und versetzt den Hörer in einen anderen Gemütszustand. Eine Meditation.

    Btw: Der Brian Eno-Hinweis gefällt mir. Aber weder Miles Davis noch Brian Eno haben die Ambient-Musik erfunden. Hat natürlich keiner erfunden, gab’s wohl schon immer. Zufälligerweise habe ich den liner notes von Bobby Hutchersons Happenings gelesen, dass BH sich mit dem Stück Bouquet auf Eric Satie bezieht. Tatsächlich: Musik wie ein Duft im Raum.

    vorgarten
    7. oktober 1974. „mtume“, „maiysha“.
    (…)
    „maiysha“ ist demgegenüber eine ziemliche überraschung. ein loser bossa-rhythmus, eine cheesige freddie-stone-gitarrenbegleitung von lucas, eine miles-orgel, die tatsächlich popakkorde vorgibt (allerdings mit der ganzen hand gespielt und ziemlich unberechenbar in ihren akkordwechseln). die percussion tut gar nicht erst so, als würde sie diese etwas biedere vorlage ernst nehmen. (…)
    bei 9:40 plötzlich ein wechsel. ein r&b-riff, (…). henderson spielt bass-riffs wie aus dem lehrbuch, lucas bietet am ende sogar noch reggae-impulse an. ernstnehmen kann man diese entwicklung nicht wirklich, aber womit man hier, 1974, auch am wenigsten bei dieser band rechnet, ist humor.

    Und noch ein Stück, das ich sehr mag. Völlig anders als He Loved Him Madly und ich mag es auch aus ganz anderen Gründen. Maiysha klingt in dieser Miles-Periode wirklich überraschend, ungewöhnlich leicht, vergleichsweise konventionell, melodisch und heiter. Gerade das macht es in diesem Kontext aber auch wieder zu etwas besonderem.

    @soulpope: Wow!

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    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #9951939  | PERMALINK

    vorgarten

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    6. november 1974. „hip skip“, „what they do“.

    nichts wirklich neues passiert bei dieser session, abgesehen davon, dass al foster zu spät kommt und sich pete cosey bei „hip skip“ vertretungsweise an die drums setzt. er spielt einen simplen shuffle-rhythmus, zu dem es ein ebenso simples bass-riff gibt und ein gewohnt simples thema, das bereits an „jean-pierre“ erinnert. beides wird von einem synthesizer vorgestellt, der allerdings eher so klingt, als würde etwas durch ihn hindurch gespielt.
    die soli sind unspektakulär, die dramaturgie alles andere als spannend. erst miles, dann der rätselhafte synthesizer, wahrscheinlich von einer gitarre angesteuert, denn das solo geht in ein gitarrensolo über. da man lucas in der begleitung hört und cosey an den drums sitzt, muss also der urheber dominique gaumont sein, nach overdubs klingt es hier eigentlich nicht. von cosey ist bekannt, dass er einen ems synthi a benutzt hat und z.t. auch von der gitarre ansteuern konnte, wahrscheinlich hat er dem kollegen das device für diese aufnahme überlassen.
    fortune ist an der flöte zu hören, lucas darf auch ein bisschen solieren. mit 19 minuten fällt das alles ziemlich lang aus. das thema ist immerhin so catchy, dass es sich auch als live-material eignet.

    „what they do“ wird hörbar wieder von al foster angetrieben. ein krawalliger funk auf 12 minuten, ohne riff, ohne thema, auf einem akkord. das einzige strukturelement: ein exaktes stop-and-go-spiel, das mit den soli abgestimmt ist, die ebenfalls abbrechen und raum für zwischenspiele lassen (congas, manipulierte orgelsounds, sowas eben). so schön das in seiner funktionalität ist, so schön der krach, den die gitarristen und die elektronisch verzerrten instrumente von fortune und miles machen, ausfällt – viel mehr als ein jam ist das nicht.

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    #9952017  | PERMALINK

    vorgarten

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    die band ist wieder in den usa unterwegs, hier im new yorker bottom line am 18. november 1974 (das youtube-datum ist laut losin falsch). wir hören eine aufnahme aus dem publikum, die erneut wenig transparenz hat, auffällig ist aber, wie punktgenau hier alles sitzt und groovt und wie wenig experimentell die sounds hier sind. „hip skip“ ist ins programm eingearbeitet, foster spielt den beat halb so schnell, außerdem gibt es das kickende bassriff nicht mehr – übrig bleibt das thema in neuer, melancholisch schöner akkord-verkleidung, wie eine nicht mehr endende coda – doch kann kommt auch noch der krawall von „what they do“, mit mtumes üblichen conga-solo als schlusspunkt.

    gaumont ist hier noch dabei, wird aber laut losin im dezember „gefeuert“. die japantour im januar und februar 1975 bestreitet die band wieder als septett.

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    #9953275  | PERMALINK

    vorgarten

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    22. januar 1975. auftaktkonzert der japan-tour in tokio. zehn tage vor den aufnahmen aus osaka, aus denen macero dann AGHARTA und PANGAEA schneiderte. die berichte über davis‘ verfassung klingen gruselig – herausspringende hüften, blutende geschwüre, lungenentzündung, kehlkopftumore. die konsequenzen der schmerzmittel, drogen und alkoholika. das wahwah-pedal auf dem boden muss er teilweise mit der hand bedienen. man hört: spieltechnisch ist er nicht auf der höhe – aber, wie üblich: das timing sitzt.

    und die band, hier ohne die effektabmischung der live-alben, in ziemlich transparenter mischpultaufzeichnung hörbar, ist fantastisch aufeinander eingespielt und greift nach den sternen. die grooves sind perfekt und laufen von selbst. sonny fortune hat tatsächlich ein konzept für seine soli gefunden, das als balance zwischen nachdenklichem hineinarbeiten, schönen verzierungen und großer klimax-show austariert ist. cosey bringt – oft im dialog mit der cluster-orgel von miles – aus dem handgelenk seine effektpalette zum einsatz, inklusive verzerrter daumenklaviere, geräuschwänden, hardrockgemäßen riffbegleitungen. er ist trocken im klangbild, nicht wie bei macero gleich in den weltraum gemischt. lucas hat in jedem moment das perfekte timing und den perfekten sound, das ist auf ganz zurückhaltende weise wirklich große gitarrenkunst. das programm ist viel farbiger geworden und nicht mehr nur funk – die leichtigkeit von „mayisha“, die geheimnisvolle atmosphäre von „ife“, die perkussive trance von „mtume“ wechseln sich kurzweilig und souverän ab, den schlusspunkt setzt jetzt das wunderbar sanft arrangierte „hip skip“.

    das außerirdische, das immer übrig bleibt, wenn man nur mal zwischendurch AGHARTA anhört, wird so auf seine irdischen zutaten zurückführbar. es ist einfach eine großartige band, in der jeder weiß, was er macht.

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    #9953333  | PERMALINK

    vorgarten

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    1. februar 1975. osaka. nachmittagskonzert.

    das riff von „funk“, auf der orgel. dann setzt punktgenau und lässig die band ein. wenn man die original-lp-abmischungen (laut!!) hört, kriegt man mit, wie sich die gitarrensounds von lucas und cosey ineinandersägen und dann mit der miles-orgel verschmelzen. macero bleibt bei seinen grundrezepten – die conga als trance-teppich verteilt, die drums schießen von hinten nach vorne, im zentrum der bass von henderson. darüber hinaus verschiebt sich das klangbild sehr kunstvoll vom echolastigen hallensound bis in die trockenste unmittelbarkeit, als würde sich die band in einer abstellkammer stapeln. miles macht wenig mehr als das thema zu variieren, staccato, dann in langen linien, ständig von mtume kommentiert und von macero durch den raum geschickt. feedbacks, schreie, auf dem unglaublichen druck, den henderson erzeugt. dann kommt fortune mit einem großartig schlüssigen altsax-solo, für das er auch ein bisschen raum bekommt – cosey bleibt still oder akzentuiert mit percussion. fortune tanzt sich, über spielpausen der band hinweg, in einen absolut zwingenden höhepunkt, den miles mit clusterakkorden provoziert. cosey übernimmt sofort, macero verschafft ihm ein kanalübergreifendes echo. fantastisches solo, gepresste sounds, in klirrende destruktion ausfransend, eine sich selbst zersetzende angeber-gitarre. lucas macht dazu nicht mehr als verstärkerrauschen mit wahwah. am ende lässt cosey töne im geräusch verschwinden, zusammenpressen, im pianissimo. dann setzen unfassbar cool foster, henderson und lucas ein, während von cosey noch ein paar leise elektrostatische entladungen kommen. die orgel sägt sich durchs geschehen. abwarten, auf einem akkord. miles spielt noch mal das thema und leitet dann zum „agharta prelude“ über.
    fortune soliert etwas weniger inspiriert auf dem sopran, während die band tatsächlich funk in großbuchstaben spielt – henderson slappt sogar. ein weiteres cosey-solo fräst dich hindurch(und macero schaltet daazu hall ein und aus, um die unwirklichkeit der ausbrüche zu betonen, die die band dagegen sehr lässig aufgreift). danach groovt es ein bisschen aus, mit einem conga-solo.
    orgel und „maiysha“. feedbacks im bossa. ein schönes flötensolo lotet die tänzerisches potentiale der komposition aus, dann kommt der rockige b-teil und natürlich der solo-raum für cosey. im a-teil ist erstmals die trompete von miles zu hören, etwas unsicher, sich aber dann zu schönen melodischen einfällen aufschwingend. die dramaturgie wechselt noch ein bisschen zwischen a- und b-teil, coseys schweinesoli und fortunes tänzerischer flöte, endet schließlich etwas ratlos.

    der zweite teil fängt mit dem schnellen riff von „right off“ an (lucas und henderson unisono), mit einem entsprechend heißen altsax-solo, von hereinstürzenden sounds von cosey und miles (orgel) unbeeindruckt. dann spielen henderson, lucas und foster plötzlich etwas ganz anderes, als vorlage für ein selbstzerstörerisches cosey-solo, das aber durch den begleitkontext im r&b-rahmen bleibt. andere fragmente aus den JACK-JOHNSON-sessions werden eingespeist, die sich für das miles-solo auch mal in ein swing-, dann in ein shuffle-gewand kleiden. alles erprobte tricks dieser band, die hier so locker gesetzt sind.

    doch dann wird es spannend. das düstere bass-riff deutet „ife“ an. fortune setzt mit der flöte die eher melancholische stimmung. es dauert nicht lange, bis orgel und coseys gitarren-synth ein abstraktes soundgeflecht aufschichten – helicopter-rattern, geloopte feedbacks – bis henderson und foster pause machen zulassen, dass die geräusche sich ausbreiten. es gibt einen gesteuerten feedback-sound (von mtume? fortune?), der immer wieder durchdringt und immer drängender wird, schließlich alles infiziert, spätestens in coseys reinem noise-solo. es ist fast so, als würden die geräte auf der bühne anfangen, sich zu verkoppeln, miteinander zu kommunizieren, während die musiker ratlos darum herum stehen. foster versucht immer wieder einen beat, bricht wieder ab. es ist absurderweise reggie lucas, der die band wieder auf vertrautes terrain führt – mit einem butterweichen, dann etwas angeberischen bluesrock-solo, das macero schließlich auch auf hall und geräusch schaltet. full stop und miles, zitternd, mit dem thema. das feedback will nicht sterben. nächste phase der ratlosigkeit. die band entlädt sich. bis miles‘ orgel das melancholische akkordschema von „mr foster“ andeutet (und das feedback will immer noch nicht sterben). anschwellend ins finish.

    ein letztes erigiertes cosey-solo. dann, gepresst, unendlich melancholisch, miles, von lucas mit warmen akkorden umspült. irgendwie fasert der auftritt aus, leises grooven, uneindeutige orgelakkorde, die percussion schiebt sich nach vorne, congas und castagnetten. cosey ist doch noch nicht fertig. ein bisschen flöte gibt es auch noch. lucas‘ abschlussakkorde werden vom feedback besiegt. leergespielt. für den nachmittag.

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