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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Während ich den von Dir verlinkten Aufsatz von Guenter Lewy mittlerweile als tendenziell apologetisch empfinde.
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Werbungbullschuetz Für mich ergibt sich aus diesem Flickenteppich aus genozidalen Projekten, brutalen Landnahmeaktionen, Massenmordexzessen und Betrugsmanövern das Panorama eines – wenn auch nicht von Anfang an in all seiner Konsequenz durchgeplanten – Ausrottungsprogramms. Dass das nicht dasselbe wie der Holocaust ist, ist ja klar. Aber das Verbrechenskonglomerat ist so monströs und die gezielte Ausrottungsabsicht in so vielen Fällen derart klar durch die Äußerungen der Mörder selber belegt, dass sich mir da ein Fazit aufdrängt: Völkermord. Und deshalb empfinde ich die Entscheidung von Ravensburger, Büchlein, die all das noch im Jahr 2022 komplett ignorieren, nicht zu veröffentlichen, als lobenswertes Zeugnis der Reflexions- und Lernbereitschaft; und nicht als Cancel-Culture-Skandal.
Ich verstehe dieses Bedürfnis einfach nicht, komplexe historische Abfolgen (wir reden hier ja über Jahrhunderte) derart zu verkürzen, um dann wiederum noch simplere Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Es gab weder DIE Weißen, noch DIE Indianer noch DEN Völkermord. Nimm alleine mal die Schlacht vom Horseshoe Bend. Schon die ist eine komplizierte Verquickung aus Stammeskriegen, ethnischer Säuberung und Teilen des Britisch-Amerikanischen Krieges. Und so gab es zig Kollaborationen und Interessenskonflikte über ganze Epochen, die man doch nicht einfach so zusammenkürzen und auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann.
Und erst recht ist das kein Beleg dafür, dass man keine Geschichten von einer Freundschaft zwischen einem Apachen und einem Weißen erfinden dürfte, ohne die gesamte nordamerikainsche Historie der letzten 500 Jahre authentisch zu berücksichtigen. Wie kommt man bloß auf so einen Gedanken?
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bullitt
Es gab weder DIE Weißen, noch DIE Indianer noch DEN Völkermord. Nimm alleine mal die Schlacht vom Horseshoe Bend. Schon die ist eine komplizierte Verquickung aus Stammeskriegen, ethnischer Säuberung und Teilen des Britisch-Amerikanischen Krieges. Und so gab es zig Kollaborationen und Interessenskonflikte über ganze Epochen, […]Das ist aber doch in der einen oder anderen Form immer so. Selbst beim Holocaust und seiner Vorgeschichte gibt es Aspekte wie den globalen Kontext des zweiten Weltkries (siehe Bloodlands), den parallelen Völkermord an Sinti und Roma, die „Arisierungen“, die Kollaborateure in den besetzten Gebieten, die Kontakte zwischen Nazis und zionistischen Organisationen (https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/erzwungene-zusammenarbeit/) oder die Tatsache, dass es keinen Beleg für einen „Endlösungsbefehl“ Hitlers gibt, die das tatsächliche Geschehen komplizierterter machen als die vereinfachte Darstellung im Geschichtsunterricht.
Losgelöst von akademischen Definitionen des Begriffs Völkermord ist es m. E. bei der europäischen Kolonisation von Nord- und Südamerika schon angebracht, zumindest Aspekte und individuelle Ereignisse zumindest insoweit als zumindest „völkermord-ähnlich“ zu bewerten, als dass ein entsprechendes Ergebnis seitens der Europäer billigend in Kauf genommen wurde.
zuletzt geändert von nicht_vom_forum--
Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away. Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dicknicht_vom_forum
Das ist aber doch in der einen oder anderen Form immer so.
Achso, na dann…
Losgelöst von akademischen Definitionen des Begriffs Völkermord…
…und Neudefinitionen solcher Begriffe liegen ja auch gerade im Trend. Was nicht passt wird eben passend gemacht. 👌🏼
zuletzt geändert von bullitt--
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Was die Landnahme in Nordamerika betrifft, habe ich ja zu erklären versucht, wie ich zu meiner Völkermord-Einordnung komme: durch Lektüre einschlägiger Bücher nach der anregenden Diskussion hier, die mich dazu ermuntert hat, mein Viertelswissen zu Halbwissen auszubauen.
Danach ergibt sich für mich nun mal ein Gesamtbild, demgegenüber ich Deine Einwände, wenngleich sie bestimmt nicht alle grundsätzlich falsch sind, jedenfalls eindeutig nicht für tragfähig in der Breite halte.
Was die neuen Kinderwinnetoubücher betrifft: Dass man das nicht machen darf, habe ich weder geschrieben noch möchte ich das fordern. Ich will nichts verbieten, Verbieterei ist in diesem Kontext totaler Quatsch.
Ich finde aber sehr wohl, dass es keine sonderlich überzeugende Idee ist, so vollkommen geschichtsblind an das Thema ran zu gehen. Es gibt jede Menge tolle Kinderliteratur, die auch mit schweren Stoffen überzeugend und gleichzeitig kindgerecht umgeht. Ich finde ferner, dass man „Industrieschmodder“ kritisieren darf, ohne unter Cancler-Verdacht gestellt zu werden. Und wenn ein Verlag kurz vor Toreschluss ebenfalls zur Überzeugung kommt, dass dieser neue Buch-zum-Film-Schnellschuss unterm anzustrebenden Mindestniveau liege, und daraus Konsequenzen zieht, kann ich darin keinen Skandal sehen, sondern finde es eher lobenswert. Oder findest du, das dürfen die nicht?
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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bullitt . . Neudefinitionen solcher Begriffe liegen ja auch gerade im Trend. Was nicht passt wird eben passend gemacht. 👌🏼
Sorry, das ist polemischer Quatsch.
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bullitt
nicht_vom_forum
Das ist aber doch in der einen oder anderen Form immer so.
Achso, na dann…
Wenn Du inhaltlich nichts zu entgegnen hast…
Dass man bei jedem konkreten Fall eine globale Kategorisierung dadurch in Zweifel ziehen kann, dass man die Ebene wechselt und sich auf die Details fokussiert, ist doch sowohl bekannt als auch offensichtlich: Ab wann ist eine Ansammlung von Bäumen, Rehen und Wildschweinen ein Wald?
Losgelöst von akademischen Definitionen des Begriffs Völkermord…
…und Neudefinitionen solcher Begriffe liegen ja auch gerade im Trend. Was nicht passt wird eben passend gemacht. 👌🏼
Welche Definition ist denn amtlich? Außerdem nützt es ja leider den Opfern nichts, wenn die entsprechenden Taten nur X von Y Kriterien auf einer längeren Liste erfüllen. Und inhaltlich sehe ich jedenfalls ausreichend Kriterien erfüllt, um die europäische Kolonisation von Nord- und Südamerika zumindest als nah verwandt zu (voneinander unabhängigen) Völkermorden einzustufen.
zuletzt geändert von nicht_vom_forum--
Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away. Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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bullschuetz
bullitt . . Neudefinitionen solcher Begriffe liegen ja auch gerade im Trend. Was nicht passt wird eben passend gemacht. 👌🏼
Sorry, das ist polemischer Quatsch.
Und nachdem ich wieder runter bin von der Palme, will ich den Vorwurf auch begründen. Bevor hier also die Legende um sich greift, die wokeness-Polizei mache in ihrem Anprangerungswahn passend, was nicht passt, will ich mal ganz bürokratisch die „UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ bemühen – die definiert das so:
Völkermord ist eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören:
a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe;
b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe;
c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen;
d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind;
e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.
Der erste Satz der Definition ist tatsächlich die schillerndste Formulierung. Denn da geht es um die „Absicht“. Man könnte auf dem Standpunkt stehen, dass bereits die Vielzahl der Massaker per se für eine gewisse Zerstörungsabsicht spreche. Man könnte aber auch sagen: Den zentralistisch-regierungsamtlichen Tötungsmasterplan aus Washington gab es nicht.
Nach der Lektüre des Mattioli-Buches weiß ich: Es gab tatsächlich keine Wannseekonferenz zur Endlösung der Indianerfrage. In dem Buch sind allerdings mehr als genug Zitate von Meinungsbildnern und Entscheidern (Gouverneuren, Zeitungen, führenden Militärs) enthalten, die ganz ausdrücklich die Ausrottung (extermination) als Ziel ausgeben; wenngleich nie bezogen auf „die Indianer“ von Kanada bis Mexiko und Ost- bis Westküste, sondern jeweils immer nur auf diejenigen Indianer, die gerade der Westexpansion im Wege standen. Dass es während des Landnahmeprozesses vielfach die Absicht gab, diverse indianische Nationen/Stämme mindestens „teilweise zu zerstören“, finde ich insofern eindeutig; zumal es in Mattiolis Buch eine deprimierende Fülle von zeitgenössischen Zitaten gibt, die offenbaren, auf welcher Denkungsart das brutale Vorgehen gründete: auf krassem Rassismus, der die Indianer oft gar nicht als Menschen gelten ließ, sondern zum Ungeziefer erklärte.
Beim Rest der Definition müssen wir, glaube ich, nicht streiten. Es müsste ja nur „eine der folgenden Handlungen“ vorliegen – es ist aber sonnenklar und nur um den Preis radikaler Geschichtsklitterung abtreitbar, dass die Punkte (a), (b), (c) und auch – darauf weist Mattioli ausdrücklich hin – (e) erfüllt, teilweise überreichlich erfüllt sind.
Und deshalb frage ich mich, ob es eine gute Idee ist, eine nette Heile-Welt-Kinderabenteuergeschichte unbedingt ausgerechnet in diesem bestialischen Bloodlands-Setting anzusiedeln (manche Passagen bei Dee Brown und Mattioli sind ja wirklich entsetzlich zu lesen). Man darf es! Aber wer es nicht tut, hat meinen Dank und Segen.
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nicht_vom_forum
Dass man bei jedem konkreten Fall eine globale Kategorisierung dadurch in Zweifel ziehen kann, dass man die Ebene wechselt und sich auf die Details fokussiert, ist doch sowohl bekannt als auch offensichtlichDetails? Es ist doch einigermaßen grotesk, beim Thema Winnetou die historische Simplifizierung zu kritisieren, um in die andere Richtung munter drauf los zu pauschalisieren, wenn es um die Einordnung von 500 Jahren nordamerikanischer Geschichte geht. Die Mär vom groß angelegten Völkermord ist in puncto Cowboy und Indianer-Klischees mit Karl May locker auf Augenhöhe.
bullschuetz
Man könnte aber auch sagen: Den zentralistisch-regierungsamtlichen Tötungsmasterplan aus Washington gab es nicht.Eben…
Es gab tatsächlich keine Wannseekonferenz zur Endlösung der Indianerfrage. In dem Buch sind allerdings mehr als genug Zitate von Meinungsbildnern und Entscheidern (Gouverneuren, Zeitungen, führenden Militärs) enthalten, die ganz ausdrücklich die Ausrottung (extermination) als Ziel ausgeben; wenngleich nie bezogen auf „die Indianer“ von Kanada bis Mexiko und Ost- bis Westküste, sondern jeweils immer nur auf diejenigen Indianer, die gerade der Westexpansion im Wege standen.
Darauf wollte ich mit meinem Beispiel hinweisen, das eines der drastischsten für kriegerische Auseinandersetzungen mit Folge der beinahe Auslöschung eines Stammes ist. Es gab generell zig verschiedene Player, Allianzen, Handelskoalitionen, Interessengemeinschaften etc., die sich nun mal nicht einfach zu einem finalen Bauchgefühl zusammenfassen lassen. Der entstehende Eindruck, dass die indigene Bevölkerung größtenteils durch gezielte staatliche Massaker dezimiert wurde, ist nicht haltbar. Durch kriegerische Auseinandersetzungen starben die aller wenigsten. Das soll gar nichts beschönigen, aber die Völkermord-Theorie ist halt nur so naja.
bullschuetz Ich finde aber sehr wohl, dass es keine sonderlich überzeugende Idee ist, so vollkommen geschichtsblind an das Thema ran zu gehen. Es gibt jede Menge tolle Kinderliteratur, die auch mit schweren Stoffen überzeugend und gleichzeitig kindgerecht umgeht. Ich finde ferner, dass man „Industrieschmodder“ kritisieren darf, ohne unter Cancler-Verdacht gestellt zu werden. Und wenn ein Verlag kurz vor Toreschluss ebenfalls zur Überzeugung kommt, dass dieser neue Buch-zum-Film-Schnellschuss unterm anzustrebenden Mindestniveau liege, und daraus Konsequenzen zieht, kann ich darin keinen Skandal sehen, sondern finde es eher lobenswert. Oder findest du, das dürfen die nicht?
Der Verlag darf tun und lassen was er möchte und die Rezipienten dürfen kritisieren was sie wollen. Ich habe nur etwas dagegen, wenn moralisierende Bubbles einen Schritt vorher ansetzten, Verlage unter Druck setzen, um Veröffentlichungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Ob es sich dabei um ein Winnetou-Ausmalbild oder die Autobiografie von Woody Allen handelt, ist dabei völlig egal, denn das ist keine Kritik sondern versuchte Zensur.
Was an dem Winnetou-Film nun „vollkommen geschichtsblind“ sein soll, habe ich bis heute nicht verstanden. Liegt vermutlich daran, dass ich ihn als einziger auch tatsächlich gesehen habe. Das romantisierten Indianer-Bild von May und die Besetzung durch einen türkischstämmigen Schauspieler geschenkt, aber gerade die Ausbeutung der Indianer durch Weiße ist doch das zentrale Thema und Völkerverständigung die Message für Kinder.
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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bullitt Das soll gar nichts beschönigen, aber die Völkermord-Theorie ist halt nur so naja.
Den Verdacht, dass Du was beschönigen willst, hatte ich nicht, und wenn „nur so naja“ ein Synonym für „definitorisch nicht so eindeutig“ ist, können wir uns darauf gerne einigen.
Der Verlag darf tun und lassen was er möchte und die Rezipienten dürfen kritisieren was sie wollen. Ich habe nur etwas dagegen, wenn moralisierende Bubbles einen Schritt vorher ansetzten, Verlage unter Druck setzen, um Veröffentlichungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Ob es sich dabei um ein Winnetou-Ausmalbild oder die Autobiografie von Woody Allen handelt, ist dabei völlig egal, denn das ist keine Kritik sondern versuchte Zensur.
Da bin ich bei Dir. Wobei der Fall Woody Allen nach meiner Wahrnehmung schon eine ganz andere Dimension hatte: Da versuchten ja Prominente mit geballter Meinungsbildnermacht und teilweise großem Einfluss in der Medienbranche, das Buch zu verhindern – und das, obwohl im Fall Allen bis heute völlig unklar sind, inwiefern die Vorwürfe stimmen.
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Ich wollte mich hier eigentlich nicht mehr äußern, weil von meiner Seite alles Notwendige gesagt (und nicht widerlegt) wurde, zudem hat @bullitt auch meine Meinung oben gut formuliert. Aber eine Sache sollte ich in diesem Zusammenhang (Genozid-Definition) noch anhängen:
Wohin eine Aufweichung des Begriffs Genozid führt, sieht man aktuell in vielen Veröffentlichungen zum Thema „Decolonize Ausschwitz“ – Vertreter der Theorie (die Shoa ist ein vergleichbares und gleichstellbares koloniales Verbrechen), v.a. aus der linksidentitären Ecke geben (völlig irrerweise) u.a. an, dass wenn jüdische Forscher diese Theorie vertreten, sie ja nicht antisemitisch sein könnte (Auslöser für meine Anmerkung hier, wie üblich wohl hinter der Paywall). Götz Aly hat solche Theorien mit vollem Recht als „obszön“ bezeichnet (hier ausführlicher). Keiner sollte die Shoa oder Genozide als mit Denkverboten belegt auffassen, aber die Definition muss bleiben und darf nicht, wie so viele andere Wörter, in den Weichspüler geraten.--
If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.latho
Wohin eine Aufweichung des Begriffs Genozid führt, sieht man aktuell in vielen Veröffentlichungen zum Thema „Decolonize Ausschwitz“ – Vertreter der Theorie (die Shoa ist ein vergleichbares und gleichstellbares koloniales Verbrechen), v.a. aus der linksidentitären Ecke geben (völlig irrerweise) u.a. an, dass wenn jüdische Forscher diese Theorie vertreten, sie ja nicht antisemitisch sein könnte (Auslöser für meine Anmerkung hier, wie üblich wohl hinter der Paywall). Götz Aly hat solche Theorien mit vollem Recht als „obszön“ bezeichnet (hier ausführlicher). Keiner sollte die Shoa oder Genozide als mit Denkverboten belegt auffassen, aber die Definition muss bleiben und darf nicht, wie so viele andere Wörter, in den Weichspüler geraten.Dem stimme ich komplett zu. Allerdings würde ich nicht prinzipiell von „Aufweichung“ sprechen, wenn bei der Beurteilung von konkreten Ereignssen die Begriffen Völkermord bzw. Genozid auch dann verwendet werden, wenn das betreffende Ereignis „nur eine“ Definition dieser Begriffe oder nicht alle Kriterien einer bestimmten Definition erfüllt. Wirklich problematisch finde ich an dieser Stelle vor allem Konstrukte wie „kultureller Völkermord“ oder die voreilige, und insbesondere die propagandistische, Gleichstellung von Kriegsverbrechen mit Genozid (wie z. B. zurzeit im Ukraine-Krieg).
Den Holocaust halte ich allerdings selbst innerhalb des Themenkreises Völkermord für so einzigartig, dass er als Archetyp oder als „Maßstab“ zur Einordnung von anderen historischen Ereignissen nur sehr bedingt geeignet ist. So sagt ja auch Aly in dem DLF-Interview:Das müssen wir alles ernst nehmen, aber das sind unterschiedliche Ereignisse. Es gibt viele Genozide und Massenmorde in der Geschichte. Da gibt es immer kleine Ähnlichkeiten und Dinge, die man vergleichen kann. Aber es gibt nichts, das (auch nur, Anm. d. Red.) in entfernter Weise deckungsgleich mit dem Holocaust wäre.
P.S.: @.latho: Danke für die Verlinkung des „Jung & Naiv“-Interviews.
zuletzt geändert von nicht_vom_forum--
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AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
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Ich plädiere dafür, sowohl die UN-Definition als auch die Erkenntnisse der Historiker ernstzunehmen. Mattioli schreibt in „Verlorene Welten“, dass Genozid (Ausrottung aller Indigenen Nordamerikas) nie das Programm einer US-Regierung war, dass es aber zu mehreren regionalen Genoziden gegen Stämme/Nationen jeweils der Gebiete kam, die gerade auf dem Zielradar der Westausdehnung waren. Bei diesen regionalen Genoziden, z. B. gegen die Indigenen in Kalifornien und den Great Plains, sind alle definitorischen Kriterien der UN-Genozidkonvention erfüllt (obwohl das laut UN ja nicht mal nötig ist), einschließlich der Ausrottungsabsicht, die von führenden Politikern der jeweiligen Gebiete explizit formuliert wurde.
Ich glaube, wir gehen in eine Falle, wenn wir explizit oder implizit so tun, als sei Genozid nur das, was die Nazis im Holocaust durchexerziert haben: systematische, generalstabsmässige Ermordung von Millionen Menschen, grundgelegt in einer Planung wie zum Beispiel der Wannseekonferenz. Die UN-Definition sagt übrigens genau das ebenfalls nicht! Sie setzt weit „niederschwelliger“ an.
Ich sehe durchaus die Tücken bei dem Thema und die Gefahr, die darin liegt, jedes Kriegsverbrechen zum Genozid zu erklären. Da wird „Genozid“ bisweilen wohl auch als Kampfbegriff missbraucht. Und von einer Relativierung des Holocaust halte ich nun wirklich überhaupt nichts.
Umgekehrt halte ich es aber auch für tatsächlich gefährlich, wenn wir die genozidalen Züge von Prozessen wie zum Beispiel der nordamerikanischen Landnahme ausblenden. Mir wäre es auch eindeutig zu bürokratisch, immer die „smoking gun“ eines schriftlichen Ausrottungsprogramms der Zentralregierung zu verlangen. Man muss schon auch Prozesse in den Blick nehmen wie die systematische Duldung von Ausrottungsfeldzügen durch nichtstaatliche Milizen oder die systematische Nichtverurteilung von Kriegsverbrechen des Militärs. Auch darin drückt sich eine Intentionalität aus (wobei es wie gesagt, in Nordamerika auch erklärte „extermination wars“ gegen indigene Gruppen gab).
Es ist vielleicht kein Zufall, dass wir gerade über die Einordnung der Geschehnisse in Nordamerika so intensiv diskutieren. Es gibt da ja tatsächlich Kapitel, die mustergültig der UN-Genoziddefinition entsprechen. Zugleich lässt sich natürlich der mehrere Jahrhunderte dauernde Prozess der Landnahme nicht pauschal als einziger großer Völkermord fassen. Insofern kann man wohl nicht vom Genozid an „den Indianern“ reden, aber eben schon zum Beispiel vom Genozid an den Pomo, Wintun, Tolowa und anderen Stämmen in Kalifornien.
Aber jenseits aller Deutungsprobleme: Was sich durchzieht, sind zwei große Motivationen – Gier und Rassismus. Und dass das ein entsetzliches Massensterben war – Seuchen, Kriege, Massaker, Hungersnot usw usf – lässt sich ja nun wirklich auch nicht bestreiten. Hinzu kommt das Elend der Reservationen und das eindeutig ethnozidale Programm der kulturellen Auslöschung, wie es sich in den Boarding Schools ausdrückte (Ethnozid bitte nicht mit Genozid verwechseln).
Jede erzählerisch-fiktionale Auseinandersetzung mit dem Nordamerika zwischen 1850 und 1900 sollte diesen Hintergrund monumentalen Leidens und der beinahe komplett vollzogenen Ausrottung der indigenen Bevölkerung reflektieren, finde ich. Sonst finde ich es eben Mist.
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bullschuetz Jede erzählerisch-fiktionale Auseinandersetzung mit dem Nordamerika zwischen 1850 und 1900 sollte diesen Hintergrund monumentalen Leidens und der beinahe komplett vollzogenen Ausrottung der indigenen Bevölkerung reflektieren, finde ich. Sonst finde ich es eben Mist.
Das wird ja dann immer besser. Damit wäre ja so gut wie jeder Western untragbar.
bullschuetz Da bin ich bei Dir. Wobei der Fall Woody Allen nach meiner Wahrnehmung schon eine ganz andere Dimension hatte: Da versuchten ja Prominente mit geballter Meinungsbildnermacht und teilweise großem Einfluss in der Medienbranche, das Buch zu verhindern
Ist ja aber das gleiche Prinzip. Beide Gruppen wollen ein Buch verhindern, um (einerseits Woody Allen zu bestrafen) und andererseits die Bevölkerung vor den Publikationen zu schützen. Als wäre der Leser nicht mündig genug, sich selbst ein Urteil zu bilden.
zuletzt geändert von bullitt--
bullschuetzund das, obwohl im Fall Allen bis heute völlig unklar sind, inwiefern die Vorwürfe stimmen.
Nicht nur das: Sie sind völlig unglaubwürdig.
Und die Forderung von Bullschutz („Jede erzählerisch-fiktionale Auseinandersetzung mit dem Nordamerika zwischen 1850 und 1900 sollte diesen Hintergrund monumentalen Leidens und der beinahe komplett vollzogenen Ausrottung der indigenen Bevölkerung reflektieren, finde ich.“) erinnert mich an die Angriffe von Marcel Reich-Ranicki auf Martin Walzer, dem er vorwarf, in seiner Jugenderinnerung käme der Holocaust nicht vor.
zuletzt geändert von reino--
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Schlagwörter: AfD, Alt-Right, Bildzeitung, Deppengelaber, Incels, Machwerke, Pornos, Poros, rechtsextrem, rechtsradikal, Verschwörungsideologen, Welt
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