Jazz-Glossen

Ansicht von 15 Beiträgen - 901 bis 915 (von insgesamt 1,179)
  • Autor
    Beiträge
  • #7662117  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,361

    gypsy tail windJa, aber auch sonst sehr lesenswert!

    stimmt – mich hat aber basierend auf dem Groove des Duos Laswell/Ponce die Referenz an „Tauhid“ überrascht ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #7662119  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,469

    nicht direkt eine Glosse, aber … Crownpropeller stellt eine detaillierte Studie zum Thema „Spielt Dupree Bolton die boppigen Trompetensoli in Aufnahmen von Benny Carter und Buddy Johnson aus den 40er Jahren? Und falls nein, wer dann“ vor… (ich finds super)

    --

    .
    #7662121  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    Berlin ist also doch nicht nur schlecht ;-)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9920949  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    aus einem Interview mit Branford Marsalis in der NZZ, vor ein paar Wochen (vollständig hier nachzulesen) – er spricht ein paar interessante Punkte an (Kamasi Washington, ECM) und ist dabei auch einigermassen polemisch drauf … einen wirklich passenden Thread fand ich nicht, daher hier bei den Glossen:

    […]

    Aber als Ritual hat die Jam-Session die Jazzgeschichte doch mitbestimmt?
    Bei der Session geht es hauptsächlich um das eigene Solo. Ich orientiere mich aber daran, mit meiner Working-Band eine Musik zu spielen, die als Ganzes stimmig ist. Stücke von einer gewissen Komplexität kann man ohne feste Band nicht spielen. In einer Session würde man sich darauf konzentrieren, keine Fehler zu machen. Das ist wesentlich für gute Musik: Es geht nicht mehr darum, keine Fehler zu machen. Die Kategorie falsch oder richtig lässt man hinter sich, wenn man das künstlerische Material verinnerlicht hat.

    Wenn Sie aber immer mit den gleichen Kollegen spielen, lernen Sie wohl kaum jüngere Musiker kennen?
    Weshalb sollte ich mit jungen Musikern spielen? Ich bleibe aber in Kontakt mit der jüngeren Generation. Ich gebe Ratschläge, ich unterrichte. Die Jungen haben nicht unbedingt grosse Ideen – dafür viel Enthusiasmus. Bei uns spielt am Schlagzeug übrigens Justin Faulkner, der ist 24-jährig und sorgt bei uns für Enthusiasmus, seit er 18 ist (er lacht).

    Sie könnten den nächsten Generationen die Jazzgeschichte näherbringen.
    Ich glaube, die sind daran nicht besonders interessiert. Die meisten jungen Musiker konzentrierten sich auf ihre eigenen Ideen. Das ist typisch: Die Jungen denken: Wir haben alle Antworten, wir brauchen nicht auf ältere Leute zu hören. Ich war da allerdings eine Ausnahme. Ich realisierte, dass ältere Musiker unglaubliche Ressourcen bereithalten – davon wollte ich profitieren. Heute bin ich sehr froh über alles, was ich zum Beispiel von Art Blakey gelernt habe.

    Lange Zeit war das Saxofon das prägende Instrument des Jazz. Nun aber scheint seine Faszination abzunehmen. In Europa jedenfalls spielen immer weniger Menschen Saxofon.
    In den USA aber gibt es Millionen von Saxofonisten. Und für den eigentlichen Jazz wird das Saxofon weiterhin wichtig bleiben. Es wird heute allerdings viel als Jazz bezeichnet, was meines Erachtens mit Jazz nicht viel zu tun hat. Ausserdem wird Musik immer öfter elektronisch produziert. Zeitgenössische Pop-Produktionen sind oft weitgehend synthetisch, die Musik entsteht quasi im Innern des Computers. Das macht sie nicht unbedingt schlecht, aber es bleibt so natürlich weniger Raum für akustische Instrumente wie das Saxofon.

    Was halten Sie vom Hype um den kalifornischen Saxofonisten Kamasi Washington, der weltweit ein jüngeres, Pop-affines Publikum abholt?
    Mir hat kürzlich jemand gesagt, Kamasi Washington rette den Jazz. Aber das ist natürlich Quatsch! Erstens halte ich seine Musik nicht unbedingt für Jazz – aber das ist egal. Den Jazz aber würde Washington erst dann retten, wenn er seine jungen Zuhörer dazu bringen könnte, ein Album von Louis Armstrong, von Lester Young oder von John Coltrane zu kaufen. Wenn man Jazz für sich in Anspruch nimmt und behauptet, die Zukunft dieser Musik zu sein, dann macht man Werbung für sich, aber kaum für die ganze Jazzkultur.

    Sie haben sich früher aber auch kaum um Genregrenzen geschert – mit Ihrer Band Buckshot LeFonque beispielsweise spielten Sie Jazz, Funk, R’n’B . . .
    Das war eine Funkband – ich bin eben mit Funk und R’n’B aufgewachsen. Jazz habe ich erst mit den Jahren lieben gelernt. Ich habe aber nie behauptet, mit Buckshot LeFonque spielten wir Jazz. Ich habe auch nicht versucht, den Jazz zu retten. Man hört heute oft, man müsse den Jazz populärer machen. Ich glaube das nicht. Populäre Musik will eben immer hip sein. Jazz aber sollte vor allem gut sein – das ist nicht immer hip.

    Es gibt Musiker, etwa den Pianisten Ethan Iverson, die hoffen, dass durch Musiker wie Kamasi Washington die afroamerikanische Tradition im Jazz wieder gestärkt werde – und dass so tatsächlich wieder ein jüngeres, grösseres Publikum für Jazz zu gewinnen sein könnte.
    Jazz ist eine afroamerikanische Tradition. Wenn es nicht afroamerikanisch ist, ist es nicht Jazz.

    […]

    Was sagen Sie denn zu den Produktionen bedeutender europäischer Jazzlabels – wie insbesondere ECM?
    Oft ist das wirklich nicht Jazz. Und ich verstehe gar nicht, weshalb man das unbedingt Jazz nennen soll, aber so what . . . Vielleicht können all diese Musiker nicht Jazz spielen. So spielen sie immerhin, was sie spielen können.

    Und wie würden Sie denn diesen einzig wahren Jazz beschreiben?
    Oft heisst es, das Besondere am Jazz sei die Improvisation. Dabei wird seit Jahrhunderten in fast allen Musiktraditionen improvisiert. Neu am Jazz ist einzig der Swing – und die verminderte Quinte. Aber ich will gar nicht zu viel über die Musik reden. Ich bin sozusagen ein Troubadour, und solange ich kann, gehe ich hinaus und mache Musik. Und das Publikum schert sich ja eigentlich keinen Deut um Erklärungen. Es ist wie beim Microwave. Wofür ist der gut? Er macht Esswaren heiss. Wie funktioniert er? Ist mir völlig egal!

    […]

    Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/aktuell/interview-mit-branford-marsalis-wenn-zorn-und-trauer-klingen-sollen-ld.86356 (Zugriff am 17. August 2016)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9920961  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,980

    was washington angeht, wird er hier noch deutlicher:

     

    Vor gut 30 Jahren waren Sie mit Sting unterwegs. Heute arbeiten Jazzmusiker wie Robert Glasper oder Kamasi Washington mit Hip-Hop–Stars wie Kendrick Lamar zusammen. Freut es Sie, dass Sie mit ihrem Crossover immer noch Nachfolger finden?
    Für mich ist Kamasi Washington nicht wirklich ein Jazzmusiker. Er hatte nie eine Jazzband. Und Robert Glasper ist auch nicht wirklich ein Jazzpianist, er wechselt ständig rüber zu Groove und Hip-Hop. Wenn man bei mir überhaupt von Crossover reden will, dann habe ich zuerst Pop gespielt und bin dann zum Jazz gewechselt. Stings Musik zu spielen, das war für mich eine Rückkehr zu den Anfängen.

    Aber was spricht denn dagegen, wenn Leute wie Washington und Glasper versuchen, mit Jazz ein breites Publikum anzusprechen?
    Sie spielen Jazz – aber sie sind keine Jazz-Spieler. Okay, Kamasi spielt instrumentale Musik und klingt, als habe er mal eine Pharoah-Sanders-Platte gehört. Aber seine Band ist eine Hip-Hop-Band. Er hat Streicher und Chorsänger, und das macht diesen riesigen Sound. Aber dann siehst du das Video und alle nicken beim Spielen mit den Köpfen. Genau was sie machen, wenn sie Hip-Hop spielen. Das Einzige, was sie mit Jazz verbindet, ist die Tatsache, dass jeder mal ein Solo bekommt. Wenn keiner singt, muss es wohl Jazz sein: Das glauben eine Menge Leute.

    --

    #10022141  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,980

    modestrecke mit jazz-veteranen, ziemlich toll (erwartbar: roy haynes, cecil taylor):

    http://www.gq.com/story/living-legends-of-jazz

    --

    #10024357  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    soulpope

    redbeansandrice
    kein Kamin, aber im Supermarkt gegenüber ist noch Licht, Bierglas gefüllt (aber immerhin Rochefort 10 – letzte Vorlesung ueberstanden). Entsprechend etwas mehr working class (und überraschend viel Ellington drin, trotzdem) …  These are my roots – Clifford Jordan plays Leadbelly

    Working class hero ? …. und congrats zur bestandenen Prüfung ….

    hier, ab 1:20:

    gerade zufällig entdeckt, eins der schönsten Konzerte eines insgesamt ziemlich krassen Konzertjahres

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10047053  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    George Braith in der U-Bahn:

    At the 72nd Street station, George Braith, a jazz saxophonist, was being mobbed by an eager pack of veritable paparazzi. The reason for his newfound celebrity: His likeness is featured in a mosaic there.

    “Would you look at that guy?” Mr. Braith, 77, said. “Pretty handsome fellow if you ask me.”

    He is one of several local celebrities portrayed in the artwork, including chef Daniel Boulud.

    In Mr. Braith’s mosaic, he is clad in a slick red blazer and carrying his signature Braithophone, alto and soprano saxophones melded into one. Taking the instrument from his suitcase, he obliged the crowd with a brief tune.

    “Are you famous?” a passer-by asked, seeing the hubbub.

    “In the jazz world,” Mr. Braith replied.

    The man shook his head and said, “Well, you’re immortalized as far as I’m concerned.”

    http://www.nytimes.com/2017/01/01/nyregion/as-second-avenue-subway-opens-a-train-delay-ends-in-happy-tears.html?_r=0

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10109941  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,469

    „From my vantage point now of a  77-year old guy, if I had something like that today, I would love it. As a 31 year old guy trying to make good, it scared the living daylights out of me.“

    Steve Little über seine Zeit bei Duke Ellington (His Mother Called Him Bill). Ich hatte den Namen überhaupt nicht auf dem Schirm, ist aber ein sehr gutes Interview auf Ethan Iversons Blog, plötzlich bei Ellington mitspielen müssen ist krass, und er erzählt es sehr gut  (We were playing this uptempo thing and Paul Gonsalves turns around and says — and I’ll never forget how he put it — “Methinks you have a drum solo coming up.“)  und auch sonst hat er eine Menge erlebt…

    edit: bin jetzt erst ganz unten, das hier ist super: Wie ist es, Studioschlagzeuger bei der Sesamstrasse zu sein?

    „We never had arrangements. There was very little talking done. It was sort of like playing with Duke, without music“

    --

    .
    #10220879  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    Sacha Distel mit einem (seinem?) Cinquecento, 1962 (kann man noch knapp in die Jazzjahre packen, interessiert anderswo eh keinen)

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10236199  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,858

    Ein längerer Artikel über Mal Waldron:
    https://www.thenation.com/article/mal-waldrons-ecstatic-minimalism/

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #10548929  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    Die Sache mit dem Thema-Solo-Solo-Thema Schema flackert ja gerade wieder auf:

    friedrich
    Ich schiebe das mal hier rein, den Johnny Hodges war ja einer von Duke’s men.

    vorgarten

    gypsy-tail-wind
    ich hab schon ein halbes Dutzend mögliche Tracks beisammen

    dachte ich mir denk aber bitte an friedrich und mach keine 3×100 minuten daraus. falls er überhaupt lust darauf hat: hardbop ist ja thema-solo-solo-solo-thema, davon hat er sich ja letztens deutlich distanziert (wenn johnny hodges das wüsste…)

    Thema-Solo-Solo-Solo-Thema – im Prinzip nichts dagegen, wenn es Freude bereitet. Vielleicht stand ich beim Kommentar des BFTs etwas unter Zeitdruck und war etwas angespannt. Da rutscht mir schon mal eine vorlaute Bemerkung heraus, wahrscheinlich unzulänglich informiert und voreingenommen. Vielleicht habe ich aber auch schon zu viele Stücke nach dem Schema Thema-Solo-Solo-Solo-Thema gehört, bei denen ich mich spätestens beim Basssolo fragte, wo da noch mal der Bezug zum Thema war, welchen dramaturgischen Sinn das jetzt ergibt und ob die Aneinanderreihung der Soli hier größer ist als die Summe ihrer Teile. Kommt leider vor. Aber Schwamm drüber.

    Warum ich das hier aufgreifen möchte? Weil ich – teilweise immer noch – die Leute verdammt noch Mal mit ihren Soli hören will, möglichst oft! Alben mit grösseren Besetzungen (und seien es nur Sextette oder Septette), bei denen die Sidemen dann nur ein- oder zweimal statt in jedem der sechs Tracks zu hören sind, frustrierten mich früher oftmals sehr. Da hat man tolle Leute beisammen, gerade im Hard Bop gerne Mal Leute, die man nicht allzu oft hören kann (oder an deren Aufnahmen man nicht so einfach kommen konnte) – und dann kriegen sie gerade Mal ein Solo oder zwei.

    Mein Ausgangspunkt ist da aber auch ein anderer, weil es eben wirklich der „grosse“ Modern Jazz der Fünfzigerjahre ist, mit dem ich mich ernsthaft mit Musik auseinanderzusetzen begann (davor gab es eigentlich fast nur Bob Dylan … und Stephan Eicher, und einzelne Alben von verschiedenen Leuten oder Bands, Tom Petty, Springsteen, Morcheeba, Maceo Parker, Portishead, 4 Hero, Tricky, Janis Joplin, Jimi Hendrix, The Doors, Nirvana …) –

    Und dann eben: hat man mal ein Album in die Hände gekriegt, bei dem Saxophonist X oder Trompeter Y dabei ist, und dann hört man die fast nicht! Die Nuancen des Zusammenspiels, die – das behaupte ich jetzt munter mal so – vielen, die Kamasi und sowas hören, aber mit Jazz nicht tiefer vertraut sind, auch heute bei Leuten verloren sind, die sich kaum dem „konventionellen“ (das ist ja in der Regel eh ein Anachronismus) Jazz zuwenden würden … diese Nuancen (also z.B. die Unterschiede in den Ensembles von Bebop-Aufnahmen der Vierziger und Hard Bop-Bands, zehn Jahre später) hörte ich damals auch nicht bzw. sie interessierten mich kaum.

    Das erklärt dann vielleicht auch, dass ich z.B. Herbie Hancocks „Speak Like a Child“ zwar schon bald wenigstens auszugsweise – im Laden immer wieder reingehört und doch nie gekauft – kannte, im Regal hatte ich das Album dann in der 1998er-Box den gesammelten Blue Note-Aufnahmen der Sechziger (die zeitlich Einschränkung sollte wohl klarmachen, dass kein Material vom „Round Midnight“-Soundtrack drin ist? Ich höre die Sachen übrigens weiterhin aus der Box, habe nie spätere Reissues gekauft). Was ich sagen will: ich mochte das Album lange Zeit nicht sehr … weil: da is Thad Jones, aber man kriegt ihn (solistisch) nicht zu hören! Was für eine Verschwendung! (Ich kannte damals schon das kleine Mosaic-Set mit seinen Blue Note/United Artists/Roulette-Aufnahmen, das ich auch heute noch über alles schätze, die Debut-Sessions kenne ich erst viel weniger lang.)

    So gesehen war Thema-Solo-Solo-Thema genau das, was ich wollte. Wenn es noch Interludes, arrangierte Begleitungen (z.B. im zweiten und vierten Chorus der Solos) oder einen Shout-Chorus (gab’s im Bebop übrigens noch nicht, eine typische Hard Bop-Sache, die natürlich manchen Big Band „Soli“ abgeschaut ist, nehme ich an [1]) gab, freute ich mich natürlich sehr und meine Ohren waren – etwa durch J.J. Johnson (auch da eine Mosaic-Box, die ich früh kaufte), Max Roachs Bands oder auch die erwähnten Alben von Thad Jones (wo eben auch mal der Pianist oder der Bassist früh soliert und die Bläser nachher an die Reihe kommen) – auch bald gespitzt für Varianten, die eben vom Schema „Thema-Solo (Bläser 1)-Solo (Bläser 2)-Solo (Bläser 3)-Solo (Piano)-Thema“ abwichen, bald mal geschärft.

    Das mit den langweiligen Bass-Soli hingegen verstand ich nie (und neige heute noch dazu, die Schuld Monk zuzuschieben, der eben in seiner Columbia-Zeit (wo fast jede Nummer ablief:- Thema-Solo (ts)-Solo (p)-Solo (b)-Solo (d)-Thema) keine Bassisten bei sich hatte, die ein wirklich interessante Solos hinkriegten (ich weiss @soulpope, bei Larry Gales ging das schon, aber auf die Dauer ist es auch bei ihm etwas ermüdend). Ich mochte Bass-Solos immer, auch die gestrichenen von Paul Chambers, den ich inzwischen längst etwas weniger schätze als damals (wo ich dafür die Grösse von Wilbur Ware noch nicht wirklich schätzen konnte). Aber klar, stets ein Bass- und ein Schlagzeugsolo, das muss nicht sein – aber pro Album z.B. je zwei, und natürlich ein paar Runden Fours fand ich immer sehr okay. Auch bei den „Fours“ (dem abwechselnden Spiel von je vier Takten von Bläser mit Rhythmusgruppe und Schlagzeuger solo) kann man Abwechslung einbringen, in dem man denn Pianisten und/oder den Bassisten miteinbezieht oder nicht, oder auch mal Fours ohne Schlagzeuger spielt (Max Roach liess z.B. den Bass gerne bei seinen Schlagzeugsoli mitspielen, auch das eine Möglichkeit, die nur selten genutzt wird) und diesem dafür in der Mitte mal einen ganzen Chorus – z.B. in einem zwölftaktigen Blues – zu spielen gibt, man kann auch Achter, Vierer, Zweier spielen, mit der Verdichtung eine Intensitätssteigerung erzeugen, die man dann z.B. in einem Shout-Chorus auflösen kann, bevor man das Thema rekapituliert usw.)

    Das geht jetzt alles viel mehr ins Detail als geplant – aber es soll erklären, warum ich aus hörbiographischen Gründen auf flapsige Stänkerein gegen „Thema-Solo-Solo-Thema“ manchmal gar nicht oder manchmal stänkernd polemisch reagiere … der zentrale Punkt ist aber, dass ich die Soli generell als den Aspekt des Jazz ansehe, bei dem der persönliche Charakter der Musiker zum Vorschein kommt, der eigene Sound, die Phrasierung, die dramaturgische Gestaltung – oder auch das Scheitern. Dabei ist es nicht die Zirkusnummer mit dem klotzenden Testosteron-Bolzen, die mich am am meisten fasziniert, gerade im Hard Bop gibt es auch bei den Typen mit spitzen Ellbogen (Freddie Hubbard, Lee Morgan) oder kantigem Auftritt (Clifford Jordan, J.R. Monterose, Jackie McLean) oder Hypervirtuosität (Johnny Griffin, Freddie Hubbard) oft genug vielschichte persönliche Spielweisen. Ich neige fast dazu, die Sache mit der „power of vulnerability“ (Lester Young via Miles Davis und von da in den Hauptstrom, vgl. Ethan Iversons gute Ausführunen dazu in seiner grossen Hommage an Young – es gab natürlich auch neben Miles schon eizelne Exponenten wie Kenny Dorham, etwas später Art Farmer, Johnny Coles – dass es eher Trompeter sind, ist wohl keine Überraschung [2]). Will sagen: hinter der „street smart“ Pose eines Morgan oder McLean liegen Schichten, deren man sich bewusst sein sollte – und die man durchaus auch der Musik anhören kann, wenn man denn will.

    [1] „Soli“, wie in „Sax-Soli“, meint in der Regel eine Passage (einen ganzen Chorus, einen halben, acht Takte …), in der das ganze Sax-Register (2 as, 2 ts, bari) eine arrangierte Passage spielt, nicht unisono sondern irgendwie hübsch gesetzt und natürlich passend durch die Changes (v.a. in der „Bridge“) geschoben … das macht auch zum Spielen extrem viel Spass, wenn der Lead-Altsaxer gut ist (einer der Gründe, warum der Lead-Altsaxer in Big Bands oft kein ausgewachsener Solist ist – z.B. Earle Warren bei Basie ab 1936: vielgeschmäht als Crooner, zu recht wohl, aber als toller Lead-Saxer im Schatten der Vorwürfe leider ziemlich ignoriert – liegt eben darin, dass das ein Job ist, bei dem man verdammt viel zu tun hat, auch wenn man nicht noch soliert … dasselbe gilt für den Lead-Trompeter, der in aller Regel auch nicht der wichtigste Solist des Trompetenregisters ist, die spielen eher zweite bis vierte Stimme – oder im Fall von Louis Armstrong bei Fletcher Henderson spielen sie gar nicht mit, weil’s mit dem Notenlesen – „pp“? „pound plenty“, also volle druff! – nicht so gut klappte).

    [2] Die Pres-Saxer (aka „grey boys“) sind ja keine Hard Bopper und liessen eigentlich den Aspekt der Verletzlichkeit auch fast ganz weg … sie waren ja fast alle weiss und hatten ein ganz anderes Verständnis bzw. eine andere Wahrnehmung/Erfahrung mit der US-Gesellschaft gemacht – ungebrochen, wenn man so will, und deshalb klingen ein Cohn, ein Sims niemals so poetisch-verloren wie Young – einzig Stan Getz kommt in Sachen Poesie vielleicht an das Vorbild heran (verloren hat er sich wohl vor allem selbst – was auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, aber auch wieder eine ganz andere Erfahrung, die den afro-amerikanischen Künstlern obendrein wohl auch noch in verschärfter Weise drohte), und dies wohl auch gerade, weil er in seinem Sound sich von Young weiter entfernt und ihm damit wieder näher kommt: er ist facettenreicher, weicher, vielfältiger – und vermutlich noch viel farbenreicher als Youngs Ton.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10548935  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    Der Doppelpost (ich dachte, die tolle Palasthotel-Armeleute-Lösung hier verhindere dies) zerschoss gerade wieder die Timeline der ganzen „Eine Frage des Stils“-Ecke … weil es jeweils einen ganzen Tag oder so dauert, bis das Forum im Hintergrund neu berechnet, schreibe ich jetzt mal diesen Post, vielleicht holt es den Thread dann wieder nach vorn?

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10549579  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 4,876

    Ein anregender Beitrag, @gypsy-tail-wind.

    Die Herbie Hancock / Blue Note-Box habe ich auch. Man kann da hören, dass HH seine Alben jeweils mit einem Konzept aufgenommen hat – vielleicht nicht alle, aber im Laufe der Zeit scheint das immer ausgeprägter zu werden. Anfangs ist das noch mehr oder weniger Hard Bop, doch schon bei seinem dritten Album Inventions & Directions wird das deutlich. Da lässt er sich nur von Paul Chambers am Bass und zwei Latino-Perkussuionsten begleiten. Das ergibt eine ganz eigenen rhythmischen und dramaturgische Eigenart. Sehr außergewöhnlich und sehr gut. Maiden Voyage hat nicht nur mit dem übergordneten Thema „Das Meer“ ein klares Konzept, auch musikalisch hat das einen speziellen Fluss. HH wählte offenbar seine jeweiligen Begleiter auch gezielt für diese Projekte aus. Und bei Speak Like A Child gibt es das ungewöhnliche Bläsertrio Thad Jones, Peter Philips, Jerry Dodgon (Flügelhorn, Bass-Posaune, Flöte !), das gemeinsam einen fein pastellfarben changierenden Klang hat, der gegen das Solo-Piano von HH gesetzt wird. Der Charakter und die Güte dieses Albums ist umso stärker, je konsequenter dieses Konzept umgesetzt wird. Ich denke Thad Jones, Peter Philips, Jerry Dodgon machen da einen ausgezeichneten Job.

    Eine der größten Enttäuschungen durch den von mir ansonsten sehr geschätzen Thelonious Monk, war das Big Band & Quartet In Concert-Album von 1963. Ich kannte davon eine Aufnahme von einer Compilation (Misterioso), die mich anfixte. Doch auf dem Album laufen tatsächlich fast alle Stücke noch dem gleichen Schema ab, Thema-Solo-Solo-…-Thema. An sich ist das nichts Böses, aber wenn dieses Schema nicht mit Leben gefüllt wird, bleibt am Ende nur eine tote Hülle. Ich glaube, ich habe es nie geschafft, das Album von vorne bis hinten zu hören. Irgendwann fielen mir vor Langeweile immer die Ohren zu. Ich habe es dann verkauft oder verschenkt.

    Und wo ich gerade dabei war: Con-Soul & Sax von Wild Bill Davis und Johnny Hodges mag im Vergleich zu den oben genannt Alben nur eine Fußnote der Jazzgeschichte sein. Aber wie sich die beiden Co-Leader hier mit ihren Soli die Bälle zuspielen, wie die beiden charakteristischen und individuellen Stimmen auf Altsax bzw. Hammond hier kontrastierend miteinander kommunizieren und sich gegenseitig herausfordern und zur Geltung bringen – das ergibt für mich tatsächlich mehr und was anderes als die Summe seiner Teile. Und vielleicht darf man die Gegenüberstellung Hodges (Altsax) + Wild Bill (Hammond) damit auch schon fast als ein Konzept begreifen. Das finde ich gut.

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #10549663  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,013

    Hm, dabei ist doch gerade „Big Band & Quartet in Concert“ das eine Monk-Album, das die Ödnis des Quartetts durchbricht – mit Solisten wie Steve Lacy, Phil Woods (der bei Monk als Solist immer ziemlich toll ist) und anderen – und recht guten Arrangements obendrein (im Gegensatz zum Job von Oliver Nelson später). Ich verstehe Deinen Punkt aber schon, das ist wohl genau so ein Ding, wo man an den „Stimmen“ der Solisten interessiert sein muss (während man sich beim kompakten Quartett auch einfach am Gruppensound und dem tollen Swing erfreuen kann, ohne dass man Rouses Konservendosenton mögen muss).

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
Ansicht von 15 Beiträgen - 901 bis 915 (von insgesamt 1,179)

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.