Re: Jazz in den 80er Jahren

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gypsy-tail-wind
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Schön, dass hier eine Diskussion entsteht! Mit einer Replik von vorgarten hatte ich natürlich fest gerechnet (bzw. auf sie gehofft!).

Ein paar weitere Gedankensplitter:

Die Tradition ist ja genau die andauernde Weiterentwicklung – durch Absorption, durch sich verändernde Milieus (Kontext), manchmal wohl auch durch geniale Einzelpersonen (aber auch da: Kontext!). Da, wo dieser Prozess anhält (wo Jazz-Rock zum „Fusion“ verkrustet, wo Wynton und die Mittelklasse ihr Museum eröffnen), da ist an sich kein „Jazz“ mehr“ (klar, das ist eine besondere und letztlich so kaum haltbare Definition).

Das ist auch der Punkt mit dem Jazz, der kein Jazz mehr ist, weil der eigentliche „Jazz“ eben keinen Jazz mehr macht sondern anderes: Soul, Funk, Disco, Rap … der „Hauptstrom“, das was „von der Strasse“ kommt, um asdfjklös Formulierung zu borgen), so wäre die These, ist da, wo die afro-amerikanische Musik die (US-zentrische/fixierte) Populärkultur des Westens prägt. Und das ist ja letzlich auch das verblüffende, dieser nicht abreissende Strom von Ideen und Impulsen, ohne den es z.B. auch die Rockmusik nicht gegeben hätte (eine gewagte These wohl, aber ich wage sie gerne … wenn man frühen Cash und frühen Elvis hört und dann eben T-Bone Walker oder Chuck Berry oder Bo Diddley oder was weiss ich danebenhält, B.B. King – der ohne T-Bone wieder nicht denkbar ist – nicht zu vergessen etc.). Und mit Kamasi Washington ist jetzt – auch wenn das musikalisch eher nach (einer kraftloseren Version der) späten Incognito klingt (gemischt mit Pharoah Sanders, einigen Prisen vom Post-Coltrane/Tyner/etc.-Kontinuum, etwas von hier und etwas von da, alles durchaus gut gemacht, auch wenn die Inspiration letztlich zu fehlen scheint, mein zweiter Hörgang endete wieder recht desillusioniert bzw. brach nach zwei Dritteln bisher ab) – wieder einer da, der von der heutigen Erscheinungsform dieses ganzen Stromes aus gezielt auf den Jazz zurückgreift (ich bin mit Flying Lotus noch nicht weiter, Kendrick Lamars Album finde ich beeindruckend, wenn mir aber ein sagt, das sei Hip Hop für Leute, die keinen Hip Hop mögen, dann mag ich nicht zu resolut widersprechen, obwohl ich kein solcher Fall bin sondern eher Hip Hop/Rap bisher einfach viel zu schlecht kenne). Was Washington damit erreicht oder zu erreichen sucht ist wohl sowas wie ein Kurs in Tradition für Leute, die davon schon so weit entfernt sind, dass sie keine Ahnung haben … für alte Jazzhasen wie uns ist die Platte nicht gemacht, wir kennen das Netz, in dem er sich einspinnt, wir kennen die Vorlagen und das ganze wirkt dann halt doch reichlich zahm und etwas richtungslos … verbuchen wir es mal unter „Club Jazz“ (die Kategorie gibt es ja bei Fordham, vgl. Liste oben).

Wenn ein Blythe, ein Adams, ein Pullen, ein Murray – etwas früher auch ein Mingus oder ein Kirk – mit Traditionsbezügen operieren, dann ist das ja kein reines Reproduzieren, geht übers Museum hinaus (auch das Museum selbst, soviel sei mal scheu eingestanden, sprengt manchmal seine Mauern).

ECM empfinde ich eher als Bündel von Wegen – aber klar, das gehört auch ins Bild.

(Der Post ist schon zwei Stunden alt, ich lese dann gerne am Abend nochmal in Ruhe alles durch … muss jetzt noch ein wenig arbeiten ;-))

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