Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik Re: Die Übermacht der Nostalgie in der Wahrnehmung von Popmusik

#6891145  | PERMALINK

herr-rossi
Moderator
-

Registriert seit: 15.05.2005

Beiträge: 87,241

otisUnd Rossis „alles ist erlaubt“-Ansatz in den Zusammenhang mit schmallippigen Studienrätinnen zu bringen, geht an der Sache vorbei.

Ich habe keinen „alles ist erlaubt“-Ansatz. Begriffe wie „erlaubt“ und „verboten“ haben in der Beschäftigung mit Kunst für mein Verständnis nichts zu suchen.

Im Gegensatz zu Rossi habe ich diese Zeit hautnah erlebt. Und damals sehr wohl auch bei Studienrätinnen sehr viel Suche und Offenheit erlebt (sicher auch das angesprochene Andere, das findet man unter anderen Vorzeichen aber auch heute noch). Das sind doch Klischees, sie haben m.E. weder mit Kunst und Schund, noch mit autoritärer Pädagogik zu tun.

Ich habe nicht gesagt, dass alle Erzieher damals so waren, aber ich kann Dir gerne die Flut von Aufklärungsschriften zeigen, in der besorgte Pädagogen sich gerade in den fünfziger und sechziger Jahren den Kopf zerbrachen über „Schund“ und „Kitsch“ und dessen verderblichen Einfluss auf die Jugend und die arbeitende Bevölkerung. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es das auch schon und es wurde nahtlos fortgesetzt im Geiste von 68, als man Unterhaltungskultur als „eskapistisch“ und „affirmativ“ geißelte. Irgendwer trägt immer Bedenken, mit den allerbesten Absichten natürlich.

Kunst als solche ist autoritär, sonst ist sie für die Tonne. Kunst ist nicht demokratisch und nicht tolerant, sie ist in höchstem Maße nur sie selbst oder gar nichts. Als Rezipient hat man sich auf sie einzulassen, sie innerhalb ihres Soseins zu verstehen zu versuchen und kann daraus ihre immanenten Qualitätsmerkmale ableiten und daran gleichzeitig die eigenen Maßstäbe schulen.
Sehe ich das Kunstwerk jedoch nicht als eigenständig autoritäres Werk, sondern will es mir untertan machen, in dem Sinne, dass es gefälligst so zu sein habe, wie ich es möchte und wie meine Geschmackskulturen gerade ausgerichtet sind, werde ich weder der Kunst gerecht, noch kann sich bei mir ein Wertesystem aufbauen. Das ist dann kein Umgang mit Kunst, das ist schlicht und einfach intellektuelle oder auch emotionale Selbstbefriedigung.

Das ist das abendländische „Hochkultur“-Verständnis, das kann ich mit der Begeisterung für Popmusik nicht in Einklang bringen.
Ich muss dabei tatsächlich an Wolfgangs Schilderung denken, wie ein autoritärer Pauker ihm an der Tafel durchdeklinierte, warum „Satisfaction“ Dreck ist. Der Mann hatte genau den gleichen Kulturbegriff. Für mich ist die Folgerung daraus, dass man mit der Absolut-Setzung von Kultur auf dem Holzweg ist. Kultur ist Diskurs, ist Kommunikation zwischen Menschen. Das absolute, autoritäre Kunstwerk ist eine esoterische Vorstellung.

--