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À L‘ Aveuglette ist mein erstes Album von Francoiz Breut. Ich habe mich gerade mal schlau gemacht und erfahren, dass es ihr viertes ist und etwas Neues für sie: Hat sie bislang die Chansons anderer interpretiert, so singt sie jetzt ihre eigenen Texte und hat die Songs zusammen mit den Mitgliedern ihrer Tourband geschrieben. Wie gut ihre Texte sind, kann ich nicht beurteilen; dafür ist mein Französisch zu schlecht. Die Lieder sind meist spröde; sie gehen nicht gleich ins Ohr und laden nicht zum Mitsingen ein. Mancher mag das als Nachteil empfinden, aber ich halte es nach mehrmaligem Hören mittlerweile für einen Vorteil. Die Musik könnte schöner nicht sein! Sie passt zur Jahreszeit: Es ist Herbstmusik, von leichter Melancholie getränkt. Das Album nimmt sich Zeit, um eine sehnsüchtige Stimmung zu erzeugen. Und es überzeugt mit farbigen und abwechslungsreichen Arrangements, die mich mitunter an Filmmusik denken lassen; manchmal sparsam, häufiger üppig. Vibraphon, Violine, Banjo, Synthesizer und Bläser erweitern die übliche Palette von Klavier, Gitarren, Bass und Schlagzeug. Jeder Song klingt anders, aber alle passen wunderbar zusammen und werden einnehmend gesungen. Die Stimme von Francoiz Breut ist wirklich etwas Besonderes: klar und warm und weich und unverwechselbar; gar nicht groß, aber fähig, Sehnsucht in allen Nuancen auszudrücken. Die Stimme, die Stimmung, die klanglichen Reize und das variable Spiel der Band sind der Grund, warum ich dieses Album immer wieder hören will.
À L‘ Aveuglette empfängt uns mit „La Conciergerie“, einem der drei kurzen, entrückten Instrumentals, die das Album gliedern, und führt uns dann zunächst ins Americana-Land: „Terre D‘ Ombre“ mit seinen beherzten Gitarren zeigt bereits, wie geschickt die Band einen Song unter Spannung setzen kann. Die Musiker verstehen sich überhaupt darauf, zwischen nachdrücklichen und entspannten Passagen zu wechseln. „Les Jeunes Pousses“ ist dann der erste Höhepunkt: Flott wird losgetrabt, dann setzt der Beat kurz aus, um die zurückgelehnte Gesangsmelodie vorzustellen; es entwickelt sich ein bewegtes Backing mit kleinen Riffs, und allmählich schwingt der Song sich immer weiter auf, mit Militärtrommeln und funkelnden Bläserfanfaren. Großartig aufgebaut. Meine beiden anderen Lieblingstracks sind “L‘ Étincelle ou la Contrainte du Feu“, bekannt von der ROLLING STONE RARE TRAX #60 (die zweite Stimme – „et je sais, oui je sais“ – stammt von Julia Lanoé), und das Titelstück des Albums. Das emphatische, umwerfende „À L‘ Aveuglette“, von Streichern getragen, wartet auf mit der Grandezza von orchestralem Sixties-Pop. Der schwächste Song der Platte ist „Mouchoir de Poche“: Das ist immer noch ein hübsches Stück mit plätscherndem Banjo und ätherischem Backup-Gesang, aber ich habe den Eindruck, dass die Musik hier eher den Text untermalt als für sich zu bestehen. Die Worte zergehen freilich auf der Zunge. Das Album insgesamt wirkt homogen trotz seiner Vielfalt: Das Spektrum reicht von der Chanson-Tradition bis zum dunkel-eleganten, treibenden Rocksong „Nébuleux Bonhomme“ und vom verdüsterten, schweren „Dunkerque“ mit seinem beinahe dröhnenden Bass zum sanften und zärtlichen „2013“ mit Violine, Glockenspiel und dezenter Elektronik. „Mots Croisés“ sei noch erwähnt: Darin besingt Francoiz Breut ihre neuen Erfahrungen als Textschreiberin zu nachdrücklicher, kraftvoller Musik.
Man merkt es vielleicht nicht gleich, aber: À L‘ Aveuglette ist eine sehr sehr gute Platte.
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To Hell with Poverty