Re: Karlsruhe kippt Rauchverbote in Baden-Württemberg und Berlin

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nail75

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Dougsahm, oben hast Du mir vorgeworfen, dass ich das gesetzeskonforme Verhalten von Gastwirten unterbinden wollte, obwohl ein entsprechendes Gesetz überhaupt nicht existiert.

Daher habe ich darauf hingewiesen, dass solche hypothetischen Tricksereien vermutlich vor deutschen Gerichten keinen Bestand haben. Meine Befürchtung ergab sich aus der Lektüre eines Wikipedia-Artikels über das Rauchverbot in Spanien. In der Folge entwickelte sich eine kurze Diskussion zwischen Dick Laurent und mir (oben nachzulesen). Wie das spanische Rechtssystem beschaffen ist, weiß ich nicht, allerdings ist die reale Lage wohl so (wenn man dem Artikel und den Aussagen eines Foris vertraut).

@Mar Beck: Da die Entscheidung so wichtig ist, nehmen wir den Wortlaut der aktuellen Entscheidung. Ich verstehe, dass Du an Deiner Meinung festhältst, aber das BVerfG ist nach Studium der vorliegenden Fakten zur gegenteiligen Auffassung gelangt. Damit hat Deine Rechtsauffassung keine Chance mehr, vor Gerichten Gehör zu finden, jedenfalls nicht solange sich keine grundlegend neue Bewertung der rechtlichen Situation ergibt. Natürlich kann man versuchen, seine Meinung politisch durchzusetzen, angesichts des Wortlauts der Entscheidung (siehe unten), wäre jedoch sogar eine rechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers denkbar, Nichtraucher umfassend vor Zigarettenrauch in geschlossenen Räumen zu schützen. Möglicherweise wäre eine Klage vor deutschen Gerichten gegen die (theoretische) Weigerung des Gesetzgebers, dafür zu sorgen, nicht aussichtslos!

Das hier immer wieder genannte Argument, kein Nichtraucher sei gezwungen, sich in Raucherkneipen aufzuhalten, hat das BVerfG ausdrücklich zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung hat kann der Gesetzgeber jederzeit festlegen, dass der Gaststättenbesucher das Anrecht auf einen Platz hat, in dem er oder sie nicht von Zigarettenrauch belästigt wird:

Wortlaut: „Ebenso wenig wird den Nichtrauchern unter den Gaststättenbesuchern der Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens aufgedrängt. Die gesetzliche Regelung trägt lediglich dem Umstand Rechnung, dass ihnen, solange es keine ausreichende Zahl von Plätzen in rauchfreien Gasträumen gibt, keine andere Wahl bleibt, als bei dem Besuch einer Gaststätte eine Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen hinzunehmen (vgl. oben B. I. 1. b bb <1>). Nichtraucher sollen in diesem Bereich des gesellschaftlichen Lebens nicht nur um den Preis der Gefährdung ihrer Gesundheit teilnehmen können.“

Jetzt die wichtigen Passagen:

(1) Trifft der Gesetzgeber Regelungen, die in die Freiheit der Berufsausübung eingreifen, so muss bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren gewahrt bleiben (vgl.BVerfGE 102, 197 <220>; 112, 255 <267>).
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(a) Ein Rauchverbot für Gaststätten stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die freie Berufsausübung der Gastwirte dar. Da der Betreiber das Rauchen in den Räumen seiner Gaststätte nicht mehr erlauben darf, kann er mit seinen Angeboten insbesondere an Speisen und Getränken die Raucher unter seinen möglichen Gästen nur noch schwer oder, wenn diese auf das Rauchen in Gaststätten keinesfalls verzichten möchten, nicht mehr erreichen. Viele Raucher werden – zumindest vorübergehend – Gaststätten seltener aufsuchen oder die Dauer ihres Besuchs abkürzen, weil der Aufenthalt für sie durch das Rauchverbot erheblich an Attraktivität verloren hat. In Anbetracht eines Raucheranteils von 33,9 % unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland (vgl. Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Mai 2008, S. 38) kann dies je nach Ausrichtung der gastronomischen Angebote und der damit angesprochenen Besucherkreise für die Betreiber der Gaststätten zu empfindlichen Umsatzrückgängen führen. Bestätigt wird dies durch die Untersuchung des Statistischen Bundesamts, nach der die Umsatzrückgänge des Gaststättengewerbes – insbesondere der getränkegeprägten Gastronomie – in den Bundesländern mit Rauchverbot deutlich stärker waren als in den Ländern, in denen für Gaststätten noch keine Rauchverbote galten (vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 6. Juni 2008 – 207/08). Selbst wenn die Berichte aus Staaten mit bereits länger geltenden Rauchverboten über eine Erholung oder sogar Verbesserung des Umsatzes zutreffend seien und sich auch für Deutschland bestätigen sollten, müssten die Betreiber von Gaststätten bis zu dieser Entwicklung über eine längere Zeit geringere Einnahmen hinnehmen. Schon das kann zu einer Einschränkung oder sogar zur Schließung des Geschäftsbetriebs zwingen.
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(b) Dem steht allerdings gegenüber, dass mit Rauchverboten in Gaststätten überragend wichtige Gemeinwohlbelange verfolgt werden. Dies gilt zunächst für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung, dem in der Werteordnung des Grundgesetzes ein hohes Gewicht zukommt (vgl.BVerfGE 110, 141 <163> ). Aus Art. 2 Abs. 2 GG kann daher eine Schutzpflicht des Staates folgen, die eine Risikovorsorge gegen Gesundheitsgefährdungen umfasst (vgl.BVerfGE 56, 54 <78> ). Angesichts der Zahl der Todesfälle, die sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Erkrankungen durch Passivrauchen zurückführen lassen, ist zudem auch der Schutz des menschlichen Lebens betroffen. Die Verfassung begründet auch insoweit eine Schutzpflicht des Staates, die es ihm gebietet, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen (vgl.BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 115, 118 <152> ). Die Annahme einer beträchtlichen Gefährdung dieser Rechtsgüter begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sich die Landesgesetzgeber insoweit der in der Wissenschaft vorherrschenden Einschätzung anschließen können, wonach Tabakrauch auch bereits in geringsten Mengen wegen der enthaltenen gentoxischen Kanzerogene gesundheitsgefährdend sei (vgl. oben B. I. 1. b bb <2> ).
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(2) Es ist Sache des Gesetzgebers, in Bezug auf den jeweiligen Lebensbereich darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Situationen entgegengewirkt werden soll, die nach seiner Einschätzung zu Schäden führen können (vgl.BVerfGE 110, 141 <159>; vgl. auch BVerfGE 111, 10 <38 f., 43>). Hierbei kommt ihm grundsätzlich ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 96, 56 <64> ). Dies ermöglicht es dem Gesetzgeber, bei seiner Wahl für ein Schutzkonzept auch Interessen zu berücksichtigen, die gegenläufig zu dem von ihm verfolgten Gemeinwohlziel sind, und so eine Lösung durch Zuordnung und Abwägung kollidierender Rechtsgüter zu entwickeln. Soweit sich nicht in seltenen Ausnahmefällen der Verfassung eine konkrete Schutzpflicht entnehmen lässt, die zu einem bestimmten Tätigwerden zwingt, bleibt die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts dem Gesetzgeber als dem dafür zuständigen staatlichen Organ überlassen.
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(3) Auf der Grundlage der ihm zuzubilligenden Spielräume wäre der Gesetzgeber nicht gehindert, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen.

a) Da die Gesundheit und erst recht das menschliche Leben zu den besonders hohen Gütern zählen, darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die in das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich eingreifen (vgl.BVerfGE 17, 269 <276>; 85, 248 <261>; 107, 186 <196> ). Der Gesetzgeber ist daher von Verfassungs wegen nicht gehalten, mit Rücksicht auf die Berufsfreiheit der Betreiber von Gaststätten Ausnahmen von einem Rauchverbot für Gaststättenbetriebe in Gebäuden und vollständig umschlossenen Räumen zuzulassen. Er kann sich vielmehr für ein Konzept des Nichtraucherschutzes entscheiden, das einer möglichst großen Reichweite und Effizienz des Schutzes vor den Gefahren des Passivrauchens Priorität gibt. Werden nämlich Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten insbesondere für Raucherräume oder die Zeltgastronomie zugelassen, so bedeutet dies einen teilweisen Verzicht auf das an sich angestrebte Ziel des Gesundheitsschutzes. Um die ansonsten drohende „deutliche Reduzierung des Nichtraucherschutzes“ zu vermeiden, hat etwa der Bundesgesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens (vom 20. Juli 2007,BGBl I S. 1595 ) für die Verkehrsmittel des öffentlichen Personenverkehrs, also insbesondere für Eisenbahnen, Straßenbahnen, Omnibusse und Flugzeuge, keine Ausnahmen vom Rauchverbot zugelassen (vgl. BTDrucks 16/5049, S. 9).

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20080730_1bvr326207.html

Die aktuelle Rechtslage ist demnach, dass der Gesetzgeber ein absolutes Rauchverbot erlassen kann, selbst wenn tausende kleiner Kneipen deshalb schließen müssen. Wirtschaftliche Interessen von Gastwirten müssen generell und vollständig hinter den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zurücktreten. Wer als Gastwirt dagegen klagt, verliert, sogar dann, wenn es um seine Existenz geht. Das ist radikaler und eindeutiger, als ich es mir jemals vorgestellt hätte. Und das vom „konservativen“ 1. Senat!

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.