Re: AotW: Manic Street Preachers – Everything Must Go

#6518427  | PERMALINK

nail75

Registriert seit: 16.10.2006

Beiträge: 44,728

Ah UmJa, komisch. Die Manics werden stets vor diesem Post-Punk-Hintergrund gesehen und gelten daher im Gegensatz zu den Genannten als cool. Gerade bei Everything Must Go fällt mir aber sehr schwer, dies nachzuvollziehen. Ich höre da wenig Pop und wenig Britishness, aber viel Bekennertum.

Die Manics waren und sind eine sehr politische Band mit eindeutig links-intellektueller bzw. marxistischer Ausrichtung. Das interessiert in Amerika tendenziell niemanden und schon deshalb sind sie sehr british (oder welsh).
Dass man ernsthaft in Frage stellt, dass die Band einen sehr poppigen Einschlag hat, wundert mich schon, schließlich hast Du sie einen Beitrag zuvor noch mit Pearl Jam, U2 und den Smashing Pumpkins in einem Atemzug genannt, allesamt Bands, denen Melodien ja keineswegs fremd sind.

Ah Um
Schließlich: Ich mag das Album nicht.
Wenn über eine Platte gesagt wird, dass sich da jemand „Wut, Verzweiflung etc. von der Seele schreie“, dann halte ich das für ein sehr schlechtes Zeichen. Man sagt sowas gewöhnlich über authentizistischen Betroffenheits-Rock. Und genau das ist die Platte leider auch.
Mag sein, dass da wirklich tief empfundene Seelenpein dahintersteht. Das allein macht keine Kunst und es interessiert mich eigentlich auch nicht. Ich bin nicht der Psychiater irgendwelcher Rockmusiker. Was ich höre ist pseudophilosophischer Selbstfindungskram für Heranwachsende, der mit großem Wichtigkeitsgestus dem Hörer aufgedrängt wird. Dazu peinliches name dropping (Willem de Kooning, wow!) und plump-prätentiöse Wortspiele (Enola/Alone).
Der Sound ist insgesamt wenig aufregender Standard-Post-Grunge, wie ihn alle härteren Indie-Bands nach Nirvana pflegten.
U2 haben mehr Stil und Pearl Jam mehr soul. Und das will was heißen.

Ich glaube, Du hast das Album etwas voreilig in einer bestimmten Schublade abgelegt. Schließlich ist es kein Betroffenheits-Rock, wenn man über Dinge schreibt, die einem selbst widerfahren sind. Niemand zwingt Dich dazu, das gut zu finden, aber gleich zu behaupten, es sei keine Kunst und nur Musik für Jugendliche – naja. Das widerspricht eigentlich Deiner Auffassung von Popmusik als Volksmusik.

Das Album verlangt übrigens nicht im Mindesten, dass man den Psychiater für die Band spielt. Und das Name-Dropping mag man doof finden, aber das machen die Manics immer, das ist fast eines ihrer Markenzeichen.

Der Sound ist übrigens auch komplexer und vielschichtiger als Du glaubst, ich habe ihn ja oben ein wenig beschrieben. Natürlich schieben die Manics die Regler bis zum Anschlag hoch, machen ein grandios-bombastisches Werk, aber bei all dem hat es dennoch zahlreiche subtile, schöne Momente.

--

Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.