Re: AotW: Randy Newman – 12 Songs

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ah-um

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Humanismus ist ein komplexer Begriff, der ein wenig dazu einlädt, darunter zu verstehen, was man gerade will. Zum Humanismus als Geisteshaltung rechnet man jedenfalls in aller Regel den Glauben an das Gute im Menschen, an die Moral und an die Erziehbarkeit des Menschengeschlechts. Das ist selbstverständlich nichts Niedliches und Kuscheliges, sondern ein ausgesprochen dickes, hartes Brett.

Als Zyniker würde ich jemanden bezeichnen, der diesen Glauben verloren hat, meist aus Enttäuschung über die Menschen. Zum Zyniker gehört also, dass er die Worte des Wahren, Guten und Schönen sehr wohl versteht, ihnen aber die Gefolgschaft verweigert. Er ist ein enttäuschter Moralist und vom Glauben abgefallener Menschenfreund.
In diesem Sinne würde ich den Ich-Erzähler des „Old Kentucky Home“ nicht als Zyniker bezeichenen. Er ist nur ein Egoist und dummer Ignorant. Der Zyniker ist schon Newman selbst. Dass es sich hier um ein satirisches Spottlied auf eine verlogene Idylle handelt, wird gerade beim Vergleich mit der historischen Vorlage deutlich (nails Link oben).

Ich stimme mit otis überein, dass Newman hier keinen pädagogischen Impetus an den Tag legt. Aber gerade das disqualifiziert ihn als Humanisten. Denn zum Humanisten würde es gehören, dass er den Weg zum Guten weisen will und am moralischen Fortschritt der Menschheit arbeitet. Newman dagegen ist lakonisch, fast fatalistisch. Scheinbar unbeteiligt beschränkt er sich aufs Beschreiben – dies allerdings sehr wohl von einer wissenden, überlegenen Warte aus. Die Beschreibung als solche mag ein letzter Akt der Auflehnung gegen die Unzulänglichkeiten der Realität sein, aber eine wirkliche Hoffnung auf eine Verbesserung vermag ich bei Newman nicht herauszuhören.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Dass ich Newman eher als Zyniker (enttäuschten Menschenfreund) denn als Humanisten (gläubigen Menschenfreund) sehe, sagt nichts über die künstlerische Qualität seines Werks aus. Er schreibt großartige zynische Songs.

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There is a crack in everything; that's how the light gets in. (Leonard Cohen)