Re: Marillion – "Misplaced Childhood"

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irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

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1. Pseudo silk kimono (*****)
2. Kayleigh (**** 1/2)
3. Lavender (*****)
4. Bitter suite ( *****)
5. Heart of Lothian (**** 1/2)
6. Waterhole (expresso bongo) (**** 1/2)
7. Lords of the backstage (*** 1/2)
8. Blind curve (**** 1/2)
9. Childhoods end? (**** 1/2)
10. White feather (*** 1/2)

Schon ein erstaunliches Album. Immer wenn ich es höre, meine ich jede Regung, jeden Ton, jede Melodie sofort wiederzuerkennen, dabei habe ich dieses Album Jahren nicht gehört. Es gibt kaum ein Werk, das mir so sehr bis tief ins Blut gedrungen ist, wie „Misplaced childhood“. Es ist wohl auch eines der wenigen Kunstwerke, bei denen es mich kaum stört, dass es stellenweise extrem überproduziert ist. Fish entwarf dieses Album nach eigener Aussage während eines zehnstündigen LSD-Trips – so ist es. „Misplaced childhood“ ist ein Rausch an Bildern, im Grunde ein gewaltiger vierzigminütiger Song über die Sehnsucht. Nach Liebe, nach Heimat, nach Geborgenheit und Unschuld. Dies ist Fishs Album, sein Leben. Ein Album voller Wehklagen und Entrüstung, Hingabe und Theatralik – ich habe die Wahrnehmung, dass er sich bei diesem Album von Track zu Track die Kleider vom Leib singt.

Mich begeistert diese Mischung aus Pop und Progressive Rock. Die beschwörenden, herrschaftlichen Synthesizer des „Pseudo silk kimono“, in dem am Ende leichte Sirenen zu hören sind, nachdem Fish eindringlich von „Nicotine smears, long, long dried tears, invisible tears“ singt, der Song langsam ausbleicht, mit der auktorialen Erzählstimme („Safe in the sanctuary/Safe“). Oder das wunderschöne, leidenschaftsvolle Klavier in „Lavender“, das einer Refrainzeile entgegensinnt, die so himmlisch kitschig ist, dass es einem das Herz bricht. Hier taucht auch ein Wink auf das Cover auf: Der Regenbogen („Then I heard the children singin’/They were runnin‘ through the rainbows“). Dieses Album ist die Verarbeitung gescheiterter Liebe (wie in „Kayleigh“) und noch weit mehr dem Verlust der Jugend. Man sieht einen Jungen, eingezwängt in die Montur der Großen, barfuss, mit hölzernem, leeren Blick und einer Elster auf dem Arm. Und eine Rose und ein Ring zu seinen Füßen. So ist auch das Album: Beschwörend intensiv, dynamisch, in sich verschlungen, teils so trist, dass es in blanke Depression kippt, mal so aufmüpfig, dass man die gereckten Fäuste sieht, mal so hoffnungsvoll, dass man lächeln muss. Fish faucht und wimmert, flüstert und singt mit allem Ernst, unvergesslich sind die Zeilen wie „I will swear I have no nation/But I’m proud to own my heart“ („White feather“) oder einer der Schlüsselzeilen des Albums, gesungen in „Childhoods end?“, in denen das verlorene Kind in sich selbst wiedergefunden wird, im Schatten einer Elster („Hey you, you’ve survived/Now you’ve arrived/To be reborn in the shadow of the magpie“).

Es gibt ein paar Dinge, die dieses Album auszeichnen: Fishs leidenschaftlicher Gesang. Seine Texte, die anmutig und rührend persönlich sind. Der Erzähler, der immer wieder einzelne Songs begleitet. Die flirrenden Keyboards, die beschwören, harsch werden und herauswachsen, zur rechten Zeit, wie es sonst nur Streicher- und Bläserensembles vermögen. Die Percussions und aufgeweckten Eigendynamiken des Schlagzeugs. Diese Gitarre, dieses Wimmern im Wind. Und das Blut, das durch dieses schottische Herz fließt.

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Hold on Magnolia to that great highway moon