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dominick-birdsey
Birdcore

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Jay-Jay Johanson · Poison
RCA (2000)

Atmosphärisch, düster und hypnotisch zirpt der Drumcomputer, mittendrin beruhigt ein Piano und dann konterkariert schneidend Johansons Stimme „You believe in me, I believe in you, how come that you don’t believe in us.“ Es ist Jay-Jay Johansons drittes Album und nicht von ungefährt erinnert das Cover an Portishead, gleichwohl es auch an Edgar Allen Poe gemahnen könnte. Das Booklet enthält Schwarzweißbilder, die Hitchcockfilmen entnommen sein könnten. Die gesamte Ästhetik des Albums ist eine düstere, unterschwellig dräuende.

Sicherlich ist die Musik von Portishead inspiriert: dort aber, wo Portishead mit Beats, Samples und Vinylknistern Wärme erzeugen, dringt bei Johanson Kälte und Kühle durch. Jay-Jay Johansons Stimme klingt dabei so wunderbar andersartig, glasklar und glockenhell, hoch und pointiert (bei Björk würde man einmal mehr „entrückt“ schreiben), dass er damit in der Lage ist Stimmungen zu erzeugen.

Seine gesungenen Geschichten erzählen von gescheiterten Beziehungen, erzählen von der Liebe, selten positiv. Ähnlich wie in Daniel Sánchez Arévalos Debütfilm „dunkelblaufastschwarz“, in welchem der Protagonist Jorge seiner großen (und seines Erachtens besser situierten) Liebe eröffnet, dass er sich in ihrer Gegenwart immer minderwertig vorgekommen sei, beginnt Johanson den Song „Colder“ mit dem verbalen Beziehungsende „She said it’s over, She said I want you no more“, wie er tiefschlagender kaum sein könnte. Virtuos komponiert er verschiedene Elemente harmonisch und fragile musikalische Gebilde konsistent zu wunderbaren Songs und einem homogenen Album. Da stakt mit „Changed“ zwar ein sechsminütiger abwegiger Reggae (der ein wenig an Iggy Pops und Goran Bregovics „In The Deathcar“ erinnert) hervor und heraus, der aber so arrangiert ist, dass er zu den restlichen Songs des Albums optimal ins Verhältnis gesetzt wurde.

„Keep It A Secret“ mit seinem retro anmutenden Gescratche und einer gedämmten Gitarre, die versucht moderat zu rocken, erzählt von einem möglichen Seitensprung, während im Hintergrund leise erotisch zum bewahren des Geheimnisses aufgefordert wird und sich ein romantisches Vinylknistern zwischen die Beats mischt. Computerästhetik trifft Kammermusik: „Anywhere Anyone“ und „Humiliation“ erzeugen mit ausgefeilten jazzigen Pianoarrangements, mollastigen Momenten und minimaler Rhythmik gespenstische Bilder im Kopf. Konzeptionell wird das Album an zwei Stellen unterbrochen. Einmal durch ein Instrumentalstück, das Elektronik und traditionelles Instrumentarium vermengt und mit dem Ticken einer Uhr als klangliches Design-Element aufwatet und ein anderes Mal durch ein Stück kühler verzerrter Vocoderästhetik.

Die Kunst Johansons liegt im Understatement. Johanson croont nicht, er verzichtet auf großangelegte Posen und überzeugt durch Coolheit. Nur so gelingen ihm Stücke wie der Titeltrack, der textlich einmal mehr über die Liebe, musikalisch zauberhaft zwischen zauderndem und verschlepptem Tempo mäandert. Nur so bleibt der sanft seicht begleitende Frauenchor und die spanische Gitarre in „Suffering“ glaubhaft und niemals pathetisch oder gar kitschig. Und immer wieder trifft man in seinen Liedern auf Gegensätze. Meisterlich in „Far away“, Kälte und Wärme dargestellt durch die Schönheit des Klaviers und durch frostig scheppernde Beats und empfindungsarmen Vocodergesang. Nähe und Distanz in Form von finsterer Stimmung dank zeitlupenartiger Melodienführung kontrastiert durch Johansons helle falsettierte Stimme. Trip-Hop on point? Schon Chanson? Sicherlich, aber nicht die ganze tiefgreifende Wahrheit. Jedenfalls aber ein Album für die Dämmerung und für Edgar Allen Poe: „Und aus diesem schweren Schatten hebt sich meine Seele nimmer“.

Rank:
1. Jay-Jay Johanson · Poison
2. Daryl Hall · Sacred Songs
3. Ozark Henry · The Last Warm Solitude
4. Perry Blake · California
5. Seafruit · I Feel A Bit Normal Today

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