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Anonym
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Originally posted by Hannoversche Allgemeine Zeitung
Kraftwerk. Klingelt’s?Eine Menschmaschine ist auf Welttournee – und macht sich auf Hannover einen eigenen Reim
Kennen Sie das auch? Kurz vor Konzertbeginn, das Licht ist schon aus, die Spannung steigt – kurz noch einmal gucken, ob das Handy auch wirklich aus ist. Beim Kraftwerk-Konzert am Sonntagabend im ausverkauften Hamburger CCH ist das egal. Handy einfach anlassen, wenn’s klingelt, glauben die Leute, es gehört zum Konzert. Denn Kraftwerk-Lieder hören sich oft an wie ein neuer Handy-Klingelton.
Dabei stammen die meisten Hits der Band – „Menschmaschine“, „Computerwelt“, „Die Roboter“ – aus einer Zeit, in der es Handys noch gar nicht gab. „Retrofuturistisch“ raunen im Hamburger Publikum die grauschläfigen Bildungsbürger, „tanzbar“ finden es ihre Kinder, die auch schon mitdürfen. Kraftwerk hat schließlich die Techno-Welle ausgelöst, auf der die Band selbst aber nie mitgeschwommen ist. Kraftwerk hat halt schon in der Vergangenheit immer in der Zukunft gespielt, und deshalb ist für jeden etwas dabei. Diese musikalische Menschmaschine sorgt in Kopf und Beinen für Bewegung. Und wer will, kann auch mitsingen: Kraftwerk macht nicht viele Worte, und die werden auf einer großen Projektionsfläche hinter der Band in voller Bühnenbreite gezeigt.
34 Jahre nach der Bandgründung verlassen Ralf Hütter, Florian Schneider & Co. wieder einmal ihr Düsseldorfer Versteck und gehen auf Welttournee. Sechs Konzerte in Deutschland, aber keins in Hannover. Das hat sicher auch mit dem zweiten Lied der Show zu tun: „Expo 2000“. Wie bei den bereits gespielten Konzerten in Japan und wahrscheinlich bei den noch folgenden in Osteuropa und Amerika feiern die Fans in Hamburg das Lied, das bei der Weltausstellung in Hannover durchgefallen ist. Weil Hannover „Moments of Glory“ von den Scorpions besser fand. Irgendwie zukunftsfähiger oder so. Schwamm drüber, gibt Hütter im Gespräch nach der Show zu verstehen. Alles ist allen vergeben, nur nicht „Günther Jauche“ (Hütter), der damals im TV mit einer Gießkanne den bandtypischen Vocoder-Sound nachäffte.
Aber Kraftwerk ohne die vom Computer schnarrend verzerrte Stimme geht halt gar nicht, weil die Band keinen richtigen Sänger hat. Bei den weitgehend Vocoder-freien Liedern „Modell“, „Neonlicht“ und „Tour de France“ klappert das Timing, und Hütter liegt ganz schön oft zu tief. Besser klingt die „elektronische Skulptur“ (Hütter über Kraftwerk), wenn der Computer die Stimme in die Mangel nimmt und auch intonationsmäßig aufs richtige Gleis setzt – besonders bei „Trans Europa Express“, einem von vielen Kraftwerk-Liedern aus der guten, alten Zeit. Die Älteren erinnern sich, den Jüngeren wird’s auf der Projektionsfläche hinter der Band in voller Bühnenbreite gezeigt.
Der alte TEE sieht von vorn ein bisschen aus wie ein Elefant von hinten, wenn er den Rhein runter und die Alpen rauf dieselt. Später folgen Bilder von VW-Käfern und dunklen Mercedes-Limousinen mit Haifischflossen-Heck auf großer Fahrt („Autobahn“ von 1974) sowie immer wieder Filmaufnahmen von der „Tour de France“, der Kraftwerk schon 1983 ein Lied gab und jetzt Album und Tournee widmet. Das Publikum tobt, als bei „Vitamin“ und „Aero Dynamik“ auf der Leinwand Eddi Merckx durch die Berge, Erik Zabel und Robbie McEwen im Sprint über die Ziellinie und das Peloton über die Champs-Elysées radeln. Alles ist in Bewegung, nur Kraftwerk nicht. Stoisch stehen die vier das ganze zweistündige Konzert über an ihren Musikpulten. Ausnahme: Im Lied „Wir sind die Roboter“ lassen sie sich auf der Bühne von vier Robotern vertreten. Ein irres Spiel mit dem Echten und Falschen, dem Wahren und Unwahren, der Zukunft und der Vergangenheit …
Jetzt müsste ein Handy klingeln und die Gegenwart wieder zur Gewissheit machen.Volker Wiedersheim
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