Re: Dylan in Berlin, 20. Oktober

#1201987  | PERMALINK

conny

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So, hier nochmal eine Pressestimme zum Konzert :

Die Ballade vom dünnen Mann
Härter als zuvor: Bob Dylan mit neuem Sound in der Arena

Bereits zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren stand am Montag Bob Dylans Inszenierung seiner selbst auf dem Spielplan der Arena in Treptow. Das Stück ist bekannt, der Text darf als vertraut vorausgesetzt werden, im Parkett trifft man Leute, die man nur noch anlässlich von Dylan-Konzerten sieht und mit denen man die gleichen Gespräche wie beim letzten Mal führt. Es verspricht ein Murmeltiertag zu werden und doch ist alles anders.

Bob Dylan spielt Klavier. Spielen ist vielleicht zu viel gesagt. Er steht die meiste Zeit auf Spinnenbeinen tief gebeugt am linken Bühnenrand und hämmert auf ein Elektropiano, das seltsamerweise kaum zu hören ist. Es wurde in Expertenkreisen gerätselt, was ihn wohl bewogen haben könnte, bei seinen Konzerten von der Gitarre aufs Keyboard umzusteigen. Die schlimmste Vermutung ging dahin, der 62-jährige Musiker könne auf Grund einer grassierenden Arthrose die Akkorde nicht mehr greifen. Sympathischer ist da schon die Erklärung, Bob Dylan, als Gitarrist von eher bescheidenem Genie, habe seinen Instrumentalisten größere Möglichkeiten einräumen wollen. Der Trick funktioniert, seine Band klingt noch härter, kompakter und reduzierter, das Countryeske verliert sich immer mehr. Selbst wenn das Klavier nur angetäuscht wird, geht der Sound deutlich in Richtung Boogie. Das nur selten gespielte und nicht auf Anhieb zu erkennende „Most Likely You Go Your Way (And I ll go Mine)“ läuft sogar über einen funky Beat. Der neue Gitarrist Freddie Koella darf nicht bloß als Solist öfter nach vorn. Seine bluesgefärbten Licks dominieren jetzt das Ensemblespiel.

Jeder Auftritt Bob Dylans verlangt nach zweifacher Bewertung. In der A-Note für die Songauswahl kann diesmal leider nicht so hoch gegriffen werden. Bis auf das ewig vergötterte „Every Grain Of Sand“ wies die Berliner Setlist nichts Spektakuläres auf. In der künstlerischen Durchführung seines Standardrepertoires konnte Dylan die Preisrichter allerdings schnell überzeugen. Nichts bleibt wie es war, und daran wird sich auch nichts ändern. Tempi und Tonlage der Songs verwandeln sich nach wie vor auf offener Bühne. Es ist unglaublich, was Bob Dylan im Verlaufe eines Jahres aus „All Along The Watchtower“ gemacht hat. Beim letzten Mal noch rollender Rock, trieb er seine Musiker diesmal in eine geradezu metallische Interpretation von brachialer Schönheit. (fj.)