Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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herr-rossi
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bullittAh, jetzt ist das schon ein „positives Gegenbeispiel“. Das Unterbinden von Publikationen aus ideologischen Motiven heraus wurde noch nie durch transparente Begründung besser.

Verlage pflegen üblicherweise ein Verlagsprofil und entscheiden aus inhaltlichen und kaufmännischen Erwägungen darüber, welche Bücher sie veröffentlichen und welche nicht, und ebenso selbstverständlich, welche Titel nicht mehr geführt werden. Ich bin seit 30 Jahren im Publikationswesen tätig und mir fällt beim besten Willen kein Grund ein, warum ein Verlag nicht entscheiden dürfte, dass Publikationen aus inhaltlichen Gründen nicht mehr ins Verlagsprofil passen. Das ist weder „Selbstzensur“ noch sind das per se „ideologische Gründe“. Und selbst wenn, auch dazu hätte ein Verlag jedes Recht, er muss nicht das gesamte Meinungsspektrum abdecken. Ich finde, dass die Woke-Kritik inzwischen genauso fordernd und drängend gegenüber Verlagen und Kunstschaffenden auftritt wie die „Wokies“ selbst. Das oftmals verhuschte Vorgehen hängt vermutlich auch damit zusammen – egal wie man sich entscheidet, die Aufregung wird groß sein.

Ich beobachte zudem schon seit Jahren die Entgrenzung des Begriffs „Zensur“, mit dem wahllos um sich geworfen wird. Wenn man andere regelmäßig dafür scharf angreift, dass sie Begriffe bis zur Unkenntlichkeit ausdehnen, sollte man sich da doch etwas stärker zurückhalten.

Warum auch? Es wäre eine völlig anderes Motiv

Das Ergebnis ist für den Rezipienten das gleiche – ein Titel ist nicht mehr verfügbar. Aus kaufmännischen Gründen ist das „Canceln“ von Büchern also normal und nicht hinterfragbar, aber inhaltliche Begründungen sind „ideologisch“? Das ist eine Logik, die ich mir nicht zu eigen machen werde.

Nur trifft das hier ja schlicht und ergreifend nicht zu, da es sich um u.a. das Debüt eines der erfolgreichsten Kinderbuchautoren der USA handelt und die Selbstzensur auch massive Rückwirkungen auf den antiquarischen Markt hatte, wo die Bücher auch in weiten Teilen entfernt wurden.

Die Titel, die nicht mehr aufgelegt werden, sind meines Wissens aber nicht die populären Klassiker, niemand will dem Lorax an den Bart.

Übrigens hat Seuss selbst schon auf Kritik in den 70er Jahren mit Textänderungen reagiert. Bei der neuen Entscheidung geht es wohl vor allem um die Illustrationen. Der Verlag hätte die austauschen können, Neuauflagen mit neuen Illustrationen. Hätte doch auch einen Aufstand gegeben. Dabei wäre auch das bei Klassikern vor allem auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt nichts ungewöhnliches, ebenso wie Textanpassungen. Der Karl May-Verlag z.B. hat die von May autorisierten symbolistischen Einbandgestaltungen von Sascha Schneider in der Nachkriegszeit durch marktgängigere Entwürfe ersetzt, die alten schienen halt nicht mehr zeitgemäß und zu esoterisch. Verlegerische Freiheit. Könnte man heute nicht mehr machen, ohne dass es einen Empörungssturm gäbe …

PS: Der Fall ist bei Seuss zugegeben ein anderer, da die Illustrationen von ihm selbst stammen und integraler Bestandteil der Geschichten sind.

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