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latho
Wohin eine Aufweichung des Begriffs Genozid führt, sieht man aktuell in vielen Veröffentlichungen zum Thema „Decolonize Ausschwitz“ – Vertreter der Theorie (die Shoa ist ein vergleichbares und gleichstellbares koloniales Verbrechen), v.a. aus der linksidentitären Ecke geben (völlig irrerweise) u.a. an, dass wenn jüdische Forscher diese Theorie vertreten, sie ja nicht antisemitisch sein könnte (Auslöser für meine Anmerkung hier, wie üblich wohl hinter der Paywall). Götz Aly hat solche Theorien mit vollem Recht als „obszön“ bezeichnet (hier ausführlicher). Keiner sollte die Shoa oder Genozide als mit Denkverboten belegt auffassen, aber die Definition muss bleiben und darf nicht, wie so viele andere Wörter, in den Weichspüler geraten.
Dem stimme ich komplett zu. Allerdings würde ich nicht prinzipiell von „Aufweichung“ sprechen, wenn bei der Beurteilung von konkreten Ereignssen die Begriffen Völkermord bzw. Genozid auch dann verwendet werden, wenn das betreffende Ereignis „nur eine“ Definition dieser Begriffe oder nicht alle Kriterien einer bestimmten Definition erfüllt. Wirklich problematisch finde ich an dieser Stelle vor allem Konstrukte wie „kultureller Völkermord“ oder die voreilige, und insbesondere die propagandistische, Gleichstellung von Kriegsverbrechen mit Genozid (wie z. B. zurzeit im Ukraine-Krieg).
Den Holocaust halte ich allerdings selbst innerhalb des Themenkreises Völkermord für so einzigartig, dass er als Archetyp oder als „Maßstab“ zur Einordnung von anderen historischen Ereignissen nur sehr bedingt geeignet ist. So sagt ja auch Aly in dem DLF-Interview:
Das müssen wir alles ernst nehmen, aber das sind unterschiedliche Ereignisse. Es gibt viele Genozide und Massenmorde in der Geschichte. Da gibt es immer kleine Ähnlichkeiten und Dinge, die man vergleichen kann. Aber es gibt nichts, das (auch nur, Anm. d. Red.) in entfernter Weise deckungsgleich mit dem Holocaust wäre.
P.S.: @.latho: Danke für die Verlinkung des „Jung & Naiv“-Interviews.
zuletzt geändert von nicht_vom_forum--
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