Re: Blumfeld – Jenseits von Jedem

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dock

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Nach all der Lobhudelei gibt es tatsächlich auch in der Presse kritische Artikel:

Martin Büsser – Alchemie des Banalen

Blumfeld lassen mit »Jenseits von Jedem« selbst Protest zu Sentimentalität gerinnen

Die Begeisterung fiel in der Presse bislang verhaltener als sonst aus, so mancher Text bestand fast nur noch aus schlangenförmigen Windungen, die sich einem eindeutigen Urteil zur neuen Blumfeld-Platte entzogen haben. Dennoch glaubte keine Redaktion, auf einen Kommentar, wenn nicht sogar auf ein Titelthema zu Blumfeld verzichten zu können und verlieh ihnen damit bereits die entsprechende, abermals nicht hinterfragte Relevanz. Eingeschüchtert vom Konsens, daß es sich bei Blumfeld im allgemeinen und bei Jochen Distelmeyer im speziellen um ein intellektuell komplexes Phänomen handele, wagte kaum einer unter den sich notfalls auf deutsche Tugenden wie Autoritätsgläubigkeit zurückziehenden Journalisten, eine Platte wie »Jenseits von Jedem« als die Banalität zu benennen, die sie doch ist. Was die »Diktatur der Angepaßten« bedeutet – übrigens einer der schönsten Songtitel, den Blumfeld je verfaßt haben –, läßt sich nirgendwo besser als an der öffentlichen, fast immer devoten Resonanz zu Blumfeld ablesen.

Bereits das »Jochen hier, Jochen da«, mit dem das strahlendste Sonnenblumengesicht jenseits der volkstümlichen Hitparade von Schwärmen fragend belagert wird, als sende die Sphinx hier ihre Rätsel aus, macht deutlich, worum es Blumfeld schon lange nicht mehr geht oder vielleicht auch nie gegangen ist: Von dem demokratischen Ansatz und der Idee einer Band als Kollektiv sind Blumfeld so weit entfernt, daß die beiden – wie hießen sie doch gleich? – Nicht-Jochens auf genau den Begleitcharakter reduziert werden, den auch die angetrauten Damen einnehmen, die als Beiwerk nebst Obst, Gemüse und einem Schachbrett die Rückseite des Covers zieren. Alles nur ein Manet-Zitat und mit Gender-Klischees spielende Ironie? Hier schnappt bereits die zweite Falle zu: Immer dann, wenn die Sätze allzu banal erscheinen, wird Ironie herbeizitiert. Zeilen wie »Krankheit als Weg« oder »Gib nicht auf – es kommt ein neuer Morgen«, was hier beinahe selbstredend auf »Sorgen« gereimt wird, sind von Pur nicht weit entfernt, werden aber, weil es sich ja schließlich um Blumfeld handelt, nicht als kleinbürgerliche Durchhalteparolen betrachtet, sondern zitathaft, ironisch oder doch in irgendeiner Weise gebrochen gelesen. Seltsam nur, daß zwar die ganze aus Zeilen wie »Die Welt ist schön, ich lebe gern« hervorbrechende Affirmation Ironie oder Zitat sein soll, die platten Protestbekundungen à la »Die Geschichte macht weiter / die herrschende Klasse/ der Haß auf die Frauen / die Versklavung der Massen« dagegen wörtlich genommen, mit einem »Endlich sagt es mal einer!« rezipiert werden, obwohl sich beides in Sachen Banalität nicht unterscheidet. – Umso deprimierender an alldem, daß die Form das Gesagte selbst dort noch, wo es einfach wahr und richtig ist, als Phrase unter Phrasen erschlägt.

Wenn all das Dargebotene nur ein Spiel mit Sprechweisen wäre, ein Verweis auf festgefahrene Rhetorik und auf das müde Lord-Chandos-Gefühl, daß einem die Sprache bereits auf der Zunge modert, wäre es nicht der Rede wert, da niemand wirklich auf einen Nachweis darüber gewartet hat, wie determiniert Texte im Pop oft daherkommen. Dies ist ein bekanntes, aber umgehbares Problem. Wenn Blumfeld es nicht umgehen, sondern selbst noch Protest zu Sentimentalität gerinnen lassen, wird die allseits gestellte Frage nach dem »Was will Jochen uns damit sagen?« obsolet: Es steht da und hat sich mutwillig der Gefahr ausgesetzt, wörtlich genommen zu werden. Wer inzwischen wie Marius Müller-Westernhagen reimt, muß sich auch gefallen lassen, wie Westernhagen wahrgenommen zu werden, nämlich ohne irgendein mögliches Dahinter und damit mit beiden Füßen in der Authentizitätsfalle.

Die Humorlosigkeit und Direktheit eines mit starken Gefühlen besetzten Sprechens verleihen »Jenseits von Jedem« einen autoritär einschüchternden Gestus, eine von jeglichem Sex-Appeal weit entfernte Strenge, die umso schwerer lastet, je heiterer die Musik dazu aufspielt. Letztere hält keinen Raum mehr für Überraschungen bereit, sondern besteht aus eingelerntem Standardpop, dessen Ideenlosigkeit und Hang zur Berieselung die Aufmerksamkeit nur leider umso mehr auf Gesang und Texte leitet. Wer das mit Verweisen auf den ähnlich fröhlichen Zitatpop der frühen Achtziger und dessen Strategie der Scheinaffirmation schönreden möchte, muß sich zugleich die Frage stellen, für wen und wogegen gerichtet hier überhaupt noch affirmiert werden soll – eine Abgrenzung von der in den frühen Achtzigern als dominant und abgeschmackt empfundenen Negativität von Punk ist derzeit wohl kaum mehr nötig. Entsprechend klingen die permanent freudig nach vorne preschenden Bläser nicht mehr wie einst bei Haircut 100 nach Aufbruch, sondern überanstrengt, geradezu trotzig beseelt. Was »Jenseits von Jedem« fehlt, ist auch nur der Hauch von Distanz zur eigenen Sache, zu dieser Gewichtigkeit des Vortrags, die vom Habitus her wie Rilke daherkommt und doch auf halbem Wege im Poesiealbum-Jargon steckenbleibt. Kein Problem, wenn sich hier einer selbst überschätzt, doch solange kaum jemand wagt, sich gerade wegen einer solchen Überschätzung gegen diese Platte auszusprechen, wird sich die Spirale weiterdrehen und unvermeidlich weitere Legionen von Blumfeld-Adepten und von sentimentaler Jungs-Befindlichkeit durchtränkte Platten mit sich bringen. Es ist an der Zeit, die Fragwürdigkeit all dessen schon am Original zur Kenntnis zu nehmen.

treffende Rezension :twisted: :twisted: :twisted: wo isse eigentlich erschienen :?:

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