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Anonym
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Heute möchte ich aber noch kurz eine Künstlerin würdigen, die mit den sommerlichen City Pop-Vibes nur sehr peripher zu tun hat und im RS-Special nicht erwähnt wurde. Wer meine 80er-Liste genauer unter die Lupe genommen hat, wird nicht nur bemerkt haben, dass der Japan-Anteil mit 15% ziemlich hoch war, sondern auch, dass da eine gewisse TOGAWA Jun drei Mal vertreten war.
Von meiner Position aus schwer zu beurteilen, ob Togawa, die auch einige Credits als Schauspielerin zu Buche stehen hat, innerhalb und außerhalb Japans als eine der größten japanischen Künstlerinnen gewürdigt wird. Ich selbst hatte sie über eine japanische Freundin kennengelernt, die ich nach ihren liebsten heimischen Interpreten gefragt habe. Obwohl meine Bekanntschaft meinte, dass sie heute praktisch keine japanischen Künstler mehr hört, eher Sonic Youth und Artverwandtes feiert, hat sie mir Togawa Jun als einen ihrer ersten musikalischen Bezugspunkte genannt.
Da ich ja – wie oft erwähnt – u.a. ein riesiger Fan von Yano Akiko bin und allein deshalb exzentrischen Künstlerinnen aus Japan gegenüber sehr offen bin, war auch das Kennenlernen von Togawa seinerzeit keine große Sache. Dabei steht Togawa für mich mit ihrer brodelnden Exzentrik, dem eigenwilligen Auftreten und einem eklektischen Stilmix, der sich im Gegensatz zu Yanos frühen Werken zumindest am Anfang mehr in Richtung Punk und New Wave besinnt, als mit dem Piano in Jazz-Gefilde auszuschwärmen, praktisch in einer Tradition mit der großen Meisterin des sphärisch erhabenen Art Pop. Togawas stimmliche Bandbreite ist zugleich ebenso faszinierend wie die Dramaturgie ihrer Alben und teilweise sogar die Stimmungs- und Tempowechsel innerhalb einzelner Tracks.
Für den Einstieg wurde mir ihr Debüt-Album Tamahime-sama von 1984 empfohlen – bei dem Artwork natürlich eine dankbare Angelegenheit. Eine die gleich bestens illustriert, in welcher verschrobenen Gedankenwelt die Künstlerin Togawa Jun lebt. Von Insektenarmeen ist die Rede, auch vom indischen Nachbarn und am emotionalen Closer Mushi no Onna gelangt Togawa zu dem betrüblichen Fazit, dass sie – ganz dem Artwork entsprechend – selbst eine Insektenfrau ist. Wer das schräg, aber interessant findet, dem wird auch ein Blick auf die Credits Freude bereiten. Neben kleinen Beiträgen anderer mehr oder weniger bekannter Künstler (u.a. von Hosono Haruomi, wie könnte es anders sein, und laut dem japanischen Wikipedia auch von Yano Akiko) finden sich nämlich auch Erwähnungen von Manuel Acosta Villafañe (Teinen Pushiganga), einem argentinischen Folk-Musiker, der bereits 1956 verstorben ist, und dem deutschen Barock-Komponisten Johann Pachelbel. So entsteht ein eklektisches Konglomerat aus Anleihen von Avantgarde, Punk, und Folklore mit einer finster funkelnden Pop-Note über jedem Ton, zusammengehalten von schimmernden Keyboards und Togawas eigenwilligem Gesang zwischen quietschender Penetranz (Odorenai) und opernhafter Stimmgewalt.
Noch ein bisschen besser gefallen, aber praktisch auf derselben Stufe (in meiner Liste nicht umsonst mit #30, #39 und #47 sehr eng beisammen) gefallen mir die beiden Alben aus dem folgenden Jahr, die zwar Togawas Tugenden ebenso gut vereinen, aber in meinen Ohren noch ein wenig eleganter zusammenfließen – wenn auch (auf den ersten Blick) etwas weniger sinister und schrullig. Auf Kyokutō Ian Shōka (ebenso hinreißendes Artwork) finde ich mit Toyama Shōgakkō Kōka ~ Akagumi no Uta nicht umsonst einen meiner liebsten Tracks von ihr, der musikalisch gut auf Yanos Gohan ga Dekita yo gepasst hätte (und nicht zuletzt deshalb – wie alles mir bekannte von Togawa – auch @ianage und @herr-rossi (du brauchst die Yano-Alben auch endlich!!) hiermit offiziell ans Herz gelegt sei). Das zweite „Solo“-Album ist zwar nicht so intensiv, musikalisch dafür etwas weniger zerfahren, ohne eine Abkehr von der eklektischen Bandbreite zu bedeuten, und selbst in seinen schwelgerischen Momenten sehr schön (Opener Gankyū Kitan). Generell finde ich es großartig, wie tight Togawa ihren Shit auf diesen drei innerhalb von zwei Jahren veröffentlichten Platten hatte und wie wunderbar sie etwa auf Kyokutō Hanayome neben diesem bedrohlich hypnotischen Beat im Fokus bleibt.
Deshalb ist Suki Suki Daisuki auch der passende und wiederum tolle Abschluss dieser kleinen Trilogie an LPs, die zusammen nur etwa 90 Minuten lang ist. Den Titeltrack hatte ich ja vor kurzem als Song des Tages, da finde ich vor allem faszinierend, wie Togawa auf dreieinhalb Minuten die ganzen Widersprüche ihrer Kunst vereint, gesanglich wie musikalisch. Und weil der Rest des Albums dem nicht wirklich nachsteht und die versammelten Musiker wie auf den vorangegangenen beiden Werken wunderbar harmonieren, ist dieser Auszug ihres Werkes, das noch einige Veröffentlichungen birgt (und hier im Forum sogar einen eigenen Thread mit einem einzigen Beitrag hat), in meinen Ohren essenzielle Kost. Garantiert nicht für jedermann geeignet und ich kann nicht einschätzen, wie leicht in unseren Breitengrade erhältlich, aber für mich mittlerweile eines der ganz großen Aushängeschilder des artifiziellen Pop und der 80er-Jahre im Gesamten. Watashi wa…mushi no otoko.
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