Morton Feldman

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    Morton Feldman (1926-1987)

    Ich habe die letzten Tage und Wochen immer wieder Musik von Morton Feldman gehört und bin fasziniert von der Ruhe und der Bewegung, die sie ausstrahlt, von der Art, wie sie atmet, sei es in den Klavierstücken, im kammermusikalischen oder orchestralen Rahmen.

    Meine bisherige Feldman-Sammlung setzt sich v.a. aus hat[now]ART-Veröffentlichungen zusammen. „For Samuel Beckett“, „For John Cage“, „Atlantis“ (die CD enthält auch „String Quartet & Orchestra“ und „Oboe & Orchestra“), „String Quartet (II)“ und – noch ungehört bisher – die Oper „Neither“ (nach Beckett) und „Violin & String Quartet“.

    Heute habe ich das vierdreiviertelstündige „String Quartet (II)“ zum ersten Mal gehört, natürlich nicht ganz ohne Unterbrüche und leider auch nicht, ohne mich der Musik gänzlich zu widmen – aber die Faszination ist immens. Die Musik ist ein Auf und Ab, sehr dynamisch, mal karg, manchmal sehr verdichtet, vor allem aber ist sie ein Vor und Zurück, die zahllosen Wiederholungen haben eine ganz eigenartige Wirkung, die Musik entwickelt einen starken Sog, stellenweise beinah einen Malstrom, der einen aber doch nie gänzlich aufsaugt – dazu ist der Genuss am Ende wohl zu anregend, fallen lassen kann man sich nicht (ich stelle mir vor, man würde ziemlich hart aufprallen und die Musik rasch ausschalten, wenn man das versuchen wollte).

    Was mich aber die letzten Wochen am meisten fasziniert hat, ist Feldmans Piano-Musik. Die Hat-CD „Early Piano Works“ mit Steffen Schleiermacher am Klavier ist ein unglaublich Ding. Die Musik soll man sich gemäss Feldmans Anweisung so leise anhören, dass man sie kaum noch hören kann. Sie ist weder langsam noch schnell, besteht aus mindestens so vielen Pausen wie aus Tönen, die konventionelle Art des Tonsetzens, in der moduliert wird, sich ein Akkord aus dem nächsten ergibt, ist völlig aufgebrochen. Ein Ton wird gesetzt, der nächste folgt mit gebührendem Abstand, jeder Ton, jedes Fragment, hat seinen Platz und all das klingt so beiläufig wie es zwingend wirkt. (In der äusseren Erscheinungsform mag das Saties Klavierstücken nicht unähnlich sein, aber der ist geradezu schwatzhaft im Vergleich.)
    Etwas weniger faszinierend finde ich die Interpretationen der frühen Stücke, wie sie Stéphane Ginsbrugh auf der CD „Last Pieces“ (dies der etwas gar voreilige Titel eines vierteiligen Werks von 1959) spielt. Vielleicht ist er manchmal eine Spur zu schnell, widmet den Pausen, der Stille, dem Raum nicht ganz die nötige Aufmerksamkeit, oder er klingt zu sehr – ich weiss es nicht. Lohnenswert als Ergänzung (auch die „Intermission VI“, die für ein oder zwei Klaviere geschrieben wurde, ist auf beiden CDs zu finden) zur Hat-CD ist die Sub Rosa CD allerdings alleweil, da sie mit dem langen „Palais de Mari for Piano“ beginnt, einem ganz späten Stück, das Feldman 1986 komponiert hat, und das für sich sehr faszinierend ist.

    Wenn eine kleine persönliche Bemerkung erlaubt ist: Ich habe Feldmans Klavierstücke oft spätnachts gehört – ich bevorzuge auch dann das Hören im Raum gegenüber dem Hören mit Kopfhörern, selbst wenn ich dann nur leise hören kann. Jedenfalls erlebte ich ein paar nahezu magische Momente, wenn die Vögel in den Bäumen hinter meinem offenen Fenster zwitscherten, während Schleiermacher auf den nächsten Ton wartete, oder zuletzt auch, wenn es draussen regnete. Wenn die Musik, die ja so still ist, quasi von anderen Umgebungsgeräuschen absorbiert wird, mit ihnen eins wird. (Und nein verdammt, das ist keine New Age Kacke oder sonstwas, sollte jemand damit kommen, werfe ich hiermit schon den Fehdehandschuh.)

    Zuletzt besitze ich noch die New Albion CD mit „Rothko Chapel“ und dem äusserst faszinierenden, für Flöte, Piano und Glockenspiel geschriebenen „Why Patterns?“. Auch diese CD lief wieder und zog mich in ihren Bann.

    Was Feldman im Netz betrifft, bin ich auf diese ausführliche Seite gestossen:
    http://www.cnvill.net/mfhome.htm
    Es gibt da z.B. ein spannendes Interview, in dem Feldman v.a. über Perkussions-Stücke spricht (der Gesprächspartner Jan Williams ist Perkussionist und Feldman-Interpret). Feldman verschätzt in dem Gespräch die Dauer von „String Quartet (II)“ auf etwa zwei Stunden und zwanzig Minuten – und sagt folgendes zur Dauer seiner Stücke:

    … actually it’s a very interesting type of preparation – you know, it’s not like planning a trip across the Atlantic and I know I have to take certain types of supplies and the boat has to be seaworthy. It’s not a perilous journey; the journey just depends on my own stamina. That’s the only thing I have to bring to a long piece. And also psychological – and it is more psychological than anything else – the psychological conditioning to keep it going as long as I feel it must go, but also to stop when I feel it’s time. In other words, I need just as much guts to stop at twenty-five minutes as I do to keep it going for two hours and twenty-five minutes. So, I’m open to the possibility of stopping where I might have miscalculated. I don’t know how much percussion I could hear for two hours and twenty-five minutes, but I wonder what the perception of percussion would be hearing it for a longer period of time than we are used to.

    Überhaupt lohnt sich die Lektüre sehr, auch wenn man (wie ich) die Perkussions-Stücke Feldmans (noch) nicht kennt (es geht ganz besonders um „The King of Denmark“ von 1964).

    Auf der Website des New Yorker findet sich zudem ein längerer Text von Alex Ross über Feldman, „American Sublime: Morton Feldman’s mysterious musical landscapes“, der folgendermassen beginnt:

    Morton Feldman was a big, brusque Jewish guy from Woodside, Queens—the son of a manufacturer of children’s coats. He worked in the family business until he was forty-four years old, and he later became a professor of music at the State University of New York at Buffalo. He died in 1987, at the age of sixty-one. To almost everyone’s surprise but his own, he turned out to be one of the major composers of the twentieth century, a sovereign artist who opened up vast, quiet, agonizingly beautiful worlds of sound. He was also one of the greatest talkers in the recent history of New York City, and there is no better way to introduce him than to let him speak for himself:

    Earlier in my life there seemed to be unlimited possibilities, but my mind was closed. Now, years later and with an open mind, possibilities no longer interest me. I seem content to be continually rearranging the same furniture in the same room. My concern at times is nothing more than establishing a series of practical conditions that will enable me to work. For years I said if I could only find a comfortable chair I would rival Mozart.

    My teacher Stefan Wolpe was a Marxist and he felt my music was too esoteric at the time. And he had his studio on a proletarian street, on Fourteenth Street and Sixth Avenue. . . . He was on the second floor and we were looking out the window, and he said, “What about the man on the street?” At that moment . . . Jackson Pollock was crossing the street. The crazy artist of my generation was crossing the street at that moment.

    If a man teaches composition in a university, how can he not be a composer? He has worked hard, learned his craft. Ergo, he is a composer. A professional. Like a doctor. But there is that doctor who opens you up, does exactly the right thing, closes you up—and you die. He failed to take the chance that might have saved you. Art is a crucial, dangerous operation we perform on ourselves. Unless we take a chance, we die in art.

    Just concentrate on not making the lazy move.
    Polyphony sucks.

    Because I’m Jewish, I do not identify with, say, Western civilization music. In other words, when Bach gives us a diminished fourth, I cannot respond that the diminished fourth means, O God. . . . What are our morals in music? Our moral in music is nineteenth-century German music, isn’t it? I do think about that, and I do think about the fact that I want to be the first great composer that is Jewish.

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    Auch ubuweb hält ein paar Kleinigkeiten bereit, u.a. eine Aufnahme des Perkussions-Stücks „The King of Denmark“.

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