RÄUBERZIVIL……Tiefenschärfe (27.2.)

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    close-to-the-edge

    Registriert seit: 27.11.2006

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    Kreative Künstler sind rastlose Künstler und die mögen den Stillstand nicht. Da HRK Räuberzivil als Kontrast zur Verstärkung zur puren Selbstverwirklichung entwickelt hatte, macht er dort auch keine Kompromisse.
    Nicht einmal, wenn das letzte Album von Fans und Kritikern gleichermaßen überschwänglich gelobt wurde und auch der Künstler selbst mit seiner Arbeit hochzufrieden war.
    „Hier rein da raus“ war ein randvolles Paket voller Ideen und Spielfreude. Die Gesamtheit aus Musikern, Begleitpersonen und Technik war ein einziger Glücksfall.
    Wer nun hört, dass Kunze dieses wunderbare Konzept und sein Winning Team wieder zerlegt und ganz neu zusammenbaut, der bekommt es zwangsläufig mit nagender Skepsis zu tun. Geht hier jemand aufs Eis weil ihm zu wohl ist?

    Sicher nicht. Wer die neue Platte hört, versteht schnell, dass die Räuberzivil-Geschichte mit gebotenem Instinkt so, und nicht anders weitererzählt werden musste. Auch in der Vergangenheit hatte sich das ursprüngliche Duo Kunze/Stute ja bereits Stück für Stück zum Trio und zum Quartett ergänzt, um den jeweils nächsten Schritt gehen zu können.

    Nun gibt es sage und schreibe 23 neue Songs, breiter und tiefer angelegt als es mit der alten Besetzung möglich gewesen wäre, und mit einer präziseren und wärmeren Ausformung der stilistischen Spielarten. Das Spektrum an Gitarren und Schlagwerk macht die Kompositionen tragfähiger, ohne jedoch die Spielfreude zu dämpfen. Zudem hat Heinz deutlich mehr Zeit und Lust auf Klavier. Die Abkehr vom rauen, schweißtreibenden Sound des Vorgängers führt aber keinesfalls in geglätteten Perfektionismus. Wir sind hier weiter bei Räuberzivil, aber eben bei Räuberzivil 2.0

    Wir bekommen ein Album, welches in der jahrzehntelangen und unzählige Alben umfassenden HRK-Discografie wiederum unvergleichlich daherkommt. Eigentlich ist nicht ein einziger Song dabei, der sich verwechseln ließe. Viele Lieder sind so frisch und prägnant, dass sie an die frühe Sturm- und Drangzeit Kunzes erinnern, als das Alleinstellungsmerkmal des Künstlers noch ein Erweckungserlebnis war.
    Aber genug gefachsimpelt. Machen wir uns nun an die oberflächliche Beschreibung von knapp zwei Dutzend Liedern:

    Zunächst startet das Album mit drei Songs, die so oder so ähnlich auch auf dem Vorgängeralbum gelandet sein könnten. Räuberzivil 2.0 baut sich also eine Brücke und beschreitet das neue Terrain erstmal abwartend. Der erste Song ist eine Country-Ballade mit ganz viel Text. Heinz erzählt die Geschichte von Robert Limpert, den die Borniertheit eines toten Systems ums Leben brachte. Eine beklemmende Geschichte, weil wahr.

    Auch der „Lügner“, eine Hommage an den Texaner Townes van Zandt, den Heinz erst spät lieben gelernt hat, kommt noch weitgehend ohne neue Zutaten aus, präsentiert sich aber als wunderbar gesungene, weitgehend von einem irre gefühlvollen Bass getragene, langsame Lebensbeichte, die aufgrund sparsamer Instrumentierung vor allem in der Tiefe Raum greift. Man schmeckt den staubigen Blues förmlich. Wir hören hier bereits eine dezent wehklagende Leadgitarre, die auf dem letzten Album eine Violine gewesen wäre.

    Es folgt „Komme nicht aus Alabama“, ein eher unspektakulärer Blues, der Stammhörer noch stark an das Schlagwerk von Wolli Stute erinnern wird.

    Bis hierhin sind wir durchaus noch in gewohntem Fahrwasser. Nun kommt aber der erste Hammer: „Rosmarin“ besticht mit einem fantastischen Gitarrenarrangement, gesetzt auf ein Zusammenspiel Pichl/Schmomerus, dass wir so bei Räuberzivil sicher noch nicht hatten. Wir bekommen hier einen ganz gewaltigen Eindruck dazu, welche Bereicherung die Leadgitarre von Ralph König für Räuberzivil darzustellen vermag, weil eine andere Form von Spannungsaufbau stattfindet. „Rosmarin“ entfaltet eine Eigendynamik, bäumt sich auf, fesselt den Hörer.

    „So wie du bist“ ist ein wunderschönes, sehr zurückgenommenes, geradezu nacktes Liebeslied, durchaus ein bisschen an „Elixier“ erinnernd und auf das Wesentliche konzentriert.

    Mit der nächsten Nummer hat Heinz sich sehr lange Zeit gelassen. Ein Tribut an den Südstaatenoberbefehlshaber General Lee, das ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Eine zauberhafte Country-Nummer mit viel Witz und Charme. Unheimlich gut gemacht und mit einem grandiosen Stempel von Martin Huch verewigt. Nie zuvor hat mich eine Countrynummer so gepackt, was auch daran liegt, dass Country eigentlich nicht meine Baustelle ist.

    Dann wird es tiefschwarz und böse: „30 Prozent“ spielt auf der Basis von hämmerndem Klavier und klagender Sologitarre mit nur scheinbar abwegigen orwellschen Gedankenspielen vermeintlich elitärer Kreise. Ich meine übrigens in dem Song ein Bass-Thema aus „The Wall“ erkennen zu können und habe auch ein paar Zeichentricksequenzen aus dem Film im Kopf, die mit den marschierenden Hämmern nämlich.

    „Am Meer stehn“ bildet das völlige Kontrastprogramm. Ein freundliches Klavier, hoher und wohlwollender Gesang und das nicht nur philosophische Bild eines einsamen Strandes. Wenn ich den federleichten Song zum Abschalten und Loslassen für die tägliche Imaginationsübung empfehle, geschieht das in vollem Ernst.

    „Drunter und Drüber“ verbreitet sofort wieder Hektik, beginnt mit einer atemlosen Harmonika, treibend, jagend, chaotisch. Der charakteristische Satz lautet „Die Nachspielzeit kommt schneller als man denkt“. Erinnert mich übrigens ein wenig an „Draufgänger“ und hätte auch eine prima Rocknummer abgegeben.

    „Greif schon zu“ beginnt mit einer markanten Flöte und transportiert eine mittelalterlich anmutende Lyrik, die aber zwischen ihren phrasenhaften Passagen immer wieder aus der Rolle fallende Sätze bereithält. Zwischen den Strophen meldet sich immer wieder die Flöte und setzt zum Wettstreit mit einem Gong an.

    Die erste Seite schließt mit einer großartigen Klavierballade, die in der Endphase von dezenten Tubular Bells unterstützt wird. Der eigentliche Clou aber sind die findigen Percussions. Hilko Schomerus arbeitet hier nämlich unter anderem mit im Wasser schwimmenden Kürbishälften. Der Song heißt „Ein Nichtsnutz sein“ und atmet lyrisch und musikalisch ganz weit.

    Bild
    Eigentlich hätten wir jetzt ein klasse Album gehört und würden nun wieder von vorn beginnen.
    Und wäre es ein Bandalbum mit der Verstärkung, hätte sich das Label auch ohne Frage verbeten, dass an dieser Stelle gerade mal Halbzeit ist. Aber Räuberzivil ist nicht nur der künstlerischen Unabhängigkeit wegen entstanden, sondern auch, um dem hohen Output des Songwriters HRK gerechter werden zu können und das schließt auch Doppelalben ein, die auf anderer Bühne unmöglich wären.

    Die zweite Disc startet gleich mal wieder groovy drauflos: „Ponderosa“ schielt zumindest textlich augenzwinkernd ein bisschen auf Dylans Klassiker „Maggies Farm“, übersetzt diesen aber ins aktuelle Jahrtausend. Die Percussions weichen dem Schlagzeug und verbünden sich dem Bass mal anders, außerdem gibt es ein geiles Gitarrensolo.

    „Papa hat Geld“ ist eine eher schlichte Countrynummer, die sich mit den Auswirkungen der Arm/Reich-Schere auf unser Bildungssystem und seinen zunehmenden Ungleichheiten beschäftigt. Etwas überrascht hat mich, dass der Song sich plötzlich ausblendet. Da er aber nicht gerade zu meinen Lieblingen zählt, kann ich damit gut leben.

    Nun bekommen wir einen echten Tango präsentiert: „Es ist schwierig“ ist tatsächlich keine leichte Kost und lässt mich vorsichtig fragen, ob die zweite Disc möglicherweise das Niveau nicht ganz halten kann. Das wird sich zwar als gewaltiger Irrtum herausstellen, aber wenn diese 23 Songs lange Strecke einen kleineren Hänger haben sollte, dann würde ich ihn in diesen Minuten verorten, die hier aber auch durch sind.

    „Brot aus Gold“ hätte schön in die Zeit der Friedensbewegung gepasst, ist aber natürlich auch heute topaktuell. Großartige Lyrics, tolle Melodie, eine wunderbares Flötenthema und eine perfekte Ohrwurmproduktion.

    Dann wird wieder Blues gegeben: „Der Tod“ ist eine bizzare kleine Geschichte, deren Ausgang ähnlich überraschend kommt, wie das erneute Ausblenden des Songs. Eigentlich schade, aber es lässt sich nicht leugnen, dass gerade diese Ausblendung der kafkaesken Geschichte die Würze verleiht. Die stampfende Rhythmusabteilung steuert einfach wie in einen Tunnel und ist plötzlich weg.

    „Schurkendarsteller“ ist mal ein vollständig neuer Kunze. Der Song geht in die Richtung Barjazz und swingt wie die Sau. Sogar eine affencoole Trillerpfeife, die man dezent durch ein Effektgerät geschickt haben dürfte, veredelt den Song, der nebenbei einen Mord schildert, bei dem das Opfer in bizzare Dankbarkeit verfällt. Grundsätzlich macht es wenig Sinn, solch ein atmosphärisches Statement von einem Song mit Worten beschreiben zu wollen. Für mich ist es auf jeden Fall ein Song zum Verlieben.

    „Willkommen liebe Mörder“ ist die brisanteste und politischste Nummer, deren Deutung ich vorsichtshalber weitergeben möchte, weil ich befürchte, dass sich auch Menschen jenseits der erforderlichen Differenzierung des Songs bemächtigen könnten. Wer Heinz ein bisschen in die Pfanne hauen möchte, wird sich neben „Dreißig Prozent“ noch dieses Stück dafür auswählen.

    Es folgt wieder eine schnellere Ballade mit ellenlangem Text, dessen Thematik sich nicht so recht bestimmen lässt. Wenn es in „Mein Anwalt und ich“ einen roten Faden gibt, dann ist das eben dieser bedauernswerte Anwalt.

    Die zweite große Klavierballade weckt Erinnerungen an frühe Großtaten wie „Lisa“ oder „Menschen gehen auf“. Ralph König arbeitet hier tatsächlich ab der zweiten Strophe mit ähnlichen Gitarreneffekten wie Mick Franke seinerzeit und spielt ein wunderschönes Solo.

    Es folgt gleich noch eine Nummer, die durch die Decke geht: „Ich möchte Scheitern“ ist schwer funky und wunderbar arrangiert. In diesen sicher auch am vielseitigsten instrumentierten Song war ich auf Anhieb verknallt, zumal sich hier auch ein wunderbarer Orgelsound einfindet.

    Zwischen meinem Favoriten und dem Finale gibt es nochmal einfacher strukturierten Country mit Namen „Das Problem ist“. Auf die eigentlich fröhliche Grundstimmung singt Heinz aber eine ziemliche Abrechnung.

    Die Schlussnummer „Tu nur was du nicht lassen kannst“ ist eine traumhafte Klavierballade, in der es um das Aufbrechen von verkrusteten Strukturen und die mentale und tatsächliche Bewegungslosigkeit geht. Der Song ist umso eindringlicher und bewegender, weil hier auf jegliche Zutaten verzichtet wurde. Keine Keyboardspur, kein Bass, kein Rhythmus, nur das Klavier und ein außergewöhnlicher Gesangsvortrag, danach Stille.

    Eines wird ganz klar. Das kleine Nebenprojekt, das mal vor 10 Jahren als „Bockwurst und Schadenfreude“ als eine Art Kabarettprogramm mit Musik im Duo-Format begonnen hatte, ist zum Schwergewicht angewachsen. Den Vorgänger konnte man vielleicht, vor allem wegen dem Anteil an Sprechtexten, gerade noch mal als Kleinkunst durchgehen lassen, zumal das dazugehörige Liveprogramm noch ohne großen Aufwand durchs Land ziehen konnte. „Tiefenschärfe“ ist keine Kleinkunst mehr. Die Arrangements sind zu ausgeklügelt, Produktion und Abmischung das Resultat experimentierfreudiger Herausstellung des Facettenreichtums. Peter Pichl, der mit Heinz u.a. auch schon die Vorproduktion des letzten Band-Albums gemacht hatte, kann diesem inzwischen traumwandlerisch sicher von den Augen ablesen und umsetzen, wie der Song sich gestalten mag.

    Übrigens erscheint erstmals ein HRK-Album bei SPV. Und die hatten den Wunsch, zur klaren Abrennung gegenüber der Marke HRK bei Sony, auf den namen Kunze zu verzichten. Räuberzivil ist ab sofort konsequent und ausschließlich Räuberzivil. Für den Vertrieb nicht ohne Risiko.

    Vinyl gibt es leider nicht.

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    #9503347  | PERMALINK

    wolfgang

    Registriert seit: 19.07.2007

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    @ Close

    Sehr schöne Gedanken zum neuen Doppelalbum. Bin gespannt, es zu hören.

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    #9503349  | PERMALINK

    j-w
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    maximum rhythm & blues

    Registriert seit: 09.07.2002

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    Ich habe es erst einmal durchgehört, von daher ist mein Eindruck noch nicht sehr verdichtet. Auf jeden Fall ein gutes Album, auch gerade angesichts der Menge des Materials. So mag ich Kunze, während ich bspw. sein letztes Soloalbum vom EPK her schon so unsympathisch fand, dass ich es mir nie angehört habe. Habe sie jetzt gerade gleich noch mal angemacht. „Ich möchte scheitern“ war mir beim ersten Durchhören auch als ein Höhepunkt aufgefallen. Und „Robert Limpert“ ist als Opener auch überzeugend. Und „General Lee“ hat mich auch spontan angesprochen.

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    #9503351  | PERMALINK

    j-w
    Moderator
    maximum rhythm & blues

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 40,370

    „Nichts als offene Fragen“ ist auch Kunze in einer Qualität, wie man ihn aus der ersten Hälfte der 80s kennt. Unbegreiflich, warum er sich nicht auf so einen Output konzentrieren kann und zwischendurch so schlimme Scheiße rausbringen muss….

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    Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue
    #9503353  | PERMALINK

    captain-kidd

    Registriert seit: 06.11.2002

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    Warum veröffentlich ein Künstler eigentlich unter verschiedenen Namen? Es ist doch immer dieselbe Person. Finde so etwas irgendwie strange. Er könnte doch auch als HRK so ein Album raushauen. Verstehe ich nicht.

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    #9503355  | PERMALINK

    close-to-the-edge

    Registriert seit: 27.11.2006

    Beiträge: 27,984

    captain kiddWarum veröffentlich ein Künstler eigentlich unter verschiedenen Namen? Es ist doch immer dieselbe Person. Finde so etwas irgendwie strange. Er könnte doch auch als HRK so ein Album raushauen. Verstehe ich nicht.

    Grundsätzlich ist HRK bei Sony unter Vertrag. Die möchten aber nur das Bandprojekt. Andere Sachen können nur mit Einverständnis aus München an andere Labels vergeben werden, vor allem, weil man natürlich die Zeitrahmen abstimmen muss.

    Jahrelang liefen die Nebenprojekte über ein ganz kleines Label, dass zum DVD-Vertrieb Rakete in Münster zählt (die vertreiben z.B. den gesamten Hallervorden-Fundus). Der dortige Chef ist selbst Kunze-Fan, und hat nicht nur die Nebenprojekte veröffentlicht, sondern auch den Backkatalog und einige DVDs.

    Da HRK seit nicht ganz zwei Jahren ein neues Management hat, haben die für Räuberzivil ein bißchen sondiert und offenbar ein sehr gutes Angebot von SPV aufgetan. Diese wollten aber eine strikte Trennung zum Betätigungsfeld der Sony. Deshalb wurde aus HRK und Räuberzivil nun Räuberzivil.
    Ob das für den Vertrieb klug ist, darf man vorsichtig bezweifeln. Zumal es sich ja tatsächlich nicht um eine neue Band, sondern nach wie vor um ein Kunze-Soloprojekt handelt. Die andere Formation, also die „richtige“ Band, nimmt wesentlich mehr Einfluss auf die Produktionen.

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    #9503357  | PERMALINK

    captain-kidd

    Registriert seit: 06.11.2002

    Beiträge: 4,140

    In der Form verständlich. Danke für die Ausführungen.

    --

    Do you believe in Rock n Roll?
    #9503359  | PERMALINK

    close-to-the-edge

    Registriert seit: 27.11.2006

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    #9503361  | PERMALINK

    j-w
    Moderator
    maximum rhythm & blues

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 40,370

    Auf Räuberzivil bleibt Verlass. Habe die Platte jetzt intensiv gehört und kann nur sagen: So mag ich ihn wirklich gern (mit leichten Abstrichen). Hier mehr dazu.

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    Staring at a grey sky, try to paint it blue - Teenage Blue
    #9503363  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Räuberzivil – Tiefenschärfe (2CD, SPV)

    Hinter dem Namen Räuberzivil verbirgt sich der Sänger, Musiker, Schriftsteller Heinz Rudolf Kunze. Wir wissen von ihm, dass er als Jugendlicher schwer beindruckt von englischer Beat Musik und Musikern wie Pete Townshend und Ray Davies war. In den Achtzigern war Kunze mit deutscher Pop und Rock Musik erfolgreich, die manchmal nah am Schlager, mitunter eher von Liedermachern inspiriert, oft auch etwas zu verkopft daherkam. Manche seiner Songs fand ich damals sogar gar nicht so schlecht. Was mich aber immer etwas verwundert hat, seine musikalischen Vorbilder aus dem angloamerikanischen Raum haben so gar keine Spuren hinterlassen in seinem eigenen Werk. Und die deutsche Version von Ray Davies‘ Lola ist einfach nur peinlich. In den letzten 25 Jahren hab ich kaum verfolgt, was Kunze so gemacht hat. Ok, sein Engagement für eine Deutschquote im Radio war nicht zu überhören. Angeblich wurde er da ja missverstanden. Lassen wir das also.
    Dass diese aktuelle Platte unter dem Namen Räuberzivil erscheint, hat, wenn ich das richtig verstehe, irgendwas mit Verträgen und Rechten zu tun. Ist aber auch egal.
    23 Songs auf zwei CDs und rund 90 Minuten, das ist ganz schön heftig. Man sollte das Doppelalbum vielleicht in Portionen einteilen. Vinyl gibt es übrigens nicht, dafür aber jeden Track auch einzeln als Download. Ich denke Kunze Fans kommen hier voll auf ihre Kosten und werden diese Sammlung lieben. Musikalisch ist das hier tatsächlich recht vielseitig und abwechslungsreich. Manches steht sehr deutlich in einer deutschen Liedermacher Tradition, die bis zu Degenhardt oder Süverkrüp zurück reicht. Allerdings sind da dann tatsächlich auch Einflüsse von Americana, also nordamerikanischer Folklore zu hören. Anderes ist eher chansonhaft, vieles aber so typischer Deutschrock mit Anspruch, den Kunze eigentlich immer gerne gemacht hat. Na ja, die Texte sind natürlich auch anspruchsvoll. Das ist manchmal ehrlich gelungen und treffend wie im Opener „Robert Limpert“, der mit der brauen Vergangenheit abrechnet, die leider noch immer nicht überall aufgearbeitet ist. Manchmal ist es auch bemüht witzig und dann schon weniger gelungen. Das sind dann wieder solch typische Kunze Gedichte von hinten durch die Brust ins Auge wie in „Brot aus Gold“. Dabei ist Kunze durchaus in der Lage, schöne lyrische Texte zu schreiben, wie z.B. „Am Meer stehn“. Ob die dann unbedingt vertont und gesungen werden müssen, sei mal dahingestellt.
    Dass Kunze im Waschzettel der Plattenfirma in eine Reihe gestellt wird mit Songwriter-Legenden wie Bob Dylan, Leonard Cohen und Nick Cave ist allerdings nicht nur anmaßend sondern auch hochgradig lächerlich. Manche der Songs hier in dieser etwas ausufernden Sammlung sind einfach unnötig, wie das halt so ist, wenn man sich nicht dazu durchringen kann, die mittelmäßigen und unausgegorenen Sachen wegzulassen. Wie heißt es so schön? – Weniger ist mehr. Richtig geschmacklos ist allerdings „Willkommen liebe Mörder“, worin Kunze wohl zum Ausdruck bringen will, dass wir hier mit terroristischen Mördern zu freundlich umgehen. Das mag vielleicht sogar so sein. Dennoch ist sein gewollt lustiger Umgang mit dem Thema einfach nur daneben. Dabei zeigt er in „Nichts als offene Fragen“, dass er auch anders kann. Und in „Das Problem ist“ bringt er alles schön auf den Punkt. Der Titel passte wunderbar in ein spätabendliches Kabarett Programm wie „Neues aus der Anstalt“.
    Alles in allem ist das eine Doppel-CD, die Kunze Fans erfreuen wird. Aber wer sonst wird sich dafür interessieren? Auch wenn das Ganze insgesamt nicht so schrecklich ist wie befürchtet, ich brauche das nicht. **

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    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
    #9503365  | PERMALINK

    close-to-the-edge

    Registriert seit: 27.11.2006

    Beiträge: 27,984

    Dass es kein Vinyl gibt, hat mir ein SPV-Mitarbeiter damit erklärt, dass man das schlichtweg verpennt hat. Der Vertrag mit SPV wurde ja erst im Spätherbst geschlossen, und als man feststellte, dass vom Triple-Vinyl-Set des Vorgängers nur noch Restexemplare verfügbar sind, war es wegen der drei- bis viermonatigen Wartezeit beim Presswerk schlicht zu spät.

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    #9503367  | PERMALINK

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    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 2,922

    Close to the edge
    Ob das für den Vertrieb klug ist, darf man vorsichtig bezweifeln. Zumal es sich ja tatsächlich nicht um eine neue Band, sondern nach wie vor um ein Kunze-Soloprojekt handelt. Die andere Formation, also die „richtige“ Band, nimmt wesentlich mehr Einfluss auf die Produktionen.

    Glaubst du nicht, dass jeder halbwegs Interessierte weiß, dass da HRK hintersteckt?

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    Ich brachte meine Vergangenheit im Handgepäck mit. Ihre lagerte irgendwo im Container-Terminal. Als sie ging, benötigte ich einen Seemannssack.
    #9503369  | PERMALINK

    wuerzel

    Registriert seit: 09.10.2013

    Beiträge: 45

    j.w.Die große Gefahr, die ein Doppelalbum birgt – die nicht-konsequente Qualitätskontrolle – ist hier nur in Ansätzen spürbar.

    Das ist im Prinzip richtig. Aber gerade bei Heinz bzw. RÄUBERZIVIL bin ich froh, dass so viele Lieder veröffentlicht werden, denn wenn man 10 Leute fragen würde, wie sie die 2 CDs auf eine runterkürzen würden, bekäme man mit Sicherheit 10 verschiedene Songlisten. Und vermutlich keine einzige würde hundertprozentig mit meiner übereinstimmen.

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    "Dieses Album ist so klar und deutlich von mir, daß es diejenigen, die meine Arbeit lieben, in ihrer Liebe bestärken wird und diejenigen, die mich hassen, so daß sie mich gar nicht wahrnehmen (sonst müssten sie mich ja vielleicht gut finden), werden in ihrer Abneigung gegen mich bestärkt." HRK (2013)
    #9503371  | PERMALINK

    close-to-the-edge

    Registriert seit: 27.11.2006

    Beiträge: 27,984

    FilterGlaubst du nicht, dass jeder halbwegs Interessierte weiß, dass da HRK hintersteckt?

    Wer auf RZ stößt, wird wissen wer dahinter steckt. Die Frage ist nur, ob auch alle potentiell Interessierten die VÖ mitbekommen. Viel Promo ist nicht, im Radio wird kaum was laufen, eine nennenswerte Chartnotierung wird es nicht geben, und es gibt zwar bisher ein gutes Dutzend Auftritte, aber nicht als wahrnehmbare Tour, sondern in unregelmäßigen Abständen.

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    #9503373  | PERMALINK

    wenzel

    Registriert seit: 25.01.2008

    Beiträge: 5,555

    das Album hat bisher nicht mal die Top 100 geschafft. Was bedeutet das heutzutage, weniger als 200 Verkäufe pro Woche ?

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