Wie hört ihr Jazz?

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  • #90359  | PERMALINK

    dropped-bomb

    Registriert seit: 21.04.2014

    Beiträge: 50

    Wie hört Ihr Jazz? Ich meine das ganz konkret, worauf achtet Ihr? Ich bin an einem Punkt, an dem ich das Gefühl habe, dass Theorie und Praxis auseinandergehen. Ich habe einige Jazzbücher gelesen, in der letzten Zeit. Ich weiß auch, dass ich ein gehörtes Stück heutzutage viel besser einordnen kann, als vor einigen Jahren und die Zahl der Musiker, bei denen ich eine Vorstellung habe, wie sie klingen, wächst jeden Tag.
    Aber mir scheint, dass ich mehr aus den Büchern weiß, als ich beim Musikhören tatsächlich höre. Ich gehe glaube ich immer noch recht naiv an so ein Musikstück heran. Ich habe kein Instrumentarium. Und das ist etwas, was in Büchern auch kaum vermittelt wird (außer im genialen „Jazz“ von Giddins und DeVaux). So was kann man wahrscheinlich nur von anderen lernen.
    Daher meine Frage: auf was genau konzentriert Ihr Euch, wenn Ihr Jazz hört? Gerne auch anhand von Beispielen. Wie beurteilt Ihr, ob eine Rhythmusgruppe gut ist? Wie unterscheidet Ihr den Ansatz verschiedener Saxofonisten? Woran hört Ihr, ob es Art Blakey oder Philly Joe Jones ist? Achtet Ihr auf Songstrukturen (AABA …)? Habt Ihr irgendein Schema, nachdem Ihr ein Solo beurteilt? Woran genau hört man den Unterschied zwischen Bebop und Hardbop? Wie klingen denn Half-Valve-Techniken auf der Trompete (vielleicht hat jemand ein Stück und kann sagen: bei 2:33, dass sind Half-Valves)?
    Solche Fragen, ganz konkret und zu allen möglichen Aspekten könnte man hier sammeln, wenn Ihr mögt. Man könnte vielleicht auch Trademarks verschiedener Musikern sammeln, anhand deren Ihr sie erkennt. Da wahrscheinlich jeder eine andere Herangehensweise hat und jeder andere Sachen bemerkt, könnten vielleicht auch die Profis noch von so was profitieren.

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      #9163203  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
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      Registriert seit: 25.01.2010

      Beiträge: 66,851

      Viel zu viele Fragen aufs Mal … generell höre ich auf das Ganze, ist es stimmig, packt es mich – ganz unintellektuell, sofern das halt überhaupt geht (geht natürlich nie ganz, man kann sein „Weltwissen“ oder wie man das halt nennen will, ja nicht einfach ausknipsen, wenn man das mal möchte).

      dropped bombWie beurteilt Ihr, ob eine Rhythmusgruppe gut ist?

      Gefühlr? Ob’s passt halt … und durchaus auch, was so alles abgeht (oder eben nicht, manchmal ist weniger ja bekanntlich mehr).

      dropped bombWie unterscheidet Ihr den Ansatz verschiedener Saxofonisten?

      Sound, Phrasierung, Art und Weise, in der ein Solo konstruiert wird, „pet licks“ (achte z.B. darauf mal bei Cannonball Adderley, der hat einen – ziemlich grossen – Sack voller Licks, die immer wieder zum Einsatz kommen, gemischt mit anderem, neuen, spontanem … aber gewisse Phrasen, kleine „hooks“ manchmal nur, sind immer wieder da.

      dropped bombWoran hört Ihr, ob es Art Blakey oder Philly Joe Jones ist?

      Blakey ist der, bei dem Latin Beat gut klingen, obwohl er sie nicht sauber hinkriegt … Philly Joe ist der beste ;-)

      dropped bombAchtet Ihr auf Songstrukturen (AABA …)?

      Manchmal, aber eher da, wo sie von der Norm abweichen (ein Beispiel wäre gerade der Opener von Dolphys „Outward Bound“, der eine sehr ungewöhnliche AABA-Form hat – wenn Du meine Stone-FM-Sendung von neulich nachhören willst, auch mit dem Dolphy-Stück – schick mir eine private Nachricht).

      dropped bombHabt Ihr irgendein Schema, nachdem Ihr ein Solo beurteilt?
      Nicht wirklich … macht es Sinn, hat es einen Faden (der kann natürlich auch über Brüche entstehen, Ironie – wir sind ja längst post-postmodern).

      dropped bomb

      Woran genau hört man den Unterschied zwischen Bebop und Hardbop?

      Genau? Irgendwas mit dem Beat …. hör „Dig“ oder wie die Platte von Miles heisst, mit Rollins und McLean … es gibt ein paar, die ziemlich viel über Jazz wissen und meinen, dort tauche zum ersten Mal dieser relaxtere, anders phrasierte Beat auf, der den Kern vom Hard Bop ausmacht. Dazu kommen dann die eingängigeren Themen, oft auf Blues-Schemata basierend (da gibt es ja viel mehr als das klassische 12-taktige … hör Dir „Watermelon Man“ von Herbie Hancock an für ein 16-taktiges – auch in meiner Sendung übrigens ;-)).

      dropped bombWie klingen denn Half-Valve-Techniken auf der Trompete (vielleicht hat jemand ein Stück und kann sagen: bei 2:33, dass sind Half-Valves)?

      Kann ich aus dem Stand grad nicht liefern, aber Lee Morgan hören könnte helfen, das zu erkennen!

      dropped bombSolche Fragen, ganz konkret und zu allen möglichen Aspekten könnte man hier sammeln, wenn Ihr mögt. Man könnte vielleicht auch Trademarks verschiedener Musikern sammeln, anhand deren Ihr sie erkennt. Da wahrscheinlich jeder eine andere Herangehensweise hat und jeder andere Sachen bemerkt, könnten vielleicht auch die Profis noch von so was profitieren.

      Musiker, bei denen ich fast sicher bin, sie innerhalb von ein paar Tönen zu erkennen, sind z.B. Johnny Griffin (das liegt am Sound wie auch an den Highspeed-Phrasen, den irgendwie gequälten Linien), Eddie Harris (ebenfalls Sound, Phrasierung und Linien), Coltrane natürlich (da könnte man mich aber gewiss auch mit etwas atypischem reinlegen), Miles auch fast immer (der Ton, die Phrasen, die Pausen) … den späten Art Pepper … Lee Konitz vielleicht auch (wobei der sicher diverse Sachen gemacht hat, mit denen man mich reinlegen könnte) … andere, die ich oft sofort erkennen dürfte sind Grant Green (wieder: der Sound), Hank Mobley (auch da: der Sound), Horace Silver in der klassischen Zeit (ca. 1954 bis 1968 – bei ihm ist es die Kombination aus Kompositionen, „comping“, dem rollenden Beat) … Blakey (die „press rolls“ oder wie die Dinger heissen, das Feeling) … Roy Haynes (der „snap crackle“, Beat+Sound, einzigartig und einmalig, wie er sein Drumkit stimmt – zu hören auch mit Dolphy auf dem erwähnten Stück) … das nur so spontan, off the top of my head … morgen fielen mir wohl ein paar andere ein. Und dass kaum Pianisten vorkommen ist nicht weiter erstaunlich … Monk, klar, Herbie Nichols (aber das ist keine Kunst, wenn man alles kennt von seinem leider kleinen Werk), Andrew Hill vielleicht (aber darauf würde ich nicht viel Wetten, die klassischen Sachen aus den Sechzigern, ja, aber darüber hinaus?) … Orgel dürfte auch manchmal klar sein, Larry Young, Jimmy Smith, John Patton.

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      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #9163205  | PERMALINK

      dropped-bomb

      Registriert seit: 21.04.2014

      Beiträge: 50

      Danke! Da habe ich ja schon mal einiges anzuhören. Die Fragen waren ja auch erst Mal als Beispiele gemeint, was ich so meine.
      Versuchst Du immer, das Ganze zu hören oder konzentrierst Du Dich auch manchmal gezielt nur auf ein Instrument? PN kommt.

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      #9163207  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
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      Registriert seit: 25.01.2010

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      Natürlich – alles … aber eine Regel, wie ich generell höre, gibt es nicht (bzw. das wäre schon der Fokus auf die „Stimmigkeit“ des Ganzen). Kann natürlich sehr spannend sein, z.B. mal ganz auf die Rhythmusgruppe oder auch nur den Drummer oder Bassisten zu achten.

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      #9163209  | PERMALINK

      bullschuetz

      Registriert seit: 16.12.2008

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      dropped bombWie hört Ihr Jazz? … Auf was genau konzentriert Ihr Euch, wenn Ihr Jazz hört?

      Massenhaft schöne und lohnende Fragen, über jede einzelne ließe sich ein Aufsatz schreiben, leider fehlt mir momentan die Zeit (ich werde den Thread im Auge behalten und mich demnächst mal einzubringen versuchen). Vorerst bloß mal hierzu:

      dropped bombWie klingen denn Half-Valve-Techniken auf der Trompete?

      Ein trompetender Kumpel nannte diese Technik immer „Schmieren“ („ach echt, das heißt Half Valve?“). Idealerweise lässt Du es Dir von einem Trompeter mal vorführen – falls Du grade keinen zur Hand hast, kannst Du Dir mit diesem Video behelfen:

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      #9163211  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Registriert seit: 25.01.2010

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      @dropped bomb: spielst Du eigentlich ein Instrument?

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      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #9163213  | PERMALINK

      dropped-bomb

      Registriert seit: 21.04.2014

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      Habe mal Bass und als Kind Klarinette gespielt, bin aber nicht wirklich tief in die Theorie eingedrungen.

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      #9163215  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Registriert seit: 25.01.2010

      Beiträge: 66,851

      Ich habe nur gefragt, weil es vielleicht manchmal interessant sein könnte, ein Lead-Sheet zu sehen …. und weil es hilft zu wissen, wie man mit Dir über Taktzahlen oder sowas reden kann (meine kleine Erklärung zu Dolphys „G.W.“ z.B. solltest Du also nachvollziehen können, die Form nachverfolgen können … wenn einer von Notenlesen und so gar keine Ahnung hat, kann es nämlich verdammt schwierig bis unmöglich sein, so etwas zu erklären).

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      #9163217  | PERMALINK

      dropped-bomb

      Registriert seit: 21.04.2014

      Beiträge: 50

      In Rhythmussachen war ich auf jeden Fall immer besser, als in Harmonik (als Basser will man ja unbedingt diese vertrackten Slaprhythmen spielen). Also ich verstehe auf jeden Fall die Grundbegriffe, aber ich würde aus einem Notenblatt auf Anhieb wahrscheinlich nicht mehr unbedingt schlau.

      @bullschuetz: Danke für das Video, das hat schon wieder erhellend gewirkt. Wenn ich das nächste mal Lee Morgan höre habe ich bestimmt Aha-Effekte. Solche Beispiele meine ich, Danke!

      Wenn ich selbst was beitragen soll: Ich finde immer ganz typisch für P. Sanders, dass er auf Störgeräuschen Melodien spielt. Andere fügen eher mal ein Knarzen oder Kreischen in ihre Linien ein oder machen vielleicht einfach eher Geräusche als Töne. Sanders hingegen hat es drauf, Tonfolgen auf dieser Geräuschklaviatur zu spielen.

      Angeregt zu diesem Thread hat mich übrigens unter anderem dieser Satz von Vorgarten: „manchmal ist das alles richtig schade – wenn evans ein rhythmisches angebot nach dem nächsten macht, und wirklich NICHTS davon wird angenommen.“ Da dachte ich: mit meiner Art zuzuhören wäre mir sowas nicht aufgefallen, ich brauche mehr Anregungen, auf was man alles achten kann.

      --

      #9163219  | PERMALINK

      soulpope
      "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

      Registriert seit: 02.12.2013

      Beiträge: 56,361

      dropped bomb…………..Da dachte ich: mit meiner Art zuzuhören wäre mir sowas nicht aufgefallen, ich brauche mehr Anregungen, auf was man alles achten kann.

      Es geht eigentlich auch nicht darum, was andere hören (bzw ihnen auffällt), sondern was DU hörst (bzw was DIR auffällt)……Du hast ja hier bereits einige veritable Erfahrungen begeisterter Jazzfans gelesen, aber m.A. nach Du solltest einfach Themen bzw Musikern, welche Dir gefallen bzw Dir interessant erscheinen, intensiv nachspüren…….so eine Suche ist klarerweise nie geradlinig, auch von Sackgassen bzw Enttäuschungen geprägt, aber Du solltest Deinem Geschmack grundsätzlich vertrauen – das mach Dich sicher nicht „beratungsresistent „, sondern lässt Dich aufgenommene Spuren oder Hinweise besser einordnen….!!

      --

        "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
      #9163221  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
      Biomasse

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      Beiträge: 66,851

      dropped bombIn Rhythmussachen war ich auf jeden Fall immer besser, als in Harmonik (als Basser will man ja unbedingt diese vertrackten Slaprhythmen spielen). Also ich verstehe auf jeden Fall die Grundbegriffe, aber ich würde aus einem Notenblatt auf Anhieb wahrscheinlich nicht mehr unbedingt schlau.

      Nun, aber Du kannst mal eine Form durch Mitzählen der Takte verfolgen oder sowas, das hilft ja durchaus, wenn Du z.B. bei einem aussergewöhnlich strukturierenten Stück wie Dolphys „G.W.“ den Überblick behalten willst.

      Was soulpope sagt: klar doch! Aber ich kann natürlich den Drang, etwas „zu hören“, was andere hören, durchaus nachvollziehen! Manchmal kann man diese Dinge dann unmittelbar selbst „erhören“, andere Male gibt es vielleicht gar nie oder erst Jahre später den Moment, in dem der Groschen fällt … aber die Neugierde finde ich natürlich toll – ich glaube das wäre, wenn ich mich selbst beschreiben müsste, eine der drei, vier wichtigsten Eigenschaften, vielleicht sogar die allerwichtisgste, daher: :bier:

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      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #9163223  | PERMALINK

      redbeansandrice

      Registriert seit: 14.08.2009

      Beiträge: 13,416

      dropped bombAngeregt zu diesem Thread hat mich übrigens unter anderem dieser Satz von Vorgarten: „manchmal ist das alles richtig schade – wenn evans ein rhythmisches angebot nach dem nächsten macht, und wirklich NICHTS davon wird angenommen.“ Da dachte ich: mit meiner Art zuzuhören wäre mir sowas nicht aufgefallen, ich brauche mehr Anregungen, auf was man alles achten kann.

      grad bei vorgarten bin ich auch immer ganz begeistert, wieviel sachen offenbar in der musik sind, die ich in hundert jahren nicht hören würde (der themenkreis „interaktion in der rhythmusgruppe“); das ist ja eine der schlüsselideen des modernen jazz: jeder in der band macht was interessantes, damit auch für jeden hörer was dabei ist… ;-)

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      .
      #9163225  | PERMALINK

      vorgarten

      Registriert seit: 07.10.2007

      Beiträge: 11,895

      dropped bomb
      Wenn ich selbst was beitragen soll: Ich finde immer ganz typisch für P. Sanders, dass er auf Störgeräuschen Melodien spielt. Andere fügen eher mal ein Knarzen oder Kreischen in ihre Linien ein oder machen vielleicht einfach eher Geräusche als Töne. Sanders hingegen hat es drauf, Tonfolgen auf dieser Geräuschklaviatur zu spielen.

      wenn wir hier das gleiche meinen: das kann wohl am perfektesten david murray (überblasene sachen tatsächlich als melodielinien zu spielen). oder du meinst die eigenartigen töne, die sanders nur durch betätigen der klappen am instrument (und dem mikrophon) erzeugt, ohne überhaupt hineinzublasen (das macht wirklich nur er…).

      dropped bombAngeregt zu diesem Thread hat mich übrigens unter anderem dieser Satz von Vorgarten: „manchmal ist das alles richtig schade – wenn evans ein rhythmisches angebot nach dem nächsten macht, und wirklich NICHTS davon wird angenommen.“ Da dachte ich: mit meiner Art zuzuhören wäre mir sowas nicht aufgefallen, ich brauche mehr Anregungen, auf was man alles achten kann.

      ganz konkret meinte ich das in dem stück „what is this thing called love“ in den aufnahmen des evans-trios ohne publikum, quasi das letzte set. das ist wahrscheinlich nur auf der kompletten verve-box drauf (cd 7, stück 1). da hört man deutlich, wie evans verschiedene rhythmische variationen versucht, auf die weder israels noch bunker einsteigen. überhaupt ein unterschied zu jarrett z.b. – dass die evans-trios keine „geschichten erzählen“, sondern – ich weiß nicht – gedichte aufsagen?

      ich kann aber eigentlich wenig zu diesem thread beitragen bzw. möchte es nicht – wenn ich noch anfange, mein eigenes hören zu reflektieren, komme ich zu gar nichts mehr. ;-)
      was ich aber nachvollziehen kann: dass man durch jazzliteratur und kanonisierte aussagen dazu gedrängt wird, etwas zu hören – man hört das aber nicht bzw. was anderes. das finde ich gut und heilsam. da gibt es tatsächlich eine dünne linie, die auch hier manchmal für verstimmung sorgt, zwischen schwer zu hinterfragenden aussagen (bill evans spielt besser als mein opa) zu riskanten persönlichen überzeugungen (dass ich mit SKETCHES OF SPAIN oder OUT TO LUNCH nichts anfangen kann, obwohl ich ein riesen miles- und dolphy-fan bin; und dass ich tatsächlich alice coltrane, alan shorter und rashied ali für wirklich grandiose musiker halte).

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      #9163227  | PERMALINK

      vorgarten

      Registriert seit: 07.10.2007

      Beiträge: 11,895

      dropped bomb
      Wenn ich selbst was beitragen soll: Ich finde immer ganz typisch für P. Sanders, dass er auf Störgeräuschen Melodien spielt. Andere fügen eher mal ein Knarzen oder Kreischen in ihre Linien ein oder machen vielleicht einfach eher Geräusche als Töne. Sanders hingegen hat es drauf, Tonfolgen auf dieser Geräuschklaviatur zu spielen.

      wenn wir hier das gleiche meinen: das kann wohl am perfektesten david murray (überblasene sachen tatsächlich als melodielinien zu spielen). oder du meinst die eigenartigen töne, die sanders nur durch betätigen der klappen am instrument (und dem mikrophon) erzeugt, ohne überhaupt hineinzublasen (das macht wirklich nur er…).

      dropped bombAngeregt zu diesem Thread hat mich übrigens unter anderem dieser Satz von Vorgarten: „manchmal ist das alles richtig schade – wenn evans ein rhythmisches angebot nach dem nächsten macht, und wirklich NICHTS davon wird angenommen.“ Da dachte ich: mit meiner Art zuzuhören wäre mir sowas nicht aufgefallen, ich brauche mehr Anregungen, auf was man alles achten kann.

      ganz konkret meinte ich das in dem stück „what is this thing called love“ in den aufnahmen des evans-trios ohne publikum, quasi das letzte set. das ist wahrscheinlich nur auf der kompletten verve-box drauf (cd 7, stück 1). da höre ich deutlich, wie evans verschiedene rhythmische variationen versucht, auf die weder israels noch bunker einsteigen. überhaupt ein unterschied zu jarrett z.b. – dass die evans-trios keine „geschichten erzählen“, sondern – ich weiß nicht – gedichte aufsagen?

      ich kann aber eigentlich wenig zu diesem thread beitragen bzw. möchte es nicht – wenn ich noch anfange, mein eigenes hören zu reflektieren, komme ich zu gar nichts mehr. ;-)
      was ich aber nachvollziehen kann: dass man durch jazzliteratur und kanonisierte aussagen dazu gedrängt wird, etwas zu hören – man hört das aber nicht bzw. was anderes. das finde ich gut und heilsam. da gibt es tatsächlich eine dünne linie, die auch hier manchmal für verstimmung sorgt, zwischen schwer zu hinterfragenden aussagen (bill evans spielt besser als mein opa) zu riskanten persönlichen überzeugungen (dass ich mit SKETCHES OF SPAIN oder OUT TO LUNCH nichts anfangen kann, obwohl ich ein riesen miles- und dolphy-fan bin; und dass ich tatsächlich alice coltrane, alan shorter und rashied ali für wirklich grandiose musiker halte).

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      #9163229  | PERMALINK

      dropped-bomb

      Registriert seit: 21.04.2014

      Beiträge: 50

      vorgartenwenn wir hier das gleiche meinen: das kann wohl am perfektesten david murray (überblasene sachen tatsächlich als melodielinien zu spielen). oder du meinst die eigenartigen töne, die sanders nur durch betätigen der klappen am instrument (und dem mikrophon) erzeugt, ohne überhaupt hineinzublasen (das macht wirklich nur er…).

      Stimmt, jetzt wo Du es sagst, David Murray macht das auch. Aber bei ihm ist es eher so, dass ein sauber gespielter Part plötzlich auf Störgeräuschisch weitergespielt wird, während Sanders Störgeräusche spielt, die plötzlich Melodien ergeben. Eines meiner Lieblingsstücke überhaupt ist die Version von Olé von Sanders auf der Platte „Heart is a melody“. Da spielt er z.B. das Thema auf diese Weise.

      Ansonsten will ich nicht den Eindruck erwecken, ich wolle Musik rein akademisch hören. Es ist ja eher umgekehrt, dass ich Musik äußerst subjektiv höre, ich achte in allererster Linie auf die Stimmung, die sie in mir auslöst. Aber ich merke eben auch, dass ich gerade bei Jazz einfach von einer suchterzeugenden Neugier gepackt werde, dass ich die Musik besser verstehen will, einordnen will und dass ich Details finden will, von denen ich noch nichts weiß. Und es ist ja auch jetzt schon so, dass ich beim Hören eines Jazzstückes viel mehr wahrnehme als früher und das erhöht das Hörvergnügen. Man weiß vieles mehr zu schätzen, wenn man es einordnen kann. Z.B. fiel es mir früher total schwer, Posaune und Trompete auseinanderzuhalten. Jetzt kann ich das und weil ich ein bißchen mehr darüber weiß, wie die gespielt werden, kann ich neben der Melodie auch noch bewundern, wenn der Posaunist so agil spielt, wie ein Trompeter (kriegen die eigentlich keinen Muskelkater in der Schulter, wenn die da immer an dem Ding ziehen müssen?).

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