Jazz zwischen Kunst und Kommerz

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  • #9118251  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    Beiträge: 56,361

    gypsy tail wind Zudem sind das dann auch die Musiker – die grosse Mehrheit im Jazz – die mit CDs sowieso keinen Pfennig verdienen, im Gegenteil, wenn der Verkauf (der Editionen, die sich wohl so im Rahmen von 500 bis 5000 bewegen) noch langsamer vonstatten geht als erhofft, legen sie oftmals noch drauf (als Gage kriegen sie einige Kisten der CD, die Studio-Kosten tragen sie selbst, Produzent und Label geben den Namen und das Image her – die CD ist eine Visitenkarte, um an Gigs zu kommen, mit denen sich dann etwas Geld verdienen lässt).

    That`s how it goes….everybody knows…….(courtesy L. Cohen)

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
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    #9118253  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,994

    Vorschläge für einen „netteren“ Thread-Titel sind willkommen! Oder aber einfach der Klarheit zu Liebe: Es ist auch mir bewusst, Purist oder nicht, dass die kommerziellen Aspekte der Kunst nicht zu unterschätzen sind – denn wie heisst es so schön, wovon lebt der Mensch – erst kommt das Fressen … Es geht daher nie um prinzipielle sondern um graduelle Unterschiede.

    Dennoch halte ich den Themenkomplex für höchst spannend. Und keinesfalls für rein spekulativ, denn, um beim geschätzten Urs Leimgruber zu bleiben, einem der eindrücklichsten und komplettesten Musiker, die ich je live erleben durfte: Wenn man seine abstrakten, frei improvisierten Sachen anhört, ist doch von vornherein klar, dass es ihm niemals darum ging, ein breites Publikum zu erreichen. Solchen Musikern geht es darum, dasjenige Publikum zu erreichen, das ihre Musik hören will. Man will nicht das einnickende Kulturpublikum sondern aufmerksam lauschende, wirklich interessierte Leute anlocken. Das stelle ich mir bei der seit wohl zehn Jahren konstanten Übersättigung des Tonträgermarktes und manchenorts auch des Konzertangebotes schwierig genug vor.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9118255  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,994

    Was ich zudem noch interessant finde, um an die Diskussion von vor ein paar Wochen anzuknüpfen: Clark Terry, Joe Wilder, Snooky Young … es gibt Musiker, die anscheindend unbeschadet ALLES machen können und immer irgendwie gut rauskommen. Seldon Powell fällt mir da noch ein.

    Oliver Nelson wäre wohl ein gutes Beispiel für diese Diskussion. Ein enorm talentierter Musiker mit einem guten Ohr für ungewöhnliche Arrangements, der allerdings zunehmend auch mal auf Auto-Pilot schaltete und manchmal auch gehörig daneben griff – das Album mit Monk ist das beste Beispiel hierfür, und man fragt sich wirklich, wie das so herauskommen konnte … zuwenig Zeit (zuwenig Geld)? Andererseit ist das Album mit James Brown unerwarteterweise verdammt toll! Ich komme auch auf Nelson, weil hier seit einiger Zeit eine interessante Diskussion zu ihm läuft:
    http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/72638-revisiting-oliver-nelson-help-appreciated/

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #9118257  | PERMALINK

    gruenschnabel

    Registriert seit: 19.01.2013

    Beiträge: 6,126

    gypsy tail wind
    Dennoch halte ich den Themenkomplex für höchst spannend. Und keinesfalls für rein spekulativ, denn, um beim geschätzten Urs Leimgruber zu bleiben, einem der eindrücklichsten und komplettesten Musiker, die ich je live erleben durfte: Wenn man seine abstrakten, frei improvisierten Sachen anhört, ist doch von vornherein klar, dass es ihm niemals darum ging, ein breites Publikum zu erreichen.

    Ja, ein solch konkretes Beispiel hat dann mit Spekulation weniger zu tun. Spekulativ dagegen bleibt für mich die allgemeinere Beantwortung der Frage, welchen Anteil der „Szene“ diejenigen Musiker ausmachen, die wirklich primär kommerzorientiert arbeiten.

    --

    #9118259  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,361

    gypsy tail wind
    Oliver Nelson wäre wohl ein gutes Beispiel für diese Diskussion. Ein enorm talentierter Musiker mit einem guten Ohr für ungewöhnliche Arrangements, der allerdings zunehmend auch mal auf Auto-Pilot schaltete und manchmal auch gehörig daneben griff – das Album mit Monk ist das beste Beispiel hierfür, und man fragt sich wirklich, wie das so herauskommen konnte … zuwenig Zeit (zuwenig Geld)?
    Ich komme auch auf Nelson, weil hier seit einiger Zeit eine interessante Diskussion zu ihm läuft:
    http://www.organissimo.org/forum/index.php?/topic/72638-revisiting-oliver-nelson-help-appreciated/

    Ich erlaube mir hier das Zitat eines der Statements von „JSngry“ aus besagtem Organissimo Thread :

    Ultimately, it sounds as if Macero was looking for the „Oliver Nelson sound“ as a potential commercial boost to Monk’s sales (this at a time when columbia was getting all antsy about crossing Monk over) .

    Also sounds like budget was a concern (a third day of recording was canceled for that exact reason), so I have no doubt that Macero & Nelson, both business-savvy musicians well aware of what would and would not be expeditious to place in front of a big band to get a full album of music of a certain executional quality (you go all Hall Overton under these circumstances, and you need more than a few days and great sight-readers to make it sound right, never mind making it actually BE right…), looked at this at least as much from a business standpoint as a purely musical one

    And that’s what it sounds like, worlds colliding but never making contact, everybody getting paid and moving on.

    Viel prägnanter kann das „Ereignisz“ Nelson/Monk nicht beschrieben werden…….und trifft gleichzeitig die in unserem Thread diskutierten Punkte zentral…..

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9118261  | PERMALINK

    thelonica

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    Beiträge: 3,975

    gypsy tail windWas ich zudem noch interessant finde, um an die Diskussion von vor ein paar Wochen anzuknüpfen: Clark Terry, Joe Wilder, Snooky Young … es gibt Musiker, die anscheindend unbeschadet ALLES machen können und immer irgendwie gut rauskommen. Seldon Powell fällt mir da noch ein.

    Da stimme ich dir zu, wobei ich anmerken muss, dass Terry ab einem gewissen Punkt vielleicht sogar zum Workaholic wurde. Über Rückenschmerzen klagt er z.B. schon seit Jahrzenten, aber er hat einfach immer weitergemacht.

    In der Autobiographie kommt das ein wenig so rüber. Er hat viel Gutes geleistet, war/ist immer für seine Schüler da…

    --

    #9118263  | PERMALINK

    alexischicke

    Registriert seit: 09.06.2010

    Beiträge: 1,776

    Eine hochinteressante Debatte! In meinem Freundeskreis kommen mir immer wieder auf diese Thematik zu sprechen.

    Jeder Bäcker ist angewiesen, dass die Leute seine Semmeln kaufen. Eine Autoverkäufer verdient sein Geld mit Autos und eine Berufsmusiker mit Aufnahmen bzw. Auftritten. Für einen Künstler ist sehr wohl relevant wie viele Leute in Konzerte kommen oder seine Aufnahmen kaufen. Man kann schon nicht kommerzielle Musik spielen, aber ob man damit ein gutes Leben kann nur einem Nischenpublikum zu gefallen, ist für mich fraglich.

    Herbie Hancock hat das z.B erkannt, dies merkt auch seinen Aufnahmen aus den 70ern an. Er hat gezielt seine Musik mit den Headhunters etwas abgeweicht um eben große Stadien zu füllen mit einem großem Publikum. Für ihn und auch Miles Davis ist natürlich leichter gefallen, weil sie bei einem großem Label unter Vertrag waren.

    Das mit Monk ist auch ein gutes Beispiel Gypsy, bedarf aber einer genaueren Erläuterung.

    --

    #9118265  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 44,695

    Es ist völlig klar, dass jemand, der sich entschließt Jazz zu machen, nicht mit dem großen kommerziellen Erfolg rechnen kann. Es gibt aber gerade unter Musikfans eine Tendenz, kommerzielle Aspekte komplett auszublenden oder rein negativ zu behandeln. Das musikalische Schaffen wir vollständig auf kreative Impulse reduziert und die wirtschaftlichen Erwägungen ausgeblendet. Das ist mir zu einseitig, zumal sich viele Musiker sehr viele Gedanken machen, wie sie von ihrer Musik leben können, vor allem natürlich in der Popmusik. Dass man kommerzielle Erwägungen hat, zeigen ja gerade Künstler wie Miles Davis oder R.E.M., die stets nach dem Massenerfolg strebten, denen aber genauso wichtig war, ihre Integrität nicht zu verlieren. Das schließt sich nicht aus. Aber häufig wird nur der kreative Aspekt des Musikmachens beachtet.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #9118267  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    nail75Es ist völlig klar, dass jemand, der sich entschließt Jazz zu machen, nicht mit dem großen kommerziellen Erfolg rechnen kann. Es gibt aber gerade unter Musikfans eine Tendenz, kommerzielle Aspekte komplett auszublenden oder rein negativ zu behandeln. Das musikalische Schaffen wir vollständig auf kreative Impulse reduziert und die wirtschaftlichen Erwägungen ausgeblendet. Das ist mir zu einseitig, zumal sich viele Musiker sehr viele Gedanken machen, wie sie von ihrer Musik leben können, vor allem natürlich in der Popmusik. Dass man kommerzielle Erwägungen hat, zeigen ja gerade Künstler wie Miles Davis oder R.E.M., die stets nach dem Massenerfolg strebten, denen aber genauso wichtig war, ihre Integrität nicht zu verlieren. Das schließt sich nicht aus. Aber häufig wird nur der kreative Aspekt des Musikmachens beachtet.

    Könnte das daran liegen, dass diesen „fundamentalistischen“ Musikfans die Musiker letztlich ebenso egal sind wie ihre ökonomischen Interessen, weil ihre persönlichen Schicksale eher als narrative Dekoration zur Diskografie dienen, und weil immer genug „idealistische“ Musiker bereitstehen, die ggf. unter dem ökonomischen Druck zerbrechende bzw. aus dem Markt fallende Interpreten ersetzen?

    --

    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #9118269  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,464

    mir gefällt der Narrativ, in dem Musiker ihr Geld in einem bürgerlichen Beruf verdienen, und bei der Musik entsprechend weniger oder keine Kompromisse machen, auch ganz gut – das funktioniert in Amerika vielleicht eher als hier, 1) weil es dort kaum Alternativen gibt (und entsprechend weniger Dünkel gegenüber „Amateuren“ unter Musikern) und 2) weil Jobs tendentiell nicht soo rigide Ausbildungswege fordern… Ich bilde mir ein, dass solche Künstler auch von meinem Leben mehr verstehen…

    klar gibt es Musiker, für die das mit dem Streben nach maximalem Publikumserfolg künstlerisch funktioniert – das sind dann aber tendentiell solche, die auch wirklich vielen Leuten was zu sagen haben – bei anderen wird sowas eher peinlich. Anders gesagt, ich glaube, dass es große Kunst gibt, die sich einer breiten Öffentlichkeit verkaufen lässt, und nicht weniger große, für die das nicht gilt. „Groß“ ist dabei ein Chiffre dafür, wieviel ich damit anfangen kann, und das mit der breiten Öffentlichkeit kein Vorwurf, manche Sachen interessieren halt mehr Leute als andere – das hat damit wie interessant sie sind, nichts zu tun.

    --

    .
    #9118271  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,361

    redbeansandrice „Groß“ ist dabei ein Chiffre dafür, wieviel ich damit anfangen kann, und das mit der breiten Öffentlichkeit kein Vorwurf, manche Sachen interessieren halt mehr Leute als andere – das hat damit wie interessant sie sind, nichts zu tun.

    “If something is boring after two minutes, try it for four. If still boring, then eight. Then sixteen. Then thirty-two. Eventually one discovers that it is not boring at all.”

    ― John Cage

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9118273  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 44,695

    @Hal Croves: Hmmmm, glaube ich nicht. Ich denke die Situation ist komplexer. Die Popmusik, wie wir sie heute kennen, ist ja immer noch stark von den 60s und einer gewissen gegenkulturellen Identität geprägt. Das macht sich bis heute in der Wahrnehmung bemerkbar. Oder hat irgendjemand bei Picasso „Ausverkauf!“ geschrien?

    Dazu kommt noch, dass eigentlich niemand weiß, wie man kommerziellen Erfolg mit Musik erzielt, das heißt, es bleibt nichts anderes übrig, als herumzuexperimentieren. Es gibt solche, die das besser schaffen als andere, aber letztlich tappen alle im Dunkeln. Gleichzeitig bedient Popmusik aber einen Massenmarkt, ist also von kommerziellem Erfolg abhängig. Das ist ein Paradox, für das es letztlich keine Lösung gibt.

    Ich will Musikfans auch gar nicht dafür kritisieren, dass sie die kommerziellen Aspekte ausblenden, nur müssen Musiker eben auch von etwas leben – und das war zu allen Zeiten sehr schwierig. Wenn dann auch noch jemand, der offensichtlich mit musikalischen Dienstleistungen sein Geld verdient und es daher besser wissen müsste, so einen abstrusen Quatsch erzählt, dann kann man sehen wie verbreitet diese Sichtweise ist.

    Ich glaube aber grundsätzlich nicht, dass mehr Musiker am ökonomischen Druck „zerbrechen“ als Leute, die in anderen Branchen tätig sind. Ein Teil findet seine Nische mit einer Kombination verschiedener freier Tätigkeiten, der andere Teil ergreift verwandte Berufe im Musikgeschäft, ohne von der Musik zu leben. Andere machen etwas ganz anderes und betreiben Musik als Hobby. Was allerdings heutzutage extrem schwer geworden ist, ist von der eigenen Musik zu leben, vor allem, wenn man als Band unterwegs ist. Mit Auftritten Geld zu verdienen, ist unheimlich schwer, mit Tonträgern sowieso.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #9118275  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

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    redbeansandricemir gefällt der Narrativ, in dem Musiker ihr Geld in einem bürgerlichen Beruf verdienen, und bei der Musik entsprechend weniger oder keine Kompromisse machen, auch ganz gut – das funktioniert in Amerika vielleicht eher als hier, 1) weil es dort kaum Alternativen gibt

    Vor allem gibt es dort keine Sozialversicherung für Künstler.

    Ich bilde mir ein, dass solche Künstler auch von meinem Leben mehr verstehen…

    Wirklich?

    klar gibt es Musiker, für die das mit dem Streben nach maximalem Publikumserfolg künstlerisch funktioniert – das sind dann aber tendentiell solche, die auch wirklich vielen Leuten was zu sagen haben – bei anderen wird sowas eher peinlich. Anders gesagt, ich glaube, dass es große Kunst gibt, die sich einer breiten Öffentlichkeit verkaufen lässt, und nicht weniger große, für die das nicht gilt.

    Klar.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #9118277  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    redbeansandricemir gefällt der Narrativ, in dem Musiker ihr Geld in einem bürgerlichen Beruf verdienen, und bei der Musik entsprechend weniger oder keine Kompromisse machen, auch ganz gut – das funktioniert in Amerika vielleicht eher als hier, 1) weil es dort kaum Alternativen gibt (und entsprechend weniger Dünkel gegenüber „Amateuren“ unter Musikern) und 2) weil Jobs tendentiell nicht soo rigide Ausbildungswege fordern… Ich bilde mir ein, dass solche Künstler auch von meinem Leben mehr verstehen…

    Sofern das harmonisch funktioniert – in dem Sinne, dass der „bürgerliche Beruf“ als ebenso erfüllend empfunden wird wie das Musikmachen -, ist das natürlich ein verwirklichter Idealzustand. Mir fällt jetzt erst mal kein individuelles Beispiel ein, will damit aber nicht behaupten, dass es keines gebe; Du hast da bestimmt jemanden vor Augen.
    Allerdings kommt mir dieses „Modell“ tatsächlich wie ein sehr idealistisches Ideal vor, und zwar aus mehr als einem Grund. Zunächst ist da die Liebe zur Musik, die in einer, wie Du schreibst, großen Kunst zum Ausdruck kommt; wenn ein Musiker, der das, was er ausdrücken will, auch wirklich ausdrücken kann, einem „bürgerlichen Beruf“ nachgehen muss, der doch in aller Regel durch Entfremdung von den individuellen Bedürfnissen geprägt ist, dann muss nach meinem Dafürhalten doch wie von selbst der Wunsch entstehen, von der Musik leben zu können. Und dann nimmt der Beruf das Individuum doch sehr in Beschlag. Um heutzutage eine Stelle zu behalten, genügt es ja immer seltener, seine Arbeit anständig zu erledigen; vielmehr wird ein ständiges Streben nach Selbstoptimierung im Interesse der Firma verlangt. Die zunehmende Prekarisierung unter den Vorzeichen einer globalen Wirtschaftskrise tut ihr übriges. Unter diesen Bedingungen erscheint mir ein harmonisches Zusammengehen von kompromissloser L’art-pour-l’art-Musik und Lohnarbeit als äußerst schwierig – und äußerst unwahrscheinlich.

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    #9118279  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,994

    nail75Ich will Musikfans auch gar nicht dafür kritisieren, dass sie die kommerziellen Aspekte ausblenden, nur müssen Musiker eben auch von etwas leben – und das war zu allen Zeiten sehr schwierig. Wenn dann auch noch jemand, der offensichtlich mit musikalischen Dienstleistungen sein Geld verdient und es daher besser wissen müsste, so einen abstrusen Quatsch erzählt, dann kann man sehen wie verbreitet diese Sichtweise ist.

    Was der „abstruse Quatsch“ nun mit dem Ausblenden der kommerziellen Aspekte zu tun hat, begreife ich nicht, denn der „abstruse Quatsch“ ist letztlich doch nur eine persönliche Vorliebe („Urs Leimgruber ist ein tausendmal interessanterer/besserer Saxophonist/Musiker als Jan Garbarek“ – würde ich wohl unterzeichnen, wobei man den Faktor noch ermitteln müsste ;-)).

    Es ging auch mir – ich betone das gerne für alle Fälle noch mal – nie darum, die kommerziellen Aspekte auszublenden. Ich denke gerade Musiker aus so randständigen Bereichen wie der freien Improvisation (da ist ja „Jazz“ schon grosser Mainstream im Vergleich) wissen, wie hart es ist, allein von der Musik zu leben. Dennoch wollen sie eben keine grauhaarigen Connoisseurs im Publikum, die nach zehn Minuten im Schlummer versinken, den sie in der Nacht nicht mehr finden, sondern Leute, die mit aufrichtigem Interesse kommen und zuhören. Also: Qualitat statt Quantität, was das Publikum betrifft. Das zumal aus der Sicht der Künstler. Natürlich heisst das, dass man dann vielleicht weniger Geld kriegt, aber je nachdem, wo man auftritt und was man dem Publikum vorsetzt, kommen eh nur die Leute, die man auch haben will. Ich finde eine solche Haltung bewundernswert, wenigstens solange man sie sich leisten kann … aber den Urlaub in Brasilien und den Shopping Trip in New York wird man so nicht kriegen. Das sind halt Fragen der Einstellung, die doch letztlich damit, ob man Kunst macht oder sich in einer Firma verdingt (den „bürgerlichen Beruf“ als erfüllend empfinden? sehr komisch!), wenig zu tun haben.

    Abgesehen davon begreife ich bei Jazzkonzerten bis heute nicht, warum welche Konzerte überrant werden und andere praktisch leer bleiben. Beim Convergence Quartet kommen in Zürich überraschend viele (mehrere Dutzend) Leute, wenn Barry Altschul zum ersten Mal seit 15 Jahren oder so spielt, kommen 13 (inkl. die Veranstalter und Irène Schweizer). Klar, es mag an Terminkollisionen liegen, aber eben: planen lässt es sich nie endgültig – aber spekulieren kann man … wenn man das Sun Ra Arkestra holt, wird die Halle voll und sie wird kochen, zu sicher 95% und wenn man Keith Jarrett holt und dann im zweiten Song das Handy zückt, ohne den Blitz auszuschalten … und es gibt natürlich sichere Werte, grosse Namen, diejenigen halt, die immer auf den Covern von Down Beat und JazzTime etc. sind, Dave Holland, Sonny Rollins, Brad Mehldau, was weiss ich … aber interessanter ist die Frage ja im Hinblick auch die „kleineren“ Konzerte.

    --

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