Die Zauberflöte ein "Machwerk“?

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  • #8907579  | PERMALINK

    reino

    Registriert seit: 20.06.2008

    Beiträge: 5,699

    gypsy tail wind

    Reino

    Dazu gehört aber eine ausgeprägte Hybris, denn er behauptet ja damit, seine eigene ästhetische Bildung sei besser als die von Beethoven. Und er tut das ja nicht mal mit dem Wissensvorsprung der Nachgeborenen, mit dem hier einige wohl zu protzen beabsichtigen.

    ?

    Geschrieben, ohne das alles hier gelesen zu haben. Aber u.a. ist das hier damit gemeint:

    otis
    Was den 4. Satz der Neunten anbelangt, so höre ich nach den eher düsteren drei Eingangssätzen eine Banalisierung der bis dahin spürbaren Problematik, aufgelöst in eine Melodie, die so primitiv ist, so inständig wiederholt bzw. vorbereitet, aufbereitet und dem Hörer in die Ohren gedrückt wird, dass er sich unwillkürlich fragen muss, woher plötzlich dieser Umschwung, warum diese Einfachheit? Dass LvB das handwerklich mit allen Tricks komponiert hat, stelle ich dabei gar nicht in Frage. Aber ist da nicht Mahlers 2. die wesentlich stimmigere Erlösungssinfonie, auch wenn man mit Religion nichts am Hut hat?

    Das ist so, als würde man dem Erfinder des Rades vorwerfen, daß es keine Gummibereifung hat.

    Ob klassische Musikstücke einen berühren oder nicht, kann ja wohl kein Qualitätskriterium sein. Wenn sie berühren sollten, dann die Zeitgenossen der Komponisten, und die haben das, was uns berührt, nie gehört. Dazu kommt, daß mit Musik verbundene Emotionen meist einen außermusikalischen Kontext haben. Bei „Wind of Change“ z. B. die Öffnung der Mauer, bei „The Wall“ Erinnerungen an die eigene Schulzeit oder ganz persönlich bei “Wir setzen uns mit Tränen nieder“ die Beerdigung meiner Mutter. Das sind dann Trigger, die aus völlig unterschiedlichen Gründen starke Emotionen verursachen, auch innermusikalisch, wenn bestimmte Tonfolgen unbewußt an andere aufgeladene Stücke erinnern.

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      #8907581  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      ReinoDazu gehört aber eine ausgeprägte Hybris, denn er behauptet ja damit, seine eigene ästhetische Bildung sei besser als die von Beethoven. Und er tut das ja nicht mal mit dem Wissensvorsprung der Nachgeborenen, mit dem hier einige wohl zu protzen beabsichtigen.
      […]

      Hybris, weil man es wagt, Beethoven zu kritisieren?

      Reino[…]

      Ob klassische Musikstücke einen berühren oder nicht, kann ja wohl kein Qualitätskriterium sein. […]

      Was denn sonst? Und was ist das überhaupt für eine Argumentation? Alles was vor meiner Zeit an Kunst entstanden ist, ist historisch, hat keinen ästhetischen Anspruch mehr? Da würde sich wohl auch Beethoven gegen verwehren.

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      #8907583  | PERMALINK

      otis
      Moderator

      Registriert seit: 08.07.2002

      Beiträge: 22,557

      DE64625
      Und in das obige Zitat bringt mich gleich noch zur nächsten Frage; „Wer sollte denn die Werke klassicher Komponisten kompetent kritisieren“. Ich kenne allein berufsbedingt zahlreiche Menschen, die sich mit Musik (auch klassischer) beschäftigen und darunter ist ein sehr großer Anteil, der [Ironie]“etwas davon versteht“, aber gerade im Bereich der Klassik möchte ich mal behaupten, dass ca 80-90% der Konzertbesucher reine Konsumenten sind, denen man (fast) alles vorsetzen kann, ohne dass Sie etwas daran auszusetzen hätten.

      Eine Anekdote, die mir im Laufe der Unterhaltung über diese Diksussion hier(!) ein befreundeter (wirklicher) Klassikkenner erzählte, betraf eine Aufführung von Brahms‘ erster Symphonie, der er mit einer größeren Gruppe, darunter auch ein Musikwissenschaftler, beiwohnte. Nach dem Konzert fanden zunächst alle, dass es eine richtig gute Aufführung war, worauf der Musikwissenschaftler nur meinte; „Richtig gut wäre es gewesen, wenn die Exposition im ersten Satz wiederholt geworden wäre“ worauf erst einmal Stille einkehrte. Dabei ist absolut nebesächlich, dass diese Wiederholung häufig ausgelassen wird, entscheidend ist, dass sich im gesamten Publikum sicher nur der kleinste Teil der Zuhörer überhaupt bewusst war, dass es da eine Exposition gibt, die wiederholt werden kann.

      Perfekt auf einen Punkt gebracht, den ich mit meinem, möglicherweise leicht provozierenden Eingangspost ansprechen wollte. Wenn es daran scheitern sollte, streiche ich gern den Begriff Kanon und ersetze ihn durch die obige Beobachtung

      gerade im Bereich der Klassik möchte ich mal behaupten, dass ca 80-90% der Konzertbesucher reine Konsumenten sind, denen man (fast) alles vorsetzen kann, ohne dass Sie etwas daran auszusetzen hätten.

      Der zweite Punkt scheint heikler, wenn es denn schon Hybris ist, wenn man es wagt, LvB zu bekritteln. Ja, Hybris in den Augen der Anbeter. Igitt, wie kann er nur, dieses Heiligtum beschmutzen! In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Ich erlebte eine solche Abfuhr auch einmal auf einem Rockkonzert durch einen Rockjournalisten, als ich es wagte, sein Idol in Frage zu stellen.

      Es ist sicher eine schwierige Diskussion hier, da reichlichst aneinander vorbeigeredet wird, deshalb noch einmal hier der zweite Punkt, um den es mir ging, und den ich gestern Abend so formuliert habe:

      es darf (muss) in meinen Augen beim Rezipienten benenn- und begründbare Kritierien geben, die sich einem Kunstwerk entgegenstemmen …

      Wenn ich diesen Satz negiere, kann ich hier nicht weiterdiskutieren. Keine Frage. Wenn ich dem aber zustimme, so sollten Diskurse doch möglich sein.
      Wenn ich in meiner Wortwahl da und dort platter war (Beethovens 9.), als man es im hohen Hause der Klassik gewohnt ist, so bitte ich das nachzusehen, keineswegs aber sollte dadurch der Eindruck entstehen, dass ich der Meinung bin, dass meine ästhetischen Urteile auch für andere gelten sollten. Nein, zur Diskussion stellen will ich sie. Und dass ich reichlich oft von mir rede, soll gerade der Hybris entgegenstehen, keineswegs nämlich maße ich mir an, hier für andere zu sprechen.

      Also bitte, was macht z.B. das Freude-Thema musikalisch wertvoll? Es ist melodietechnisch, rhythmisch und harmonisch auf Schlagerniveau, wie ich finde.
      Nun kann man sagen: genau das ist, macht es doch so kostbar, damit erreicht Beethoven alle Menschen, unabhängig von Bildung etc., das überfordert niemanden. Man könnte es diskutieren.
      Oder man kann sagen: Auf das Thema kommt es doch nicht an, sondern auf seine musikalische Verarbeitung; seine Einführung in den 4. Satz, die Doppelfuge später etc? Man könnte es diskutieren.
      Oder man kann sagen: andere Themen sind doch auch entsetzlich einfach, denke mal an Ah Vous Dirais Je, Maman deines verehrten Herrn Mozart. Man könnte es diskutieren.
      Gern auch können wir hier erst einmal über meine obige Kernthese reden, aber dann auf den Punkt.

      --

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      #8907585  | PERMALINK

      nail75

      Registriert seit: 16.10.2006

      Beiträge: 44,672

      otisDer zweite Punkt scheint heikler, wenn es denn schon Hybris ist, wenn man es wagt, LvB zu bekritteln. Ja, Hybris in den Augen der Anbeter. Igitt, wie kann er nur, dieses Heiligtum beschmutzen! In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Ich erlebte eine solche Abfuhr auch einmal auf einem Rockkonzert durch einen Rockjournalisten, als ich es wagte, sein Idol in Frage zu stellen.

      Hier gibt es aber einen grundsätzlichen Unterschied in dem von dir beschriebenen Szenario. Ein Konzert im Bereich der populären Musik bietet meistens einen Auftritt des als „Idol“ verehrten Künstlers. Man kann ihn also direkt kritisieren. Wenn man hingegen ein Klassik-Konzert besucht, dann erlebt man ja nicht Beethoven, Bach oder Mozart selbst, sondern eine Interpretation ihrer Musik von Musikern, die Jahrhunderte später leb(t)en. Mit anderen Worten, wenn man eine Aufführung nicht mag, dann liegt es nahe, den Aufführenden dafür verantwortlich zu machen und nicht die Komponisten.

      Ich habe kein Problem damit, Komponisten in Frage zu stellen, aber ich denke, man sollte schon maßvoll agieren. Im eigenen Interesse. Es gibt ja schließlich einen Grund, warum zentrale Werke von Bach, Beethoven und Mozart heute noch gespielt werden. Das Publikum will sie offensichtlich hören, Künstler möchten sie aufführen. Allein die Langlebigkeit spricht für eine gewisse Qualität. Das bezieht sich keineswegs auf das Gesamtwerk, das nur Spezialisten kennen, sondern auf gewisse zentrale Werke.

      Wenn man eine Diskussion über die Qualität der Werke von Beethoven beginnen will, dann reicht es aber nicht, ihm „ästhetische Defizite“ vorzuwerfen. Das ist nur Code für „gefällt mir nicht“ und das ist angesichts der nachhaltigen Popularität der Werke etwas dünn. Genausowenig nützt es Goethe oder Shakespeare für „überschätzt“ zu halten. Da muss man schon präziser argumentieren, ansonsten ist es eben eine Meinungsäußerung: Person XY gefällt Beethoven nicht – das interessiert aber leider niemanden.

      --

      Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
      #8907587  | PERMALINK

      Anonym
      Inaktiv

      Registriert seit: 01.01.1970

      Beiträge: 0

      otisMan könnte es diskutieren.
      Gern auch können wir hier erst einmal über meine obige Kernthese reden, aber dann auf den Punkt.

      Wäre mir auch lieb. Warum schreibst Du aber selbst nicht „auf den Punkt“? Deine Posts geben den Eindruck, man sei ein Idiot, wenn man keine sogenannten Kernthesen versteht. Zu schweigen vom „Man könnte diskutieren“. Ja, dann fang doch endlich einmal an. Mir ist es unsympathisch zu hören: „Sag doch endlich mal etwas, von dem ich so viel verstehe.“ Und das auch noch verdeckt. Fang an. Der Thread ist lang genug und es gibt ja auch noch andere Threads, in denen Du konkret werden könntest.

      Und dass Beethoven ein Ludewig war, wen regt’s auf?

      --

      #8907589  | PERMALINK

      reino

      Registriert seit: 20.06.2008

      Beiträge: 5,699

      lathoHybris, weil man es wagt, Beethoven zu kritisieren?

      Beethoven (und zumal nur dem späten Beethoven) ästhetischer Bildung abzusprechen, ist ähnlich anmaßend, als wenn man behauptet, Mozart sei unmusikalisch gewesen. Außerdem: Beethoven ist 186 Jahre tot, wie kommen wir dazu, ihn zu kritisieren? Wir können seine Musik kritisieren, aber das sind dann eben subjektive Geschmacksurteile, solange wir nicht annähernd auf dem musiktheoretischen Level von Beethoven sind.

      Was denn sonst? Und was ist das überhaupt für eine Argumentation?

      Wer Musik die Qualität abspricht, weil sie ihn nicht berührt, vergißt, daß es einen Sender und einem Empfänger gibt. In den meisten Fällen liegt es am Empfänger.

      Alles was vor meiner Zeit an Kunst entstanden ist, ist historisch, hat keinen ästhetischen Anspruch mehr? Da würde sich wohl auch Beethoven gegen verwehren.

      Und wer einen solchen Quatsch aus meiner Posting herausliest, sollte sich mal das Hirn durchpusten lassen. Vielleicht damit.

      otisDer zweite Punkt scheint heikler, wenn es denn schon Hybris ist, wenn man es wagt, LvB zu bekritteln. Ja, Hybris in den Augen der Anbeter.

      Da ich den Begriff eingeführt habe, würde ich es begrüßen, wenn er nicht als Totschlagargument in einem völlig anderen Kontext verwendet würde. Hybris ist, einem der größten Komponisten seiner Zeit, ästhetische Bildung abzusprechen, denn das impliziert, daß man selber welche (und mehr davon) besitzt. Andererseits könnte man ja gar nicht beurteilen, ob und was fehlt. Interessant ist übrigens, daß Louis Spohr (eben jener, der sich da über Beethoven erhob) heute ziemlich (um nicht zu sagen völlig) vergessen ist, obwohl eine eine zeitlang als der bedeutendste lebende deutsche Komponist galt. Insofern wäre er auch ein geeignetes Gegenmodell: Warum wird der banale Beethoven heute noch gespielt, Spohr aber nicht.

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      #8907591  | PERMALINK

      redbeansandrice

      Registriert seit: 14.08.2009

      Beiträge: 13,416

      Reino Außerdem: Beethoven ist 186 Jahre tot, wie kommen wir dazu, ihn zu kritisieren? Wir können seine Musik kritisieren, aber das sind dann eben subjektive Geschmacksurteile, solange wir nicht annähernd auf dem musiktheoretischen Level von Beethoven sind.

      ich hab von Beethoven jetzt noch nichts gehört, wo ich sagen würde, es wär mir peinlich, wenn es von mir wär. Nach 200 Jahren ist das zudem ein ziemlich lächerlicher Maßstab: Wenn es zu mir spricht, ist gut, sonst halt eben nicht – der intendierte Adressat werd ich schon nicht sein. Aus diesem Grund find ich es auch ziemlich albern, Beethoven zu kritisieren, so sehr ich höre, wie man die Ode an die Freude auch hören kann. Wenn es mir was sagt, mach ich drauf aufmerksam, sonst halt nicht. Dass das Klassikrepertoire auf ein Paar highlights eingefahren sei, klar, man weiss wo die Beobachtung herkommt: Beethoven liest man oft, aber er hat auch wesentlich mehr produziert hat als die 12 Stunden der Beatles… und das wenigste davon kann man live regelmäßig hören. Schliesslich: Warum auch immer die Märkte so funktionieren, junge Musiker müssen Beethoven CDs einspielen (an denen sie nichts verdienen) um Auftritte zu kriegen. Bis auf Beethoven ist das in keinem Genre anders. Es steht mir definitiv nicht zu, das zu kritisieren, ich würd lieber Beethoven einspielen, als Krankenschwester sein, jeder macht halt sein Zeug, weil…

      Was die Zauberflöte betrifft: Dass die nicht übermäßig kohärent ist, weiß fast jeder, ihre Stärken liegen in den ganz großen Momenten, und wer die nicht hört, hört halt was anderes, und wer sich schlecht fühlt, weil er es tut, hat Pech gehabt – nichts weniger aber ganz bestimmt auch nicht mehr.

      --

      .
      #8907593  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      ReinoBeethoven (und zumal nur dem späten Beethoven) ästhetischer Bildung abzusprechen, ist ähnlich anmaßend, als wenn man behauptet, Mozart sei unmusikalisch gewesen. Außerdem: Beethoven ist 186 Jahre tot, wie kommen wir dazu, ihn zu kritisieren? Wir können seine Musik kritisieren, aber das sind dann eben subjektive Geschmacksurteile, solange wir nicht annähernd auf dem musiktheoretischen Level von Beethoven sind.

      Und das kannst du irgendwie quantifizieren? Und weil Jim Morrison 42 Jahre tot ist, kann man ihn auch nicht mehr (oder weniger) kritisieren?

      Reino
      Wer Musik die Qualität abspricht, weil sie ihn nicht berührt, vergißt, daß es einen Sender und einem Empfänger gibt. In den meisten Fällen liegt es am Empfänger.

      Das ist ja wohl der einzige der zählt. Peter Maffay mag ja auch ein ganz lieber Sender sein, berühren tut er mich mit seiner Musik nicht.

      Reino
      Und wer einen solchen Quatsch aus meiner Posting herausliest, sollte sich mal das Hirn durchpusten lassen. Vielleicht damit.

      Liegt ja nahe, wenn du Quatsch schreibst oder wie soll man das sonst verstehen?

      --

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      #8907595  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
      Biomasse

      Registriert seit: 25.01.2010

      Beiträge: 66,851

      Beethoven kritisieren finde ich auch nicht gerade erhellend – aber Kritik am Kanon kann doch eine spannende Sache sein. Die Listenmanie, die dieses Forum beherscht, ist letztlich ja auch nichts anderes als ein nie endender Versuch, einen Kanon aufzustellen.

      Die Tatsache, dass die Plattenindustrie und der ganze Festivalzirkus auch heute noch auf Repertoire-CDs mit Dingen bestehen, die kein Mensch braucht, die schon vor Jahrzehnten besser gemacht wurden, und der Markt entsprechend mit den immergleichen Stücken überschwemmt wird – das alles hat ja auch mit dem recht engen Kanon zu tun.

      Allerdings ist auch da im Einzelfall zu beurteilen … ich erwähnte gerade im LvB-Thread, dass ich Midori Seilers Spiel in den Violinsonaten grossartig finde, Isabelle Fausts Aufnahmen der Sonaten und Partiten für Violine solo von Bach sind endlich unterwegs (sie sind mit ziemlich grosser Sicherheit grandios, ich habe im Laden ausgiebig Probegehört) … und ich halte auch Hilary Hahns Einspielung des Violinkonzertes von Mendelssohn für sehr gelungen und durchaus auf einem Niveau, dass es neben all den „Grossen“ bestehen kann – und dem Werk neue Facetten abgewinnt.

      Ich bin also durchaus dafür, den Kanon zu hinterfragen, überhaupt alles immer und überall nach Lust und Laune zu hinterfragen. Aber Beethoven fehlende musikalische Bildung zu attestieren oder irgend so einen Scheiss macht natürlich wenig Sinn.

      --

      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #8907597  | PERMALINK

      reino

      Registriert seit: 20.06.2008

      Beiträge: 5,699

      lathoUnd das kannst du irgendwie quantifizieren? Und weil Jim Morrison 42 Jahre tot ist, kann man ihn auch nicht mehr (oder weniger) kritisieren?

      Sein Lebenswandel war sicher nicht durchweg vorbildlich, aber wen interessiert das heute noch? Was bleibt, ist die Musik.

      Das ist ja wohl der einzige der zählt. Peter Maffay mag ja auch ein ganz lieber Sender sein, berühren tut er mich mit seiner Musik nicht.

      Und was soll uns das sagen? Viele andere berührt sie. Willst jetzt abzählen? Die Musik von Bach berührt auch nicht viele Leute unter 30. Soll das ihre Qualität infrage stellen?

      Liegt ja nahe, wenn du Quatsch schreibst oder wie soll man das sonst verstehen?

      Quatsch ist das, was du mir unterstellst. Hab ich mit keiner Silbe gesagt.
      Und Musik ausschließlich danach zu beurteilen, ob sie einen selber emotional berührt und dann von „ästhetischem Anspruch“ zu faseln, ist derartig ichbezogen, daß mir das sehr unangemehm aufstößt. Wenn ein Komponist es darauf angelegt hat, seine Zuhörer zu berühren, hat er dabei ganz sicher nicht dich im Auge gehabt. Und mich auch nicht, deshalb kann das für mich kein Qualitätskriterium sein. Es gibt ganz viel tolle Musik, die mir völlig am Arsch vorbeigeht (ehrlich, wer würde hier fachkundig über Zwölftonmusik urteilen wollen und welche Stücke besser oder schlechter sind?).

      --

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      #8907599  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
      Moderator
      Biomasse

      Registriert seit: 25.01.2010

      Beiträge: 66,851

      Bgigli… aber ich möchte doch auf den in der Juli-Ausgabe des Fono Forum begonnenen zweiteiligen Otello-Essay von Jürgen Kesting hinweisen, der hervorragend die musikästhetischen Parameter dieser von Shakespeare entliehenen Figur herausarbeitet, die ja letztenendes deren innere Widersprüche noch deutlicher zeigen als es Worte jemals können. …

      Nur rasch eine kleine Erinnerung … den zweiten Teil gibt es in der aktuellen August-Nummer des Fono Forums.

      --

      "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #150: Neuheiten 2023/24 – 12.3., 22:00; #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
      #10712433  | PERMALINK

      bullschuetz

      Registriert seit: 16.12.2008

      Beiträge: 2,089

      Lange her, diese Diskussion, ich lese gerade all das nach und bin fasziniert. Ich will nicht alles kommentieren, nur so viel:

      Wenn eine melodische Phrase aus 15 Tönen sich dabei durch die Bank in Sekund-Intervallen fortbewegt und dazu fast durch die Bank rhythmisch in Vierteln, bevor sie sich in einer zweiten 15-Töne-Sequenz nahezu identisch wiederholt und dann, nach einer etwas anderen dritten Sequenz, erneut haargenau wiederholt…

      dann kann ich durchaus verstehen, wenn jemand diese vierteilige Gesamtsequenz als banal empfindet – zumal das ganze Ding dann vielfach repetiert, variiert und durchdekliniert wird mit beachtlichem Spektakelaufwand in Form von Instrumentierung und Massenchorkomparserie, bis sich schon der Eindruck eines etwas ulkigen Missverhaeltnisses zwischen der Schlichtheit des rhythmisch-melodischen Materials und der Aufgedonnertheit des Inszenierungsapparates einstellen kann.

      Oder kürzer: Die Einwände von @otis gegen „Freude schöner Goetterfunken“ finde ich nachvollziehbar.

      --

      #10712453  | PERMALINK

      gruenschnabel

      Registriert seit: 19.01.2013

      Beiträge: 6,126

      bullschuetzLange her, diese Diskussion, ich lese gerade all das nach und bin fasziniert. Ich will nicht alles kommentieren, nur so viel:
      Wenn eine melodische Phrase aus 15 Tönen sich dabei durch die Bank in Sekund-Intervallen fortbewegt und dazu fast durch die Bank rhythmisch in Vierteln, bevor sie sich in einer zweiten 15-Töne-Sequenz nahezu identisch wiederholt und dann, nach einer etwas anderen dritten Sequenz, erneut haargenau wiederholt…
      dann kann ich durchaus verstehen, wenn jemand diese vierteilige Gesamtsequenz als banal empfindet – zumal das ganze Ding dann vielfach repetiert, variiert und durchdekliniert wird mit beachtlichem Spektakelaufwand in Form von Instrumentierung und Massenchorkomparserie, bis sich schon der Eindruck eines etwas ulkigen Missverhaeltnisses zwischen der Schlichtheit des rhythmisch-melodischen Materials und der Aufgedonnertheit des Inszenierungsapparates einstellen kann.
      Oder kürzer: Die Einwände von @otis gegen „Freude schöner Goetterfunken“ finde ich nachvollziehbar.

      Wie siehst du es denn hinsichtlich des ersten Satzes der 5. Sinfonie? Empfindest du auch das berühmte Motiv zu Beginn als banal? Fast alles andere ist daraus abgeleitet, da wird also mit einem vordergründig noch deutlich schlichteren rhythmisch-melodischen Material im Prinzip auch wieder so verfahren, dass dies eine Art Keimzelle für alle möglichen Arten von „Wiederholung“ (?), Variation und Veränderung ist, also in deinen Worten „durchdekliniert“ wird.

      Ist Ravels „Bolero“ nicht auch eine sogar äußerst banale Veranstaltung, da zwei Melodiekomplexe „einfach nur“ permanent wiederholt und dabei lediglich anders instrumentiert werden? Und ist als zugespitztes Indiz dieser Banalität nicht der arme Trommler zu bemitleiden, der ein und denselben Rhythmus eine Viertelstunde lang dauerrepetitieren muss?

      --

      #10712561  | PERMALINK

      bullschuetz

      Registriert seit: 16.12.2008

      Beiträge: 2,089

      Ich will 9/4 ja nicht in die Tonne treten, nur mal zu bedenken geben… Und ich räume ein: Der vierte Satz arbeitet natürlich damit, dass ihm drei vorausgehen. Den Schlusssatz isoliert als „Best of Classic“ zu hören, ist schon ignorant.

      Bolero empfinde ich anders: Da ist die Reduziertheit Prinzip und der Spannungsbogen lang und maehlich. Aber wenn ich drüber nachdenke, gefällt mir die Neunte besser…

      Die Fünfte: Maximale Wucht und Schwere, dann sofort dieses schnelle Hochtippeln, das finde ich schon als Ausgangsmaterial komplexer, rhythmisch durchaus ausgebufft, mehr Intervalle, größerer Tonumfang. Durchdekliniert wird aber dann natürlich auch fleißig, was ja auch nichts Schlechtes ist.

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      #10713295  | PERMALINK

      gruenschnabel

      Registriert seit: 19.01.2013

      Beiträge: 6,126

      bullschuetzIch will 9/4 ja nicht in die Tonne treten, nur mal zu bedenken geben… Und ich räume ein: Der vierte Satz arbeitet natürlich damit, dass ihm drei vorausgehen. Den Schlusssatz isoliert als „Best of Classic“ zu hören, ist schon ignorant.
      Bolero empfinde ich anders: Da ist die Reduziertheit Prinzip und der Spannungsbogen lang und maehlich. Aber wenn ich drüber nachdenke, gefällt mir die Neunte besser…
      Die Fünfte: Maximale Wucht und Schwere, dann sofort dieses schnelle Hochtippeln, das finde ich schon als Ausgangsmaterial komplexer, rhythmisch durchaus ausgebufft, mehr Intervalle, größerer Tonumfang. Durchdekliniert wird aber dann natürlich auch fleißig, was ja auch nichts Schlechtes ist.

      Ja, klar. Ich hatte Otis‘ Eingangsposting damals auch als Anstoß verstanden, Möglichkeiten der ästhetischen Infragestellung zu erwägen. Ums Abbügeln geht’s hier sicher keinem von uns.
      Und wir scheinen uns auch im Weiteren einig zu sein: Hinweise auf Schlichtheit/Einfachheit, auf durchgängige Sekundschrittbewegungen, gleichförmige Rhythmen und das Prinzip der Beschränkung auf minimalistisches Material liefern keine Erklärungen für ästhetische Defizite.
      Nur beim Beginn der 5. möchte ich nochmals einhaken: Der Vergleich des Ausgangsmaterials mit dem des „Freude“-Themas bringt m.E. schon das Ergebnis, dass es sich beim „Anklopfen des Schicksals“ eben um eine fast schon lächerlich simple Tonfolge (nur Takte 1 und 2!) handelt, aus der heraus dann die Entwicklung des Satzes fast monothematisch fortgeführt wird. Dagegen ist die Melodie zum Schiller-Text ja wirklich „substanziell ergiebiger“, oder nicht?
      Alfred Brendel äußert sich über Beethovens Spätstil übrigens so: „Einer neuen Kompliziertheit entspricht, als ihr Gegenpol, eine neue Kindlichkeit. Das scheinbar Übersteigerte steht neben scheinbar Kunstlosem, Schroffheit neben neuartiger lyrischer Entspanntheit. Simples, Primitives, Populäres, Derbes findet in der Musik Platz, ohne daß deren Rahmen gesprengt würde.“ (aus „Nachdenken über Musik“)
      Könnte man, denke ich, durchaus auf die 9. beziehen.

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