Reel Recordings (2007-2012)

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    gypsy-tail-wind
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    „We’re just here to do best by the music.“
    ~ Michael King

    Reel Recordings, eine kleines, feines Label aus Ontario, Kanada, wurde 2007 von Mike King ins Leben gerufen. King war (und ist weiterhin) u.a. für das Labels Cuneiform tätig (Remastering von Archiv-Releases), als G.F. Fitz-Gerald ihm ein Tape mit Lol Coxhill zur Reparatur gab (es musste gebacken werden), sollte dies zum Anstoss werden, ein eigenes Label zu gründen – das reparierte Tape erschien als „Echoes of Duneden“ (RR 003) als dritter von sechs Releases im ersten Jahr.

    The first five entries into the Reel catalog follow King’s interest in progressive British music, including both improvised and rock groups: reed player Gary Windo and his pianist wife Pam, guitarist Ray Russell, drummer Ken Hyder, Coxhill and the Canterbury circus of singer/guitarist Kevin Ayers. For 2008, a 1981 concert performance of altoist Mike Osborne (an early favorite of King’s) will get the Reel treatment, as will recordings by pianist Steve Miller and altoist Elton Dean.

    „Audiophile“ and „compact disc“ are terms that usually don’t go together, but Reel Recordings are glass mastered in real time (1x playback) using vintage and high-end equipment (I don’t want to admit this makes a difference, but my ears say it does) for a stable and rich return. The audio files are converted at a 96/24- bit rate in Sony Sound Forge, a bit-rate which is normally used for digitizing voice recordings and which presents an extraordinary amount of detail in the source material. Finally, before the digital master is created, King converts the files into analog and „warms them up.“

    Zitat von hier:
    http://www.allaboutjazz.com/php/article.php?id=28436#.UZsnmL2MmSo

    Ich möchte in diesem Thread in loser Folge den kompletten Katalog des leider vor ein paar Monaten eingestellten Labels vorstellen. Die letzte Veröffentlichung erschien letzten Herbst als Begleit-CD zu einem Buch über den britischen Jazz, „Trad Dads, Dirty Boppers and Free Fusioneers“ von Duncan Heining – sie fehlt auf den Photos noch, weil ich wie immer etwas im Rückstand bin …

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    RR 001 – Pam & Gary Windo – Avant Gardeners (2007)
    RR 002 – Kevin Ayers and the Whole World – Hyde Park Free Concert 1970 (2007)
    RR 003 – G.F. Fitz-Gerald & Lol Coxhill – Echoes of Duneden (2007)
    RR 004 – Ken Hyder’s Talisker – Dreaming of Glenisla (2007)
    RR 005 – Ray Russell – Secret Asylum (2007)
    RR 006 – Mike Osborne – Force of Nature (2008)
    RR 007 – Steve Miller Trio Meet Elton Dean (2008)
    RR 008 – Soft Heap – Al Dente (2008)
    RR 009 – Kevin Ayers – What More Can I Say … (2008)
    RR 010 – Command All Stars – Curiosities 1972 (2008)
    RR 011 – Bob Downes Open Music – Crossing Borders (2009)
    RR 012 – Harry Miller’s Isipingo – Full Steam Ahead (2009)
    RR 013 – Splinters – Split the Difference (2009)
    RR 014/015 – Soft Machine – Live at Henie Onstad Art Centre 1971 (2CD, 2009)
    RR 016 – Don Rendell Ian Carr Quintet – Live at the Union 1966 (2010)
    RR 017 – Radar Favourites (2010)
    RR 018/019/020 – Double Trouble – Dreamtime (2CD+DVD, 2010)
    RR 021/022/023 – G.F. Fitz-Gerald & Lol Coxhill – The Poppy Seed Affair (2CD+DVD, 2011)
    RR 024/025 – Elton Dean’s Ninesense – The 100 Club Concert 1979 (2CD, 2012)
    RR 026 – Trad Dads, Dirty Boppers and Free Fusioneers – British Jazz 1961-1975 (2012)

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      gypsy-tail-wind
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      Für Cuneiform hatte Michael King schon 1996 eine CD mit diversen Schnipseln von Gary Windo (Brighton 1941 – New York 1992) zusammengestellt und auch die Liner Note dazu geschrieben: „His Master’s Bones“. Da Windo leider nie sehr bekannt geworden ist, ein paar Worte zu ihm, für die ich mich bei den erwähnten Liner Notes bediene.

      Windos Vater Edgar, der im zweiten Weltkrieg als Kampfpilot diente, leitete eine zwanzigköpfige Akkordeongruppe mit Garys Mutter Audrey am Klavier, daheim lief die Musik von Basie, Ellington und Parker. Mit sechs begann Windo, Schlagzeug und Akkordeon zu lernen, spielte mit Vaters Band den ersten Gig. Mit 12 Gitarre, Rock’n’Roll … in den späten Fünfzigern zog er mit der britischen Handelsmarine durch die Welt. 1958 spielt er mit deren Band in Australien das C-Melody Saxophon, lässt sich 1960 in New York nieder, wo er mit Warne Marsh und Lennie Tristano Tenorsaxophon und Musiktheorie studiert und mit Tommy Potters Band auftritt.

      1963 experimentelle Workshops mit Ex-Mingus-Sideman Shafi Hadi, zahlreiche US-Tours im chitlin circuit mit R&B-Combos … daneben hört er die Musik seiner Helden: Trane, Shepp, Ayler und Junior Walker. 1966 jamt er mit der Paul Butterfield Blues Band und wird für kurze Zeit Mitglied der Gruppe, heiratet 1967 aber seine Frau stribt bei einer illegalen Abtreibung – Heroin, Razzia, ein Jahr Rykers Island. 1969 wird er nach Brighton deportiert, trifft seine Kindheitsfreundin Pamela Ayton wieder, spielt mit R&B-Bands in lokalen Pubs und fährt immer öfter nach London, um zu spielen, jamt mit einer All-Star-Band, der auch Jack Bruce, Mitch Mitchell, Brian Auger und Graham Bond angehören.

      Im März 1970 zieht Gary mit Pam und ihren Söhnen nach Nord London und schnell machen gerüchte über den wilden Mann am Tenorsaxophon die Runde. Windo – der sich gerne als amerikanischer Expatriate ausgab – stösst zu Chris McGregors afrikanischer Big Band, der wundervollen Brotherhood of Breath, aber auch zu Keith Tippetts Centipede. Aus dem Pool talentierter Musiker formt sich Symbiosis mit Mongezi Feza, Nick Evans, Steve Florence, Roy Babbington und Robert Wyatt/Louis Moholo. 1971 nehmen sie für die BBC auf (der erste Track – eigentlich nur eine kurze Fanfare – der Cuneiform-CD stammt von den Aufnahmen).

      Mit Centipede nimmt er an den Aufnahmen des Albums „Septober Energy“ teil, tourt mit der BoB durch Deutschland und mit Symbiosis durch Holland. Am 1. Juli 1971 findet am Goldsmith College eine Symbiosis Supersession statt, mit Pukwana, Feza, Tippett, Evans, Florence, Moholo, Mike Patto, Lol Coxhill, Alan Skidmore, Marc Charig, Brian Godding, Harry Miller … Windo jamt zudem auch mit Ginger Baker und John McLaughlin, organisiert sich Solo-Gigs (Tenorsaxphon und Bassklarinette) und Duos mit den Schlagzeugern Robert Wyatt, Laurie Allan und Frank Perry. Im Jahr darauf spielt er Elton Deans Sopranino Saxophon auf den unveröffentichten Aufnahmen zu Ollie Halsalls Album „Ollie and the Blue Trafs“ (Produzent ist Robert Fripp), wirkt an den Aufnahmen zum Klassiker „Brotherhood“ von McGregors Brotherhood of Breath mit und spielt zugleich mit Ray Russells Rocktrio The Running Man und nimmt mit Hugh Hopper dessen „1984“ auf (ein Alternate Take findet sich auf der Cuneiform-CD).

      1973 folgt die nächste Europa-Tour mit der Brotherhood (auch davon sind Aufnahmen vorhanden, ein Stück aus Willisau findet sich auf der Windo-CD), er gründet WMWM (Windo, Wyatt, Dave McRae, Ron Matthewson) für ein paar Gigs und einen Auftritt im BBC Jazz Club, nimmt mit Ray Russell „Secret Asylum“ auf (Reel Recordings RR 005, ursprünglich auf Intercord/Black Lion) – mit Russells Band tritt er bis 1978 zweimal jährlich im Phoenix Club auf. Mit Johnny Dyani und Rene Augustus nimmt Windo Alan Shorters Album „Tes Esat“ (America) auf – eine Session mit frei improvisiertem Jazz. Mitte der Siebziger tritt er auch oft im Trio mit Harry Miller und Louis Moholo auf – ebenfalls eine Free Jazz-Gruppe, die sicher ging, in jedem Set Albert Aylers „Ghosts“ zu spielen. 1974 tritt er mi Doris Troy & The Gospel Truth im Ronnie Scott’s auf, reist mit ihr ans Tabarka Festival in Tunesien – wo er dann strandet, als Troy sich mit den ganzen Einnahmen aus dem Staub macht. Windo startet I Dougou mit Mongezi Feza als Backing-Gruppe für die Sängerin Norma Greene, Auftritte in der Schwiz und Italien – und erneut verpisst sich die Sängerin mit den ganzen Einnahmen. Windo haut im Frust sein Saxophon kaputt.

      Als nächstes nahm er an den Aufnahmen zu Robert Wyatts „Rock Bottom“ teil und spielt an seinem Drury Lane Comeback-Konzert mit. 1975 wirkt er an Wyatts „Ruth Is Stranger than Richard“ mit und ein letztes Mal formiert sich Centipede, um an den Nancy Jazz Pulsations zu spielen. Im November treten Gary und Pam Windo mit Richard Brunton, Bill MacCormick und Nick Mason auf (als Gary Windo & Friends). Aus Mangel an Auftrittsmöglichkeiten repariert Windo Masons Auto-Sammlung. 1976/77 spielt er mit verschiedensten Bands, trifft am Baden-Baden Jazz Workshop u.a. auf Carla Bley, Albert Mangelsdorff, Christy Doran, Hugh Hopper und Edward Vesala (sie spielen u.a. Mongezi Fezas wundervolles „You Ain’t Gonna Know Me, ‚Cause You Think You Know Me“ ein – auf der Cuneiform-CD). Mit Louis Moholos Culture Shock spielt er afrikanischen Jazz, u.a. 100 Club in London, und er nimmt Sessions für sein Album „Steam Radio Tapes“ auf, u.a. mit Julie Tippets, Steve Hillage, Hugh Hopper, Nick Mason und Robert Wyatt. One-off Gigs mit Suzie Quatro und Gary Glitter gibt es ebenso, dann spielt er mit Carla Bleys vermutlich bester Band („Europen Tour 77“, dazu ein toller Radio-Mitschnitt aus Chateauvallon), neben Elton Dean, Hugh Hopper, Mike Mantler, Roswell Rudd, John Clark, Bob Stewart, Terry Adams und Andrew Cyrille, mit der er 1978 auch in den USA tourt (ein Kritiker schrieb: „They joke, they bicker, they frolic, they get pissed, and they’re obviously very close. Add to the bew Gary Windo, whose lunatic between song antics had everyone either overjoyed or outraged …“)


      Carla Bley Band, 1977, v.l.n.r. hinten: Bob Stewart, Terry Adams, Mike Mantler, Roswell Rudd, Hugh Hopper, Andrew Cyrille, Elton Dean, vorn: Carla Bley, John Clarke, Gary Windo

      Nach der Tour folgten die Aufnahmen zu „Musique Mecanique“ mit den Gästen Charlie Haden und Eugene Chadbourne. 1979 zog die Windo-Familie nach New York, in einem Flugzeugabsturz gingen allerdings einige liebe Habseligkeiten verloren, darunter auch Tapes. Mit der Carla Bley Band tourte Windo erneut durcch die USA, am Ende tritt man in San Francisco mit Charlie Haden und Don Cherry in einem Liberation Music Orcehstra-Konzert auf – The Residents stellen sich Gary vor und schenken ihm eins ihrer T-Shirts). Windo spielt mit Fred Frith im CBGB’s, zieht nach Woodstock, in die Nähe von Carla Bley und Mike Mantler. Mit Bley tritt er in der Carnegie Hall auf, in Berlin mit Mike Mantlers „Movies“, auf der Platte „More Movies“ ist er ebenfalls zu hören. Er beginnt, am Creative Music Studio in Woodstock zu unterrichten – neben Haden, Cherry, Ed Blackwell, Coxhill, Frith, Julius Hemphill und dem Initiaton Karl Berger. Mit New Gong nimmt er „About Time“ auf, mit Nick Mason „Fictitious Sports“, spielt einen one-off Gig mit Tiny Tim und im Frühling 1980 die letzten Konzerte mit Bley.


      Carla Bley Band, Juli 1978, v.l.n.r.: John Clark, Windo,
      Bob Stewart, Alan Braufman

      Windo spielt auch mit der New Wave Club-Band Pam Windo & The Shades, Albert Grossman bringt auf seinem Bearsville Label die LP „It“ heraus und stell den Kontakt mit Todd Rundgren her, für den Windo als Session-Musiker spielt – er ist auf Dance-Hits (Cover Girls), Rock-Alben (Ian Hunter) oder in Radio- und TV-Ads (Kodak) zu hören. Windo spielt auch regelmässig mit dem NRBQ, am 23. November tritt er im Soundscape auf, in einer Reihe von Solo-Sax-Konzerten mit Jhon Zorn, Ned Rothenberg, George Cartwright und Windo. Am 9. Dezember hätte er John und Yoko treffen sollen, um die Horn-Section für ihre Tour zusammenzustellen.

      1981 erkrankt er schwer, wird mit Darmbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Nach seiner Genesung beginnt er die Arbeit an seinem Album „Dogface“, u.a. mit den Shades und dem NRBQ und tourt im November mit den Psychedelic Furs durch die USA. 1982 nimmt er mit Todd Rundgren an den Aufnahmen für das Monk-Tribute-Album „That’s the Way I Feel Now …“ teil. Gary und Pam lassen sich scheiden, Gary zieht zu Hal Wilner, spielt mit seinem Stiefsohn Jamie in der Teen-Rock-Band Paris Plus und trat als Freelancer mit zahlreichen Bands in Woodstock, Albany und NYC auf.

      Anfang 1984 stellt er das Gary Windo Orcchestra zusammen, hat fest im Sinn, mit „Rock-a-bop-metaldelic“ den Durchbruch zu schaffen, die Cellistin der Psychedelic Furs, Ann Sheldon, stösst zur Band (verstirbt aber am 31. Dezember bei einem Autounfall in den Catskills). Windo heiratet die junge Ellen Liberace (eine Nichte von Liberace, wie es scheint) und spielt für deren Filme „Sex Crimes 2084“ und „Maximum Head“ (ja, es sind *solche* Filme) den Soundtrack ein. 1985 geht es zurück nach New York, die Gary Windo Band wird reformiert, Windo spielt auf Joe Piscopos Comedy-LP „New Jersey“, mit Rudgren wirkt er an Willners Weill-Tribute „Lost in the Stars“ mit und tourt im Herbst. 1986 tritt er mit der Windo Band und NRBQ auf und spielt einen weiteren schlüpfrigen Soundtrack ein („Three Daughters“), 1987 lebt er in L.A., tourt mit The Tuebs, nimmt mit Don Preston den Soundtrack für „The Tunnel auf, komponiert die Titelmelodie von „Crime Story“ für ABC-TV, für Island wird ein Clip zum Song „Deep Water“ erstellt, nachdem ein gleichnamiges Album aufgenommen wurde. Ende des Jahres zurück nach NYC.

      1988 löst sich die Gary Windo Band auf, „Deep Water“ war ein Misserfolg, das Saxophon bleibt monatelang unangetastet. Er beginnt wieder zu unterrichten und arbeitet in der Sales-Abteilung des International House of Horns am Times Square (das Telefon nimmt er ab mit: „Hello, International House of Pancakes. … Horns? I’m sorry, we only sell pancakes!“). 1989 wirkt er als Komponist zweier Stücke an Allen Ginsbergs „The Lion for Real“ mit, spielt neben Bill Frisell, Arto Linsay und Beaver Harris auch mit. Mit Walter Bishop Jr. und Frank Butler tritt im Sommer 1990 die Gary Windo/Frank Lowe Band in der Knitting Factory auf (apeshit im Quadrat! damn, das müsste man gehört haben!). 1992 spielte er mit seinem Mentor Junior Walker in Woodstock und in Harlem mit der Gospel/Brass-Band The Heavenly Hummingbirds. Allerdings litt er zunehmends unter gesundheitlichen Problemen, ging dennoch mit dem NRBQ auff eine Tour an der Westküste im Juli. Das letzte Konzert der Tour im Slim’s in San Francisco sollte sein letzter Auftritt werden. Er verstarb wenige Tage nach seinem Vater.

      Auf seiner Visitenkarte stand nur:
      __________

      gary windo
      sax giant
      __________

      Gary insisted that utter devotion to the saxophone was required to transcend technical faculty and harmonize one’s life experience with musical expression. Preferring gritty to polite aesthetics, he was unmoved by showy players who spoke fluently but said little. In executing these convictions, and with a huge „tough Texas“ tone, he forged an inimitable, instantly recognizable style. Whether heard howling free improv or roaring in rockabilly, Gary’s musical vocabulary was always personifie, and often drew from a wild, overflowing sene of joyous humour. Ever the philanderer, he could and would extemporize entertainingly with any topic at hand (usually not music). As Robert Wyatt put it, „Gary was always playing. When the horn came out of his mouth, aall the raving and shouting began. He just kept on playing!“

      ~ Michael King, October, 1996

      Neben einer zweiten (noch erhältlichen) CD mit Windo-Tapes von Cuneiform hat Micheal King als erste Veröffentlichung seines eigenen Labels vierzig Minuten Musik von Windo herausgrebacht, die Windo 1974 und 1976 selbst aufgenommen hat. Die Dokumentation von Windos Musik ist für King sichtlich eine Herzensangelegenheit – die CDs entstanden über viele Jahre, die Aufnahmen wurden, so gut wie möglich, restauriert. Im Fall der vorliegenden Mitschnitte, die Windo mit Stereo-Mikrophonen mit einem Reel-to-Reel-Gerät machte, führt das trotz Low-Fi-Qualität zu durchaus passablen Ergebnissen.

      Pam Windo and I love to work together. She was and is one of the greatest supporters of my madness. And though she has had much heartbreak trying to help me, our musical collaborations have always been beautiful. This track is to day, „Thank you Pam.“
      ~ Gary Windo, 1984

      Den Auftakt macht ein Duett mit Pam Windo und da sind auch gleich Garys markerschütternde Schreie und das wilde Spiel. Es folgen vier Trio-Stücke mit dem Percussionisten Frank Perry, im Februar 1974 in London aufgenommen. Erstaunlich zarte Musik, die aber immer wieder durchbrochen wird – ein festes Drehbuch gab es mit Windo nie. Das Duo endet mit einer unbegleiteten Tenorsax-Exploration, den Auftakt der Trios macht dann die Bassklarinette, über heftige Klaviercluster und wilde Tom-Tom-Rhythmen, nach einem wilden Schlagzeug/Klavier-Duo greift Windo zum Tenor für ein wildes Solo, in dem er ins Saxophon hineinschreit, von den Begleitern mal angetrieben, dann wieder alleingelassen wird, bis die Musik am Ende versiegt, Windo bläst klanglos Luft durch das Saxophon und bedient dazu die Klappen.

      Das Trio – vier Tracks, die aber nahtlos ineinander überfliessen, fährt weiter wieder mit der Bassklarinette, dazu Schlaghölzer, Gongs … tiefe Töne und überblasene Schreie wechseln sich ab, die Begleitung bleibt sparsam, karg, Perry steuert verschiedenste Klänge bei (Windo berichtet in seinem kurzen Text von 1984, wie es jeweils drei Stunden gedauert habe, bis er sein Zeugs für den Gig bereit hatte, drei Stunden dann, um alles wieder abzuräumen und einen ganzen VW-Bus damit vollzustopfen).

      In der zweiten Häflte des langen letzten Teils des Trios setzt dann Pam Windo wieder mit wilden Clustern ein und Gary greift zum Tenor, sofort ist der Energielevel wieder ganz weit oben, Windo rotzt schnelle, zerklüftete Stakkato-Phrasen über einen Teppich aus wilden Clustern und dichtem Getrommel, schert in schnelle Läufe aus, stösst dazwischen auch mal einen Schrei aus, bis die Musik sich über abfallande Klavier-Arpeggi wieder etwas verlangsamt und beruhigt. Es folgt ein Klaviersolo mit toller Begleitung von Perry, bevor Windo am Tenorsax wieder hinzustösst.

      Zum Abschluss gibt es – von denselben Aufnahmen aus dem Herbst 1976 wie das öffnende Duo – ein Stück im Quartett mit Harry Miller und Louis Moholo, einer der besten Rhythmusgruppen jener Tage, die mit McGregor genauso gut wie mit Mike Westbrook, Mike Osborne oder Peter Brötzmann spielten – und dennoch immer nach Miller/Moholo klangen, eine Art Free-Bounce aufs Parkett legten, wie ihn kein anderes Rhythmusgespann hinkriegte. Mit einem entspannt swingenden 4/4-Beat beginnt die Nummer, Moholo „stört“ jedoch schnell den Fluss und Windo bleibt bei wenigen kleinen Ideen, die er in Variationen wiederholt und schliesslich zur nächsten wechselt. Ein sehr schöner Abschluss einer kurzen, aber duchaus hörenswerten CD.

      Das wurde ein gigantischer Post, war so nicht vorgesehen – aber eine kleine Hommage an Gary Windo kann nie schaden!

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      :bier:
      Super, Gypsy! Wo kann ich noch ein paar Veröffentlichungen bekommen?

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      #8866133  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Bgigli:bier:
      Super, Gypsy! Wo kann ich noch ein paar Veröffentlichungen bekommen?

      Ich hatte mir letztes Jahr den ganzen Katalog von Mike direkt gekauft, zu zwei CDs gab’s jeweils eine dritte dazu, im Päckchen für 40 oder so kanadische Dollar. Ich weiss nicht, ob er noch alles an Lager hat, vermutlich nicht (die neuste CD hätte er noch, aber die gibt’s auch bei Amazon – ich glaub Italien ist mal wieder am besten – zu passablen Preisen).

      Für den Laden hier arbeitet er auch, und ich sah gestern, dass die fast alle noch erhältlichen CDs führen, für 10£ – keine Ahnung, wie es mit Versandkosten aussieht:
      https://www.gonzomultimedia.co.uk/labels/Reel%20Recordings

      Meine Lieblings-CDs sind wohl die Rendell/Carr, die (vergriffene?) Elton Dean’s Ninesense und vor allem die Harry Miller (wegen der ich überhaupt auf das Label kam, als ich auf meinem Blog vor ein paar Jahren mal ein paar BBC-Tracks von Miller reinstellte und sich herausstellte, dass ein paar von ihnen mit weiterem Material von Reel auf der CD „Full Steam Ahead“ herausgebracht wurden … Millers eine Cuneiform-CD ist übrignes ebenfalls ganz grosse Klasse!).

      Viele der CDs sind sonst wohl eher „special interest“ für Softs-Fans etc., aber die Ken Hyder ist klasse, Mike Osborne – der echte Ozzie! – ist immer hörenswert (die Must-Have ist jedoch die Trio-Scheibe „Border Crossing“ mit Miller/Moholo auf Ogun, die CD „Trio & Quintet“ enthält auch noch „Marcel’s Muse“ mit Marc Charig, ist aber soweit ich weiss vergriffen), bei den Splinters wirkt Tubby Hayes mit, die Command All Stars dokumentiert Leute aus dem Umfeld von McGregor und Tippett (letzterer wirkt mit, daneben etwa Dean, Nick Evans, Charig, Miller und Johnny Dyani), Dreamtime ist ein Projekt um Nick Evans mit Aufnahmen von 1984 und 1991 sowie einer DVD vom Elton Dean Memorial (mit Keith Tippett) von 2006. Ich bin jedenfalls aufs Wiederhören all der CDs gespannt, aber es wird etwas dauern, Du weisst ja, dass ich derzeit eher bei Gigli als bei Beiderbecke bin ;-)

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      #8866135  | PERMALINK

      gypsy-tail-wind
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      Reels zweite Veröffentlichung zeigt, dass Mike Kings Interessen nicht allein dem Jazz zugewandt sind, sondern eher der englischen Musik der Sechziger und Siebziger im Allgemeinen. Ich kann nicht behaupten, ein Experte zu sein, was Kevin Ayers betrifft, aber ich will mal versuchen, einen anständigen Post hinzukriegen …

      With the greens of Hyde Park under a clear blue sky, an estimated one hundred thousand freaky friends accepted a free concert invitation billed as ‚Blackhill’s Garden Party‘. Hells Angels assumed stage front security matters where none existed, while TVX Video filmed the afternoon performances onto half inch Sony videotape. Lol Coxhill, introduced as Lowen, broke the noon hour with a solo soprano saxophone improvisation, preceding Formerly Fat Harry’s brew of Country/Blues Rock. Roy Harper took stage as last minute replacement for The Third Ear Band’s cancellation. Edgar Broughton Band were prepared to shout out the demons as only they could. Pink Floyd brought along the ‚John Aldiss Brass & Choir‘ [sic] for the London debut of their Atom Heart Mother suite for a grand finale. Such an eclectic festival program proved most suitable for the eccentricities of Kevin Ayers and his rag-tag combo, The Whole World. With accuracy abandoned, they plowed through Kevin’s tunes with barely a touch of politeness, all of it captured on eight track tape – including the vintage public address system. It is what it was!

      So der Text auf der ersten Klappe des Digipacks, ohne Angabe eines Autors (King?). Politeness sucht man hier in der Tat vergebens, der Klang der Aufnahme ist bass-lastig und rauh, die Band rotzt die Musik hin, Subtilität sucht man besser anderswo. Der Line-Up: Kevin Ayers, elektrische Gitarre und Gesang; David Bedford, elektrisches Piano, Orgel; Lol Coxhill, Tenor- und Sopransaxophon, Gibston Maestro, slide whistle, Percussion; Mike Oldfield, Bass; Robert Wyatt, Schlagzeug. Der Opener „Clarence in Wonderland“ entwickelt nach einigen Minuten einen hypnotischen Sog, im zweiten Stück, „Colores para Dolores“, das nahtlos anschliesst – man macht kein Federlesen! – bahnt Coxhill sich einen Weg frei, bläst kurz unbegleitet und dann leitet Ayers mit einer unverwüstlich-penetranten Rhythmusgitarre in eine Fiesta über … nur von Wyatts Trommeln kommen immer wieder Impulse, die darauf hinweisen, dass man das alles auch ein wenig anders spielen könnte – wollte man aber ganz offensichtlich an dem Abend nicht und das ist auch ganz in Ordnung so. Die Fiesta endet in dissonanten Orgelklängen, bevor Coxhill mit seinem immer etwas zu tief klingenden Sopransax wieder übernimmt.

      English people are reserved and the only thing they get excited by is noise.

      ~ Kevin Ayers, Me and My Music, in: Disc and Music Echo, June 13, 1970 (im Innern des Digipacks von RR 002 abgedruckt)

      Danach wirkt „May I?“ geradezu zärtlich, auch wenn Ayers die Hälfte der Töne verhaut … das gehört wohl mit zum Charme seiner Musik, die ja erklärtermassen die eines Amateurs war – der in den besten Momenten wie eine Art Idiot savant wirkt.

      Als habe man Angst vor der gerade ausgeklungenen Ballade leitet Ayers umgehend in den närrischen kurzen „Hat Song“ über, der nach einer Minute auch schon wieder ausklingt.

      Das Orgel-Intro zu „Did It Again“ gemahnt etwas an den gerade verstorbenen Ray Manzarek und The Doors. Bald fallen Wyatt und Oldfield mit ihrem wuchtigen Beat ein, Coxhill greift hier wohl zur Gitarre – einmal mehr klingt die Band ein wenig wie The Velvet Underground, bloss deutlich weniger cool, gehetzter, geradezu vorwärtsgepeitscht von Wyatt. Man ahnt zwar, dass Ayers etwas zu singen versucht, aber zu hören ist davon wenig Das Stück fasert gegen Ende ziemlich aus, aber für „Why Are We Sleeping“ fängt sich die Band wieder einigermassen. Wyatt trommelt wieder sehr toll, Coxhill hebt über einem hypnotischen Gitarren- und Bass-Riff zu einem weiteren Solo ab, Wyatt wirkt fokussiert und ist für einmal sogar zu verstehen.

      I konw I’d never be a pop star, but I’d like to have the money that a pop star gets because I could do a lot of nice things with it. But I’ve looked at a lot of pop stars and they have a certain narrow-mindedness, they seem to be eternally adolescent and eternally in need of reassurance. The reason I’m playing live gigs is because it’s the only job I can do that is half tolerable, and it gives me money I need to be free.

      I really respect people with technique, but it doesn’t interest me to learn the technique – I’m too lazy and I’m not dedicated enough. I hope it’s rewarding for people to hear an amateur like myself who hwas the ideas and can’t express them. The people I admire are those who can combine both imagination and technique.

      ~ Kevin Ayers, Me and My Music, in: Disc and Music Echo, June 13, 1970 (im Innern des Digipacks von RR 002 abgedruckt)

      Nun ja, so ist das wohl mit Kevin Ayers … ein grosser Haufen Widersprüche, die auch in seiner Musik zu hören sind. Wollen wir diesem Amateur, der Ideen hat, sie aber nicht umsetzen kann, denn zuhören? Manchmal schon, aber dieser Konzertmitschnitt ist gewiss keine Sternstunde, die man regelmässig hören mag.

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      #8866137  | PERMALINK

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      Gemäss einem Bericht auf Org ist Mike King gestorben. Ein sehr freundlicher Mensch, soweit die paar Emails, die ich mit ihm gewechselt habe, darüber Aufschluss gaben, bereit auch zu einem kleinen Schwatz und dazu, die eine oder andere Frage zu beantworten.

      Seine Tätigkeit ging natürlich über Reel Recordings hinaus – an diesen liegengebliebenen Thread hier hatte ich den letzten Tagen ein paar Male gedacht, auch die phantastische Elton Dean-Veröffentlichung von 2012 im Regal gesehen und gedacht, dass es wieder mal an der Zeit wäre, sie anzuhören.

      r.i.p. Mike King – besten Dank für all die Musik!

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