Lesefrüchte

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  • #8674925  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

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    Die Lage der Deutschen in Österreich

    Eben dachte ich daran, daß es Worte gibt, die mir den Aufenthalt in diesem landschaftlich begabten Lande so sehr erschweren. Da ist zum Beispiel das Wort, das die äußere Unordnung des hiesigen Lebens so sehr verschärft: das Wort »Pallawatsch«. Da ist ferner das Wort, das es einem fast zur Pein macht, länger »doder« zu bleiben. Da ist der vollkommen rätselhafte Ausruf, der jeden Stoß oder Fall, den man hierzulande erleidet, zur Katastrophe steigert: »Pumpstinazi«. Da ist jene Bezeichnung für einen gesunden Nachwuchs, die gebieterisch zur Fruchtabtreibung drängt: »Pamperletsch«. Da ist ein Wort, das allem Sinnengenuß den Garaus macht, indem es das höchste Entzücken des Wieners an den weiblichen Brüsten ausdrückt. Während sie nämlich Schiller – als er noch Kraft hatte – für die »Halbkugeln einer bessern Welt« ansah, prägt sich die bezügliche Weltanschauung des Wieners in dem viehisch tastenden Behagen aus, das zur Schöpfung des Wortes »G’spaßlaberln« geführt hat. Es ist ein vernichtendes Wort, eines, das unbedingt in Lebenshaß und Askese treibt. Es drückt die Beziehung des Hausmeisters zum Eros aus und hat mir schon üble Stunden bereitet. Und da es mir beim Anblick des Gesichts, das ein Wirtshausgast machte, als ihn die Kellnerin streifte, einfiel und ich darüber nachdachte, wie es denn komme, daß in keinem andern Idiom der Welt die Welt so häßlich sei – fiel mein Blick auf die Speisekarte. Nicht daß es hier Powidltatschkerln gab, war geeignet, mich dem Hungertod preiszugeben. Ich las ein anderes Wort. Ich erfuhr, daß es die Bezeichnung für ein belegtes Brot sei. Es hieß nicht, wie häufig üblich, nach dem Wirt. Nehmen wir an, der Wirt hieße Stohanzl – ein Name, der mir oft beim Lesen der Wiener Zeitungen aufstieß –, so wäre die Titulatur: Stohanzl-Appetitschnitte eine natürliche Fügung. Wie anders sollte sich denn die Individualität hierorts ausdrücken, als daß man den Wirt nach der Speise oder die Speise nach dem Wirt benennt? Nein, so hieß es nicht, das belegte Brot! Es hieß vielmehr – man wird es nicht erraten – es hieß zu Ehren einer deutschnationalen Tischgesellschaft, auf welche die Kellnerin hinwies, als ich sie nach der Provenienz des Namens fragte. Nun könnte man vielleicht glauben, daß es sich um ein Südmark-Brötchen gehandelt hat. Das wäre ja trist. Aber schließlich, die Politik geht sonderbare Wege und die Lage der Deutschen in Österreich ist etwas, woran man nicht oft genug erinnert werden kann. Nein, nein, so hieß es nicht, das belegte Brötchen. Auf der Karte stand vielmehr – auf der Karte stand: »Südmark-G’spaß 70 Heller«. Ich fürchte, daß ich darüber nicht hinwegkommen werde.

    (Die Fackel: Nr. 331-332, 30.09.1911, S. 33-34)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    #8674927  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

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    „Berlin ist Judenverbrennung, Kleinbürgertum, FU-Chinesen und Chaos.“

    Aus einem anonymen Kommentar zum SPON-Artikel Berliner Ambitionen: Die eingebildete Weltstadt

    (Der Artikel ist sicher nicht besonders originell, reizt dafür aber auf vielen verschiedenen Ebenen zum Schmunzeln.)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674929  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Eine Gesellschaftsform, die durch Zwang zur Freiheit leitet, mag auf halbem Wege stecken bleiben. Die andere, die durch Freiheit zur Willkür führt, ist immer am Ziel.

    (Die Fackel: Nr. 333, 16.10.1911, S. 1)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674931  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Die Echtheit in der Kunst vom Schwindel zu unterscheiden, mag schwer fallen. Den Schwindel erkennt man höchstens daran, daß er die Echtheit übertreibt. Die Echtheit höchstens daran, daß sich das Publikum von ihr nicht hineinlegen läßt.

    (Die Fackel: Nr. 333, 16.10.1911, S. 8)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674933  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Angesichts

    des folgenden Memorandums, das die Delegierten der außerordentlichen öffentlichen Professoren aller österreichischen Hochschulen dem Parlamente überreicht haben und das von den Worten:

    [INDENT]Angesichts des Umstandes, daß die außerordentlichen öffentlichen Professoren an allen Hochschulen bisher – in Widerspruch zu den Besoldungsgrundsätzen, wie sie allgemein für den Staatsbeamtenorganismus gesetzlich festgelegt sind – insofern zurückgesetzt erscheinen, als sie nicht den Gehalt ihrer Rangsklasse (gegenwärtig der siebenten) beziehen, ein Zustand, der gleichermaßen dem Rechte wie der Billigkeit widerspricht; angesichts der weiteren Tatsache, daß auch für die außerordentlichen öffentlichen Professoren beim geltenden Rechtszustande der Kollegiengelderbezug wegfällt, der früher bis zu einem gewissen Grade eine Ausgleichung zwischen dem ihnen gesetzlich zuerkannten und dem ihnen nach ihrer Rangsklasse gebührenden Gehalt bewirkte; angesichts ferner der Entwicklung, die es dazu gebracht hat, daß das Extraordinariat längst aufgehört hat, durchweg ein Provisorium auszumachen, und sich für allzuviele auch dann zu einem Definitivum gewandelt hat, als für das von ihnen vertretene Fach Ordinariate systemisiert sind, um so mehr aber, wo dies nicht der Fall ist; angesichts des unleugbaren Umstandes, daß eine materiell mehr als bisher gesicherte Stellung die unerläßliche Voraussetzung für wissenschaftliche Arbeit, für die Lehre gleichermaßen wie für die Forschung bildet; angesichts schließlich der herrschenden Teuerungsverhältnisse, die in allen Staatsbeamtenkategorien das Streben nach Besserung ihrer materiellen Lage ausgelöst haben und natürlich um so mehr das Streben der außerordentlichen öffentlichen Professoren nach Zuerkennung der Bezüge gerechtfertigt erscheinen lassen, die ihnen nach ihrer Rangsklasse gebühren, fordern die Delegierten der außerordentlichen öffentlichen Professoren aller österreichischen Hochschulen eine Änderung des gegenwärtigen Rechtszustandes im folgenden Sinne: Die außerordentlichen öffentlichen Professoren aller Hochschulen stehen in der der Rangsklasse der Ordinarien nächstfolgenden Rangsklasse und beziehen nebst der systemmäßigen Aktivitätszulage den Stammgehalt ihrer Rangsklasse (beim gegenwärtigen Rechtszustande also 4800 K) und drei annähernd gleiche Quinquennalzulagen, die für sämtliche außerordentlichen öffentlichen Professoren, mag nun ihre Besoldung gleich von ihrer Ernennung an oder erst in einem späteren Zeitpunkt eingetreten sein, vom Ernennungstage an –

    bis zum Ende dieses Satzes zu lesen bis jetzt nicht möglich war, so daß die weiter unten stehende Bitte um Einleitung der nötigen Schritte zur Verwirklichung obenstehender Wünsche möglicherweise unerfüllt geblieben ist, sowie angesichts des Umstandes, der ein Zustand ist, der gleichermaßen der Grammatik wie der Lebensfreude widerspricht; angesichts des Umstandes, daß beim geltenden Zustande alles wegfällt, was früher bis zu einem gewissen Grade eine Ausgleichung zwischen dem ihnen offiziell zuerkannten und dem ihnen nach ihrer Rangsklasse gebührenden Bildungsgrade bewirkte; angesichts ferner der Entwicklung, die es dazu gebracht hat, daß das schlechte Deutsch längst aufgehört hat, ein Provisorium auszumachen, und sich für allzuviele auch dann zu einem Definitivum gewandelt hat, als sie Hochschulprofessoren geworden sind, umso mehr aber, wo dies nicht der Fall ist; angesichts des unleugbaren Umstandes, daß eine grammatikalisch mehr als bisher gesicherte Stellung die unerläßliche Voraussetzung für wissenschaftliche Arbeit, für die Lehre gleichermaßen wie für die Forschung bildet; angesichts schließlich der herrschenden Teuerungsverhältnisse, die in allen Staatsbeamtenkategorien die Anschaffung einer deutschen Grammatik vor der Abfassung eines deutschen Memorandums unerschwinglich gemacht und natürlich umso mehr das Streben der außerordentlichen öffentlichen Professoren nach Zuerkennung eines Bildungsgrades, der ihnen nach ihrer Rangsklasse gebührt, erschwert haben, fordere ich für die Delegierten der außerordentlichen öffentlichen Professoren aller österreichischen Hochschulen eine Änderung des gegenwärtigem Zustandes im folgenden Sinne: Die außerordentlichen öffentlichen Professoren aller Hochschulen stehen auf der der außerordentlichen Bildungsstufe der öffentlichen Volksschüler aller Volksschulen nächstfolgenden Bildungsstufe und beziehen, mag nun ihre stilistische Unfähigkeit gleich von ihrer Ernennung an oder erst in einem späteren Zeitpunkt eingetreten sein, eine Quinquennalzulage zum Bezuge eines ordentlichen geheimen Unterrichts. Damit nämlich nicht angesichts dieser Umstände Zustände einreißen, die angehörs eines solchen Memorandums möglicherweise nicht zu der Einleitung der nötigen Schritte zur Verwirklichung obenstehender, aber sonst berechtigter Wünsche führen könnten, umso mehr aber, wo dies nicht der Fall ist!

    (Die Fackel: Nr. 334-335, 31.10.1911, S. 32-34)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674935  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Viele, die in meiner Entwicklung zurückgeblieben sind, können verständlicher aussprechen, was ich mir denke.

    (Die Fackel: Nr. 336-337, 23.11.1911, S. 40)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674937  | PERMALINK

    hal-croves
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    Im Zweifelsfall ist zwischen Zensor und Zensurkämpfer blind der Zensor vorzuziehen, und der vom »Büttel« angefaßten Kunst gehts erst schlecht, wenn sie vom Freigeist verteidigt wird. In Wahrheit schützt der Büttel die Kunst gegen den Freigeist. Denn wenn er eine Ansichtskarte nach Tizian verbietet, so bewahrt er das Werk vor der stofflichen Ausschmarotzung, die dem Freigeist geläufig ist. Das viehische Geschrei, das jedesmal entsteht, wenn dem Schaufenster eines Händlers nahegetreten wurde, beweist, daß die Polizei von Tizian mehr weiß als die Intelligenz. Die Polizei ist bloß der Ansicht, daß die vorbeigehenden Schuljungen es nicht auf Tizian, sondern auf das nackte Frauenzimmer abgesehen haben, während die Intelligenz dieselben Augen hat wie der Schuljunge und von der Identität des Künstlers mit dem Photographen überzeugt ist.

    (Die Fackel: Nr. 339-340, 30.12.1911, S. 9)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674939  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Die Meinenden

    [table=“width: 650″]
    [tr]
    [td]… von Bastien-Lepage, einem heute mit Recht halbvergessenen Epigonen des französischen Realismus Courbetscher Richtung, dessen abschreckende »Schnitterin« in der Luxembourg-Galerie den tiefen Endpunkt der Entwicklungslinie zeigt … diesen beklagenswerten Sudler … in seiner plattesten Manier, in seiner schmierigsten Malweise …
    [td]—
    [td]Auch eine kleine Skizze von Bastien- Lepage hängt in diesem Raum, eine Arbeit, aus der man nun freilich nicht ersehen kann, was für ein meisterhafter Zeichner und prachtvoller, subtiler Feinmaler dieser heute weit unterschätzte, in seinen besten Werken an die großen Altmeister hinanreichende Künstler gewesen ist.

    Der eine heißt Nordau, der andere Seligmann, es könnte auch umgekehrt sein. Völlig belanglos. Zwei Hälften geben noch immer keine Persönlichkeit, oder, um im Terrain der Herren zu bleiben: zwei Zigarrenstummel machen noch keine Zigarre, zwei Kranke noch keinen Gesunden, zwei Pinsel noch keinen Maler usw. Wäre jeder der beiden Einer, so dürften sie einander getrost die Haare ausraufen, und wären beide Einer, so dürfte er nach Herzenslust seine Widersprüche bloßstellen. Was aber fängt die Öffentlichkeit mit zwei Bedienten an, die verschiedener Ansicht sind? Diese Differenzen sind in der Gesindestube auszutragen. Die Herrschaft will ordentlich bedient sein, sie will wissen, was sie von Bastien-Lepage zu halten hat, und nicht Kopfschmerzen bekommen. Schluß! Hinaus! Wird da Ruhe sein? Das wäre eine schöne Wirtschaft! Bei den Herren Nordau und Seligmann kommt es doch wirklich nicht darauf an, wie sie servieren, sondern was sie servieren. Ich lege den größten Wert darauf, zu wissen, was die beiden Herren von Bastien-Lepage halten, aber sie haben derselben Ansicht zu sein. Denn Leute, die nur eine Meinung haben, haben nur eine Meinung zu haben. Sonst haben beide Unrecht, auch wenn sie beide Recht hätten. Was dagegen im Gehirn des Publikums vorgeht, das diesen Streit mitanhört, ist rätselhaft. Vermutlich bildet sich allmählich die Vorstellung heraus, daß Bastien-Lepage, der heute mit Recht halbvergessene Epigone und meisterhafte Zeichner, ein beklagenswerter Sudler war, dessen schmierigste Manier und subtilste Malweise diesen heute weit unterschätzten, an die großen Altmeister hinanreichenden Künstler auf dem tiefen Endpunkt der Entwicklungslinie zeigt.

    (Die Fackel: Nr. 339-340, 30.12.1911, S. 13)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674941  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

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    Beiträge: 4,617

    […]
    Die Aufholjagd im neuen China führte zu einer inflationären Veränderung der Sprachgewohnheiten. Vor ein paar Jahren war ein „dreifacher Habenichts“ noch ein Arbeitsmigrant ohne Unterkunft, Anstellung und Einkommen gewesen. Als ich begann, Gong Haiyan in ihrem Büro zu besuchen, bezog sich die Bezeichnung auf Personen ohne Eigenheim, ohne Auto und ohne finanzielle Rücklagen. Heiratete ein dreifacher Habenichts, nannte man das „nackte Hochzeit“. So hieß auch eine chinesische Miniserie aus dem Jahr 2011, in der es um eine privilegierte junge Braut ging, die trotz elterlichen Einspruchs einen Arbeiter heiratete und bei seiner Familie einzog. Schnell mauserte sich die Serie zur beliebtesten Sendung im chinesischen Fernsehen. Wäre das Ganze ein Roman aus den dreißiger Jahren gewesen, hätte man es wohl zum Genre der tragischen Liebe gezählt: Am Ende der Serie lässt sich das Paar scheiden. Eine andere populäre Sendung war eine Entscheidungsshow namens Wenn Du der Eine bist, bei der sich junge Menschen gegenseitig bewerteten. Auf einem Bildschirm erschienen Blasen und zeigten an, ob der jeweilige Herr auch über ein Auto und ein Eigenheim verfügte. In einer Folge bot ein dreifacher Habenichts einer Frau eine Fahrt auf seinem Rad an; sie lehnte jedoch mit folgender Begründung ab: „Ich weine lieber in einem BMW, als auf einem Fahrrad zu lächeln.“ Dieser Satz war zu viel für die Zensoren. Sie strukturierten die Show um und nahmen eine matronenhafte Ko-Moderatorin in die Sendung auf, die ständig zu Tugendhaftigkeit und Zurückhaltung aufrief.
    Ein- oder zweimal pro Monat veranstaltete Gongs Unternehmen Singleparties. Also marschierte ich eines Abends in einen Ballsaal voller sorgsam zurechtgemachter Männer und Frauen. Man hatte ihnen batteriebetriebene Ansteck-Blinklichter in Form von Kussmündern in die Hände gedrückt. Ein Moderator sprang auf der Bühne auf und ab und zog die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich: „Bitte legen Sie Ihre Hand auf Ihr Herz und sprechen Sie mir nach: ‚Ich schwöre, dass ich ohne betrügerische oder böse Absichten hergekommen bin.'“
    Zwölf Frauen versammelten sich auf der Bühne und standen dort aufgereiht wie bei einer Spielshow, jede mit einem roten Stab ausgestattet, an dessen Spitze ein herzförmiges Lämpchen angebracht war: Licht an – Interesse; Licht aus – kein Interesse. Auf der Bühne befanden sich lauter erfolgreiche Damen: Ingenieurinnen, Doktorandinnen und Bankerinnen, alle Ende zwanzig oder Anfang dreißig.
    Nacheinander erklommen einige Herren die Bühne und stellten sich den Fragen der Damen. Ich konnte die Erwartungshaltung, die während der Gespräche auf die Männer einflutete, geradezu spüren. Ein breitschultriger Banker in einem Baumwollpullover stieß auf beachtliches Interesse, bis er enthüllte, dass er sechseinhalb Tage die Woche im Büro festsaß. Als nächstes war ein Physikprofessor in einem Tweedjackett an der Reihe, der durch die Beschreibung seiner Lebensziele mit „nichts Besonderes – einfach nichts, das ich bereuen müsste“ nur auf wenig Begeisterung stieß. Als Letzter betrat ein lakonischer Strafverteidiger mit einer Vorliebe fürs Wandern die Bühne, der sich recht gut schlug, bis er die Teilnehmerinnen darüber informierte, dass er sehr großen Wert auf „Gehorsam“ legte. Die Lichter gingen aus, und er verließ die Bühne allein.
    […]

    (Aus: Evan Osnos, Große Ambitionen – Chinas grenzenloser Traum)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
    #8674943  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    […]
    Macao war seit seiner Gründung Schauplatz der unterschiedlichsten Intrigen gewesen, und auch um die Geburt der Kolonie selbst rankte sich eine Legende, in deren Mittelpunkt ein eleganter Betrug stand: Es heißt, örtliche Fischer hätten 1564 eine im Hafen vor Anker liegende portugiesische Flotte um Unterstützung im Kampf gegen Piraten gebeten. Daraufhin versteckten die Portugiesen ihre Kanonen im Inneren chinesischer Schiffe und lauerten den Seeräubern auf dem Meer auf. In ihrer Dankbarkeit erlaubten die Chinesen den Portugiesen, auf der Halbinsel zu bleiben. Macao entwickelte sich zum wichtigsten Haltepunkt zwischen Indien und Japan, doch dann wurde in Hongkong ein besserer Hafen gebaut, weshalb sich Macao auf andere Dinge spezialisieren musste: Opium, Prostitution und Glücksspiel. Als der niederländische Schriftsteller Hendrik de Leeuw den Ort in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts besuchte, um für sein Buch Cities of Sin zu recherchieren, nahm er Macao in sein Werk auf als Brutstätte „allen Gesindels der Welt, der betrunkenen Kapitäne, des Treibguts der Meere, der Ausgestoßenen und der schamlosesten, schönsten und wildesten Frauen aller Häfen auf dem Erdenrund. Es ist die reinste Hölle.“
    Während des Großteils seiner Geschichte wirkte Macao mit seinen barocken katholischen Kirchen und den Reihen von Cafés im Schatten herabhängender Palmen mindestens ebenso mediterran wie chinesisch, denn hier tranken alte Auswanderer cafe de manhã, während sie sich über das Jornal Tribuna beugten. Als ich jedoch dort ankam, erinnerte mich das Ganze eher an den Persischen Golf: Luxushotels mit Klimaanlagen, Hochhäuser und in der Sonne abgestellte Sportwagen. Oft waren die Steuereinnahmen Macaos doppelt so hoch wie die Ausgaben, und ähnlich wie in Kuweit teilte man auch hier im Zuge eines sogenannten „Wohlstandsverteilungsprogramms“ Schecks an die Bewohner aus. Der Arbeitslosenanteil betrug weniger als drei Prozent. „Was Las Vegas in fünfundsiebzig Jahren erreicht hat, schaffen wir in fünfzehn“, erklärte mir Paulo Azevedo, Herausgeber der Macao Business und anderer Lokalzeitschriften, als wir uns auf einen Drink trafen. Allerdings mangelte es aufgrund des rasanten Wachstums an vielem, etwa an Taxis, Straßen, Wohnungen und medizinischer Versorgung. „Wenn ich zum Zahnarzt möchte, muss ich nach Thailand“, sagte Azevedo. Einmal ging der Stadt beinahe das Münzgeld aus. Die Spielkasinos hatten den Rhythmus von Leben und Arbeit auf eine neue Weise geordnet, die nicht überall auf Begeisterung stieß. Die Schüler von Au Kam San, einem als Oberschullehrer tätigen Abgeordneten im Parlament von Macao, ließen ihn wissen: „Wir können Arbeit in einem Spielsalon finden und mehr verdienen als Sie.“
    Eine kurze Autofahrt von der Fähre entfernt lag eine aus zwei Hotels bestehende Anlage, die dem Las-Vegas-Magnaten Steve Wynn gehörte; der dortige Louis-Vuitton-Store verkaufte pro Quadratmeter angeblich mehr als jeder andere Laden der Firma auf der Welt. Während ich vom PR-Mitarbeiter des Kasinos herumgeführt wurde und wir an einem Aquarium mit fluoreszierenden Quallen vorbeigingen, das mit einem speziell angefertigten Vorhang ausgestattet war, damit die Tiere nachts schlafen konnten, klärte er mich darüber auf, dass chinesische Gäste besonders viel Luxus erwarteten, weil es sich bei „jedem um einen Präsidenten oder Vorsitzenden handelt“. Wir machten im neuesten, mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant des Hauses halt, das sogar über einen Dichter verfügte, der jedem VIP-Gast eigens komponierte Zeilen widmete. Ich erkundigte mich bei der Kellnerin, warum neben jedem Tisch ein winziger weißer Lederschemel stand, und sie antwortete: „Der ist für Ihre Handtasche.“
    Noch vor einer Generation hatten Familien ihre Erbstücke im Garten vergraben, um nicht Opfer politischer Verfolgung zu werden. Im Jahr 2012 war China als weltweit größter Abnehmer von Luxusartikeln an den USA vorbeigezogen. Obwohl die Chinesen den entbehrungsreichen Zeiten nicht hinterhertrauerten, fragten sie sich doch, wie sich der unbeirrbare Gewinntrieb wohl auf sie auswirken mochte. Folgender Witz machte die Runde: Ein Mann wird an einer Pekinger Straßenecke von einem Sportwagen gestreift und verliert einen Arm. Er starrt voller Entsetzen auf die Wunde und ruft: „Meine Uhr!“
    […]

    (Aus: Evan Osnos, Große Ambitionen – Chinas grenzenloser Traum)

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    #8674945  | PERMALINK

    hal-croves
    אור

    Registriert seit: 05.09.2012

    Beiträge: 4,617

    […]
    Im Jahr 2007, als die Glückssträhne Siu Yun Pings in Macao gerade begann, wies der chinesische Wissenschaftler Minxin Pei darauf hin, dass in fast der Hälfte aller chinesischen Provinzen der Leiter des Verkehrswesens im Gefängnis saß. Pei rechnete aus, dass China durch Korruption jährlich drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts einbüßte – mehr als im Staatshaushalt für den Bildungssektor vorgesehen war.
    Dass Macao so erfolgreich Kriminelle anzog, brachte den chinesischen Staat in eine Zwickmühle: Wie lange sollte das Ganze noch so weitergehen? Und in welchem Umfang? Die Regierung hätte Macaos Wachstum gleichsam per Erlass zum Erliegen bringen können – man benötigte eine besondere Erlaubnis, um auf der Halbinsel einreisen zu dürfen, und der chinesische Staat regulierte den Besucherstrom nach Gutdünken. Doch ein hartes Durchgreifen hätte eine Vielzahl politischer Folgen gehabt. […] Auf einem Flug von Macao nach Peking saß ich neben einem ehemaligen Militär, der inzwischen einige Immobilien und ein paar Fabriken besaß. Er erzählte mir, er besuche Macao einmal im Monat, „um Dampf abzulassen“. Anschließend verbrachte er den Großteil des Fluges damit, seine neueste Anschaffung zu bewundern: ein Mobiltelefon von Vertu im Wert von zwölftausend Dollar, ausgestattet mit einer Hülle aus Krokodilleder und einer Taste, mit der sich rund um die Uhr ein Butler erreichen ließ.
    Im Augenblick sahen also weder die Oberen vor Ort noch ihre Brüder in Peking einen Grund, irgendetwas zu ändern. Als ich mich mit Manuel Joaquim das Nevas in Verbindung setzte, dem Leiter der für die Spielkasinos in Macao zuständigen Aufsichtsbehörde, erklärte dieser: „Macao ist eben nicht Las Vegas.“ Es dauerte eine Weile, bis mir dämmerte, dass er Las Vegas doch tatsächlich als Beispiel für Prüderie anführte. „Macao konnte bislang allein im Bereich der Glücksspielindustrie ausländische Investitionen im Wert von mehr als zwanzig Milliarden Dollar anziehen“, fuhr er fort. „Kurzum: Dem öffentlichen Interesse wurden sehr gute Dienste getan.“ Diese Einschätzung stimmte mit der Art und Weise überein, in der die Partei von ihren Erfolgen in China sprach: „Entwicklung ist die einzige harte Wahrheit“, hatte Deng gesagt, und viele hielten diese Sichtweise für korrekt.
    […]

    (Aus: Evan Osnos, Große Ambitionen – Chinas grenzenloser Traum)

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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    genosse-schulz

    Registriert seit: 06.01.2009

    Beiträge: 5,321

    Hal Croves[…]China[…]

    Warum nicht.

    John A. Hobson, „Der Imperialismus“, 1902

    „Wir haben die Möglichkeit angedeutet, daß eine noch größere Allianz westlicher Staaten, eine Förderation der europäischen Großmächte entstehen könnte. Weit entfernt, die Sache der Weltzivilisation zu fördern, könnte sie im Gegenteil die gigantische Gefahr eines westlichen Parasitismus heraufbeschwören. Die Oberschichten einer Gruppe fortgeschrittener Industrienationen würden aus Asien und Afrika ungeheure Tribute beziehen. Mit ihrer Hilfe würden sie große Massen zahmer Gefolgsleute unterhalten, die nicht mehr in den Haupterwerbszweigen der Landwirtschaft und der Industrie beschäftigt wären, sondern in kleineren Gewerben und persönlichen Dienstleistungen unter der Leitung einer neuen Finanzaristokratie.

    Wer eine solche Theorie als nicht erwägenswert abweist, möge die ökonomischen und sozialen Zustände in bestimmten Bezirken Südenglands untersuchen, die bereits heute auf dieses Niveau herabgesunken sind. Er möge bedenken, wie ungeheuer dieses System ausgedehnt werden könnte, durch die Unterwerfung Chinas unter die ökonomische Herrschaft ähnlicher Gruppen von Finanziers, Investoren sowie politischen und wirtschaftlichen Beamten, die das größte potienzielle Reservoir von Profit, das die Welt je gekannt hat, ableiten würde, um die Gewinne in Europa zu konsumieren.

    Die Lage ist viel zu komplex, das Spiel der Weltkräfte viel zu unberechenbar, als daß diese oder eine andere Einzeldeutung der Zukunft viel Wahrscheinlichkeit für sich hätte. Doch die den Imperialismus Westeuropas lenkenden Impulse gehen in diese Richtung und treiben einem solchen Ziel zu, sofern sie nicht aufgehalten oder abgelenkt werden.“

    Kiepenheuer & Witsch, 1970, S. 304 (s.a. Lenin, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, Kap. VIII)

    --

    I hunt alone
    #8674949  | PERMALINK

    genosse-schulz

    Registriert seit: 06.01.2009

    Beiträge: 5,321

    Weiter:

    „Wer die schnelle Entwicklung Chinas mit Gleichmut betrachtet, weil er die allgemeine Überzeugung teilt, das die Freisetzung so starker Produktionskräfte durch die normalen Kanäle des Handelsverkehrs den westlichen Völkern zugute kommen müsse, mißversteht vollkommen, worum es hier geht.

    Um den Zuwachs an Weltreichtum, der aus der Entwicklung Chinas resultiert, friedlich und gerecht an die gesamte Industriewelt zu verteilen, wäre eine siegreiche Bewegung für Wirtschaftsdemokratie in den westlichen Staaten notwendig, also nicht nur eine gesteigerte Produktivität ihrer nationalen Hilfsquellen, sondern auch ein stetiger Anstieg des Konsumtionsstandards ihrer Bevölkerung. Unter solchen Bedingungen würden die normalen Prozesse des Warenaustauschs im Weltmaßstab gefördert, und die Völker könnten einen legitimen Anteil an der Prosperität Chinas erhalten.

    Aber die wirtschaftliche Raison d’être des Imperialismus bei der Erschließung Chinas ist, wie wir sehen, etwas ganz anderes als die Aufrechterhaltung eines normalen Handels. Sie besteht darin, einen gigantischen neuen Markt für westliche Investoren zu eröffnen, und die Profite aus diesem Markt werden Gewinne einer investierenden Schicht sein und nicht Gewinne ganzer Völker. Die normalen, gesunden Prozesse der Assimilierung eines vermehrten Weltwohlstands durch die Völker werden von der Natur dieses Imperialismus gehemmt; besteht doch sein Wesen darin, Märkte für Investitionen zu erschließen, nicht Märkte für den Handel, und benutzt er doch die höheren Ersparnisse einer billigen Auslandsproduktion, um die Industrien des eigenen Landes überflüssig zu machen und die politische und wirtschaftliche Vormacht einer Klasse aufrechtzuerhalten.“

    ebda, S. 270

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    genosse-schulz

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    „Der zusätzliche Reichtum, den dieser neue Industrialismus brächte, würde entweder als wirtschaftlicher Tribut nach Westen abfließen oder einer neuen mächtigen Kapitalistenklasse in China selbst zufallen, die sich, dem westlichem Beispiel folgend, mit der imperialistischen Politik verbünden würde, um ihre „wohlerworbenen“ Interessen zu schützen. Kapitalismus, zentralisierte Regierung, Militarismus, Schutzzollsystem und eine ganze Kette von behördlichen Regulierungen, um die neue Ordnung gegen den Aufstand alter konservativer, traditioneller Kräfte abzusichern – das wäre das unvermeidliche Ergebnis.

    Der größere Teil Westeuropas könnte dann ein Bild bieten, wie heute schon gewisse Gegenden in Südengland, die Riviera, die Fremdenverkehrszentren und vornehmen Wohnbezirke Italiens und der Schweiz – kleine Kolonien wohlhabender Aristokraten, die aus dem Fernen Osten Dividenden und Pensionen beziehen, dazu eine etwas zahlreichere Gruppe von Akademikern und Kaufleuten sowie ein starker Anhang von persönlich Bediensteten und Arbeitern im Transportgewerbe und in den Branchen, die mit der Endproduktion leicht verderblicher Güter beschäftigt sind. Alle Hauptindustrien werden hier verschwunden sein, da die wichtigsten Lebensmittel und Industriewaren als Tribute aus Asien und Afrika herbeifließen.“

    ebda, S. 274; 267

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    "Edle, freie Unbefangenheit bei Allem. ... Alle übrigen Vollkommenheiten sind der Schmuck unsrer Natur; sie aber ist der der Vollkommenheiten selbst. ... Sie ist mehr als Leichtigkeit, sie geht bis zur Kühnheit: sie setzt Ungezwungenheit voraus und fügt Vollkommenheit hinzu. Ohne sie ist alle Schönheit todt, alle Grazie ungeschickt: sie ist überschwenglich, geht über Tapferkeit, über Klugheit, über Vorsicht, ja über Majestät." (Baltasar Gracián) =>mehr<=
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