Josephine Foster

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    udw
    so little gets done

    Registriert seit: 22.06.2005

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    Eigentlich wollte ich gar keinen neuen Thread eröffnen, sondern nur einen Artikel von Detlef Diederichsen über Josphine Foster posten, habe allerdings keine passende Stelle gefunden. Und ein eigener Thread für die Dame mit der wunderlichen Stimme und den oft spartanischen (und nun immer öfter spanischen) Folksongs tut ja auch mal Not.
    Mir persönlich sagt die Richtung der letzten drei Alben nicht mehr ganz so sehr zu. Für mich ist Foster dann am stärksten, wenn sie grenzwandelt, sich auch mal verhebt, das amateurhafte und das professionelle gleichzeitig aufblitzen. Ihr schönstes Album und wohl auch ein guter Einstieg ist „Graphic As a Star“ auf Fire Records; 27 Kleinode nach den Gedichten von Emily Dickenson, eine knappe dreiviertel Stunde lang.
    Nun aber der Artikel aus der taz:

    @Detlef Diederichsen 2845898 wrote:

    Belcanto und Mörderballaden

    Ups, da ist sie schon wieder! Wer dachte, dass es sich Josephine Foster nach zwei sehr schönen Alben mit klassischen spanischen Liedern in diesem Terrain gemütlich macht, wird verblüfft sein, dass die Amerikanerin gerade mal drei Monate nach der Veröffentlichung von „Perlas“ doch wieder ganz woanders ist.

    Genauer gesagt: Sie ist dort, wo man sie zuletzt sah, bevor sie sich in ihre Spanien-Recherche verabschiedete – in ihrer ganz eigenen Folk-Parallelwelt, in der Belcanto und Noise, alte Mörderballaden und New Yorker Minimalismus friedlich miteinander koexistieren.

    In den offiziellen Beschreibungen zu diesem neuen Album wird erzählt, Foster sei diesmal in die Haut eines „Heteronyms“, eines Alter Egos namens „Blushing“ geschlüpft und hätte das Album aus ihrer Sicht komponiert. Aber wozu dieser Umweg? Die Musik klingt vor allem nach Josephine Foster. Was nicht zuletzt an ihrem Gesang liegt. Nicht nur regelmäßigen Betrachtern von Casting Shows muss diese Stimme fremdartig vorkommen: Wieso singt die so? Wer ist die überhaupt? Wo kommt das her?

    Josephine Foster hat eine große, klassisch geschulte Stimme und wirft sich voll hinein in die Möglichkeiten ihres Soprans. Sie unterwirft sich jedoch keinerlei stilgetriebenen Regelkatalogen, sie lässt ihre Stimme an der langen Leine – und das kann auch schon mal abenteuerlich klingen. Ihre prägenden Gesangserlebnisse seien klassische Stimmen gewesen, Opernsängerinnen, sagte sie kürzlich einem Interviewer. Sie wolle nicht klingen wie eine dünne Nudel, wie ein kleines Mädchen.

    Dennoch singt sie nicht Oper oder anderes klassisches Repertoire, sondern eigene Lieder, die wie Folksongs klingen. Und eigentlich klingt ihre Stimme auch meistens weniger nach Verdi, als nach Appalachen, nach US-Folk-Ursuppe, in der ja auch einige beeindruckende Vokalartisten herumschwammen, wie man spätestens seit Harry Smith’ „Anthology of American Folk Music“ weiß. Letztlich ist Josephine Foster unendlich viel näher an der Carter Family, wie sie dort dokumentiert ist, als an Anna Netrebko.
    In der Ursuppe des Folk

    Ähnlich offen wie bei Harry Smith ist auch ihr Folk-Verständnis. Allerdings sind seit dessen Pionierarbeit über 50 Jahre vergangen und man möchte Foster recht geben, wenn sie den Klang der frühen Velvet Underground mittlerweile in dieses Kontinuum mit einschließt.

    1966 liegt heute länger zurück als das Aufnahmedatum der meisten Songs, die Smith für seine Anthologie einsammelte, zu dem Zeitpunkt als er sie veröffentlichte. Die Verbindung aus Lou Reeds Gitarrenfreakouts, der gegen den Strich gekratzten Viola John Cales und dem neoprimitiven Getrommel Maureen Tuckers ist heute genauso sehr Teil des kollektiven musikalischen Unbewussten wie der Blues oder der Blue Yodel. Ein Song wie „Geyser“, der sich ziemlich explizit bei den Velvet Underground der ersten Jahre bedankt, passt sich in den Albumablauf ziemlich problemlos ein – und das, obwohl die Titel davor und danach eher dem romantischen Fach zuzurechnen sind.

    Hier entstehen auch produktive Missverständnisse: Das „Mexican Skin Drum“, das Ben Trimble zu fast allen Songs beisteuert, klingt hier wie der Versuch, den Maureen-Tucker-Sound nachzustellen. In anderen Songs klingt es tribal, rootsy – eben Folk-Genre-Gepflogenheiten entsprechend. Es gibt daneben eine ganze Reihe Songs, die eine gewisse eigentümliche Naivität ausstrahlen: die Naivität des Stadtmädchens, das zum ersten Mal auf einem Bauernhof ist, oder auch des Landmädchens, das zum ersten Mal die Großstadt erobern möchte.

    Grenzenloses Staunen, große Begeisterung, die anstecken mag, auch diejenigen, die längst wissen, dass hinter den Kulissen stumpfe Arbeit, Depression und Tragödien lauern. Zyniker steigen an dieser Stelle aus. Es ist das, was die Musik von Josephine Foster so interessant macht: Ja, es ist Folk. Aber es ist eine Folk-Definition, die ungefähr so eigen und revolutionär ist wie die der Incredible String Band 1967. Sie ist auf sympathische Weise verunsichernd, denn sie zeigt, dass schon wieder Zeit vergangen ist, dass sich die Erde weitergedreht hat und dass man auf das verklärend zurückblickt, das einen eben noch als das frischeste neueste sexy Ding verrückt gemacht hat.

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    so little is fun
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