Enjoy Jazz 2009

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  • #66055  | PERMALINK

    nail75

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    Ich werde hier einige Berichte vom diesjährigen Enjoy Jazz-Festival posten. Den Anfang macht das sensationelle Konzert von Anouar Brahem, bei dem ich die Freude hatte, lotterlotta kennenzulernen:

    Auf dem Weg in die Unsterblichkeit
    Enjoy Jazz: Anouar Brahem live in der Aula der Universität Mannheim
    http://www.regioactive.de/story/9201/enjoy_jazz_anouar_brahem_live_in_der_aula_der_universitaet_mannheim.html

    Modernität und Tradition – das sind die beiden Eckpfeiler von Anouar Brahems Werk. Der in Tunis geborene und lebende Musiker schafft im Spannungsfeld von traditioneller arabischer Musik, Jazz und Folkore Klangräume von einzigartiger Ausdrucksstärke.

    Die Verbindung aus Musikstilen und Instrumenten verschiedener Kulturräume offenbart sich bereits in der Zusammensetzung von Brahems Quartett: Brahem spielt den Oud, eine arabische Kurzhalslaute, der Libanese Khaled Yassine hauptsächlich die Darbouka, eine arabische Trommel sowie das Bendir. Der Deutsche Klaus Gesing an der Bassklarinette und der schwedische Bassist Björn Meyer verkörpern hingegen das europäische Element. Zusammen haben die vier Musiker das kürzlich erschienene Album The Astounding Eyes Of Rita aufgenommen, in dem Brahem den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch würdigt. Wenn man jedoch nicht wüsste, woher die Musiker stammen, niemand könnte es allein aufgrund der Musik erraten. Der Stil von Brahems Quartett ist auf so unvergleichliche Weise vollendet, dass er sich jeder Kategorisierung, ja sogar der Beschreibung entzieht. Das Zusammenspiel der Klangfarben ist perfekt, die Musik fließt ineinander und verschmilzt zu einem symbiotischen Ganzen, das aus der Harmonie der beteiligten Musiker lebt und der Hervorhebung einzelner Elemente nicht bedarf.

    Brahems Musik ist einfach, sie entfaltet eine bestechende hypnotische Qualität, entführt den Zuhörer in ihre Welt. Um das zu erreichen, bedient sich Brahem subtilster Methoden: Mit kleinen und kleinsten Veränderungen des Tempos oder der Dynamik baut er Spannung auf und löst sie wieder. Der Einfluss dieser Variationen auf die Stimmung der Musik ist gewaltig, sie erzeugen eine rätselhafte und faszinierende emotionale Resonanz. Dazu trägt auch der leise, sanfte Gesang Brahems bei, den er bei manchen Stücken anstimmt. Es handelt sich um ein wortloses Summen, das auf seinen Alben nicht vorkommt, aber im Konzert zur Entstehung einer meditativen Atmosphäre beiträgt.

    Man sollte nicht den Fehler machen, aus dem oben geschriebenen zu schließen, bei Brahems Musik handle es sich um eine gehobene Form des Easy Listening. Die Musik enthält zuviel Spannung, zu viele feine Strukturen, zu viel Charakter und zu viel Leidenschaft, um sich diesen Makel anhaften lassen zu müssen. Im Grunde handelt es sich bei Brahems Musik um die Antithese zum ekstatischen amerikanischen Freejazz, nämlich um die Meditation, um das Versinken in die tiefste Struktur der Musik, die der Erschaffung musikalischer Räume aus unterschiedlichen Elementen dient.

    Nach dem Ende des eineinhalbstündigen Konzerts in der fast ausverkauften Aula der Universität Mannheim erheben sich die Zuschauer von den Sitzen und applaudieren den Musikern, die ihnen dieses grandiose Erlebnis beschert haben. Wer wie Anouar Brahem mühelos kulturelle Grenzen überschreitet und verschiedene Musiktraditionen so harmonisch miteinander verschmilzt, darf den Anspruch erheben, zu den ganz großen Musikern und Komponisten der Gegenwart zu zählen.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
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    #7350279  | PERMALINK

    nail75

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    #7350281  | PERMALINK

    lotterlotta
    Schaffnerlos

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    Beiträge: 5,096

    nail75
    Auf dem Weg in die Unsterblichkeit

    dem ist nichts hinzu zu fügen! grandios.

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    Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!  
    #7350283  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 44,695

    Ralph Towner und Paolo Fresu live im Rittersaal des Schlosses Mannheim

    http://www.regioactive.de/story/9202/ralph_towner_und_paolo_fresu_live_im_rittersaal_des_schlosses_mannheim.html

    Ralph Towner ist seit vielen Jahren eine der festen Größen im internationalen Jazz. Im Rahmen des ECM Festivals bei „Enjoy Jazz“ trat er zusammen mit Paolo Fresu wahrlich königlich auf: Schauplatz war der Rittersaal des Mannheimer Schlosses.

    Der 1940 in Chehalis im US-Bundesstaat Washington geborene Gitarrist erlangte zunächst als Mitglied der Gruppe Oregon (mit Collin Walcott †1984, Paul McCandless und Glenn Moore) Berühmtheit, bevor Ralph Towner auch als Solokünstler für das ECM-Label in Erscheinung trat. Bereits 1972 nahm er das Album Trios/Solos für das Münchner Label auf (ECM 1025) und blieb ihm bis heute verbunden. Anfang November erscheint das Album Chiaroscuro, das er gemeinsam mit dem italienischen Trompeter Paolo Fresu eingespielt hat.

    Ralph Towner und Paolo Fresu traten am Sonntag kurz nach Mitternacht im Rittersaal des Mannheimer Schlosses auf. Towner überzeugte mit seinem anscheinend grenzenlosen Einfallsreichtum. Sein Spiel ist stets ausdruckstark, folgt einer überzeugenden inneren Logik und wirkt daher nie langweilig. Seine Gitarrenläufe sind voller Präzision und Stilsicherheit und wie Anouar Brahem besitzt er die Fähigkeit, kleine Variationen zur Erzeugung von Spannung zu benutzen. Paolo Fresu harmoniert mit Towner auf ganz vorzügliche Weise. Abwechselnd gefühlvoll und ekstatisch nutzt er die Freiräume, die ihm Towners Gitarrenspiel lässt und verleiht der Musik dadurch eine zusätzliche Klangdimension. Wenn – und davon ist auszugehen – die Zusammenarbeit auf dem neuen Album ebenfalls so gelungen ist wie dieses Konzert, dann wird es einen würdigen Platz in Towners beeindruckender Diskographie erhalten.

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #7350285  | PERMALINK

    nail75

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    Zwei alte Tanten tanzen Tango
    Dino Saluzzi & Anja Lechner live im Rittersaal Schloss Mannheim

    http://www.regioactive.de/story/9210/dino_saluzzi_anja_lechner_live_im_rittersaal_schloss_mannheim.html

    Dino Saluzzi und Anja Lechner versuchen sich bei einem Konzert im Rittersaal des Mannheimer Schlosses an der Umsetzung von Motiven des Tangos und scheitern an mangelnder Leidenschaft.

    Manchmal sind die Kontroversen über ein Konzert interessanter als das Konzert selbst. Im hintersinnigen Beiheft zum Konzert des Bandoneon-Spielers Dino Saluzzi und der Cellistin Anja Lechner schreibt Hans-Jürgen Linke von der Frankfurter Rundschau: „Anja Lechner und Dino Saluzzi spielen gar keinen Tango. Sie spielen Musik, Kammermusik vielleicht.“ In der Tat hat ihre Musik mit Tango nur wenig zu tun, obwohl Saluzzi nicht nur aus dessen Heimatland stammt, sondern häufig auf die Motive des Tangos zurückgreift, dem ja auch sein Instrument, das Bandoneon, untrennbar verbunden ist. Aber Kammermusik? Nein, Kammermusik erwarte die Zuhörer nicht, wird offiziell in den einleitenden Worten verkündet! Ja, was denn nun? Leider fällt die Antwort auf die Frage viel weniger interessant aus, als man zu hoffen Anlass hatte. Die Musik von Dino Saluzzi und Anja Lechner ist meistens bleiern schwer, getragen und langatmig. Es fehlen eingängige Momente, an die man sich später zurückerinnern könnte und vor allem fehlt die Leichtigkeit, das Lebendige, das Leidenschaftliche. Gegen „impressionistische“ Musik, die aus Motiven und Stimmungen lebt, ist prinzipiell nichts einzuwenden, wenn allerdings die Stimmung nie variiert wird, dann offenbaren sich die Limitierungen der beteiligten Musiker in besonders deutlicher Form.

    Saluzzis Problem ist seine mangelnde Ausdruckskraft. Er spielt vornehmlich kurze Motive auf seinem Bandoneon, die sich unspektakulär im Saal verlieren. Die dynamischen Möglichkeiten des Instruments bleiben weitgehend ungenutzt, auch das Tempo erfährt keine größeren Veränderungen. Stattdessen plätschert die Musik in immergleichen Mustern vor sich hin, ohne den Zuhörern Halt oder Orientierung zu bieten. Präsenz, Charakter und Individualität werden sträflich vernachlässigt, hier gibt es nichts, das festhält, fasziniert und zu näherer Beschäftigung anregt. Anja Lechner ist vermutlich die interessantere Künstlerin, aber in diesem Kontext kann sie auch nichts bewirken, da Saluzzi ihr wie ein Felsbrocken am Fuß hängt.

    Man müsste wohl ein musikalischer Archäologe sein, um aus den zusammenhanglosen Fragmenten, die Saluzzi spielt, irgendein Kunstwerk zusammenzusetzen. Das war nicht immer so. Auch wenn ein Album wie Once Upon A Time In The South kein Meisterwerk darstellt, es enthält immer noch hundert Mal mehr Abwechslung als das Konzert am vergangenen Samstag. Das Getragene war schon immer in Saluzzis Musik präsent, aber das Sehnsuchtsvolle überlagert inzwischen alles und verliert sich doch in einzelnen unergründlichen Seufzern.

    Was Anja Lechner eigentlich musikalisch mit Saluzzi verbindet, bleibt unklar. Vielleicht handelt es sich, wie Linke meint, um die Ernsthaftigkeit. Schon allein das wäre keine gute Basis, um Elemente des Tangos zu verarbeiten. Saluzzis eklatanter Mangel an Leidenschaft erschwert es noch zusätzlich, die Leidenschaftlichkeit des Tangos überzeugend umzusetzen. Und Tango ohne Leidenschaft funktioniert nicht. Möglicherweise liegt dem ganzen Auftritt aber auch ein Konzept zu Grunde, das ich schlicht nicht verstanden habe. Bis es mir jemand erklärt, kann ich mit den Worten von Georg Kreisler zusammenfassen: „Zwei alte Tanten tanzen Tango mitten in der Nacht. Warum auch nicht, sie hätten sonst die Nacht nur schlaflos zugebracht.“

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    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
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