Walter Kempowski

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  • #7324663  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    linn… und eine weitere Empfehlung aus der Kempowski-Edition: WK hat sich seinerzeit für die Übersetzung der Aufzeichnungen eines amerikanischen B17-Mechanikers und Bordschützen stark gemacht. Dieses Buch, „Die Feuerreiter“ von R.T. Matheny, ist faszinierendes Plankton im XL-Format und sei jedem ans Herz gelegt, der sich vom Echolot hat einfangen lassen. Der Autor kann zwar nicht schreiben, aber was und wie er erzählt, ist von einer ungeheuren Authentizität und manche Details machen einen ziemlich sprachlos.

    So schlecht scheint er ja dann doch nicht schreiben zu können. ;-) Das Buch war wohl in Deutschland ein Flop und ist nur noch antiquarisch erhältlich. Die eine und einzige Rezension, die ich finden konnte, ist ebenfalls voll des Lobes.

    Mich interessieren auch mögliche Vorbilder von Kempo. Sein lakonischer Collagenstil ist ja nicht so einfach vom Himmel gefallen.

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    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
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    #7324665  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Ich wollte noch etwas ausführlicher über Walter Kempowkis Im Block schreiben.

    Der 19-jährige Walter Kempowski wird im März 1948 in Rostock plötzlich unter dem Vorwurf der Spionage von den Russen verhaftet. Isolation, Verhöre, Hunger, Prügel, Verurteilung zu 25 Haft in Bautzen. Dort wird er mit 400 weiteren Häftlingen, die nichts anderes gemein haben, als dass sie in irgendeiner Weise mit den Sowjets oder der DDR-Obrigkeit in Konflikt geraten sind, Tag und Nacht in einem Saal eingesperrt: Kleine Kriegsverbrecher, Schmuggler, welche, die beim illegalen Grenzübertritt erwischt wurden, tatsächliche oder vermeintliche Spione, abtrünnige Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Oppositionelle und später auch Aufständische des 17. Juni. Professoren treffen auf Schuster, Rentner auf Gymnasiasten, Intellektuelle auf Kriminelle, ehemalige KZ-Häftlinge auf ihre damaligen Aufseher. Keine Arbeit oder sonstige Beschäftigung, kein Kontakt nach draußen. Bis auf die Willkür der Aufseher sind sie sich selbst überlassen. Es bildet sich eine Parallelgesellschaft im Kleinen, die ihre eigenen Hierarchien, Beziehungsgeflechte und Gewohnheiten entwickelt.

    Im Block schildert Kempowski seine Beobachtungen aus der Haft in kurzen, manchmal nur dreizeiligen, durch Leerzeilen voneinander getrennten Absätzen in lakonischem, fast teilnahmslos wirkendem Ton: Seine Zelle, die dünne Suppe, das tägliche Ausleeren des „Kübels“, Hungerhalluzinationen von Leberwurstbroten, endlose Gedankenschlaufen um die immer gleichen Themen, die immer wieder aufkeimende Hoffnung auf Amnestie, selbstgemachte Schachfiguren aus Brot oder Seife, Tauschhandel Socken gegen Schmalz, ein blutig niedergeschlagener Gefangenenaufstand, Selbstmordversuche, Todesfälle, Schrullen von Mitgefangenen, die sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählen, homoerotische Anwandlungen (man hält sich eine „Mieze“), nach Übernahme des Zuchthauses durch die DDR-Vopo Hafterleichterungen wie Briefeschreiben, Empfang von Paketen und Besuch und die Gründung eines Gefangenenchores. Nach 8 Jahren 1956 vorzeitige Haftentlassung.

    Ganze menschliche Schicksale werden wie nebenbei in nur ein paar Zeilen abgehandelt, während unmittelbar darauf der Inhalt eines Pakets von draußen bis ins Detail beschrieben wird. Auf Tragisches folgen lustige Anekdoten, auf lächerliche Trivialitäten haarsträubende menschliche Abgründe. Dazwischen: Weiße Flächen. Eine Collage aus Erinnerungsfetzen, die sich erst im Kopf des Lesers zu einem größeren Bild zusammenfügen. Kempowski stellt keine Zusammenhänge her, erklärt nicht, bewertet nicht. Keine Anklage, kein Fazit, nichts. Was davon zu halten ist, bleibt dem Leser selbst überlassen.

    Kempowski lässt mit dieser Montagetechnik verschiedene Lesarten zu. Zwar gibt es einen zentralen Handlungsstrang. Dieser setzt sich aber aus einer Vielzahl von Fragmenten zusammen, die sich in Gedanken weiterspinnen und auf verschiedene Art miteinander in Zusammenhang bringen lassen. Im Block lässt sich als eine Art Tagebuch lesen, als ein Stück Zeitgeschichte, als eine Anklage der Sowjet- und DDR-Justiz, man kann das Buch auch als eine Verhaltensstudie von Strafgefangenen in einer Parallelgesellschaft lesen oder als die Beschreibung einer grotesken und absurden Situation nach einem gewaltsamen politischen Umsturz, der alle scheinbar existentiellen Gewissheiten wie den eigenen sozialen Status und jegliches Rechtsempfinden komplett über den Haufen wirft.

    Auch der Untertitel von Im Block ist an Lakonie kaum zu überbieten: Ein Haftbericht. Genau das ist es, aber darin verbirgt sich auch noch ganz was anderes.

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    #7324667  | PERMALINK

    nes

    Registriert seit: 14.09.2004

    Beiträge: 61,725

    Ich kann gar nicht sagen, wie mich diese, neue Threadausderversenkung holen freut.
    Ich küsse schon jetzt jede Zeile und freue mich.

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    #7324669  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 4,873

    NesIch kann gar nicht sagen, wie mich diese, neue Threadausderversenkung holen freut.
    Ich küsse schon jetzt jede Zeile und freue mich.

    Wir müssen uns zwar nicht gleich gegenseitig um den Hals fallen, aber natürlich ist es schön, dass Du Dich über diesen Thread so freust. ;-)

    Ich habe oben nur einiges aufgeschrieben, was mir zu Im Block so durch den Kopf geht. Wäre schön, hier auch Eindrücke von anderen zu lesen.

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