Graphic Novels

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  • #6453599  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

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    MikkoIch habe mir „Gleisdreieck“ nun auch endlich besorgt.
    […]

    Ich mittlerweile auch.

    Die Story ist ok, liest sich realistisch, hat einen schönen Touch von Beiläufigkeit, wenn nach dramatischen Ereignissen wieder das Poker-Face des Verfassungsschutz-Agenten gezeigt wird und nicht das Drama drumherum. Allerdings kommen einem die Charaktere auch nicht wirklich näher, dafür wird sich zu wenig auf sie konzentriert.
    Die Zeichnungen sind ok, die Figuren manchmal etwas zu schlecht auseinanderzuhalten. Was wirklich wirkt, sind die Bilder vom 80er Jahre West-Berlin, diese merkwürdige Altertümlichkeit, ohne die Bau-Booms der 60er und 70er Jahre wie in West-Deutschland (ein bisschen wie eine DDR mit Geld), Insel und Blase, Abenteuerspielplatz und partielles Ruinenfeld. Das funktioniert auch für mich, der ich nie dort gelebt habe und nur gelegentlich zu Besuch war, aber die Stadt unwahrscheinlich gern mag. Von daher: guter Comic.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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      #6453601  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      lathoIch mittlerweile auch.

      Die Story ist ok, liest sich realistisch, hat einen schönen Touch von Beiläufigkeit, wenn nach dramatischen Ereignissen wieder das Poker-Face des Verfassungsschutz-Agenten gezeigt wird und nicht das Drama drumherum. Allerdings kommen einem die Charaktere auch nicht wirklich näher, dafür wird sich zu wenig auf sie konzentriert.
      Die Zeichnungen sind ok, die Figuren manchmal etwas zu schlecht auseinanderzuhalten. Was wirklich wirkt, sind die Bilder vom 80er Jahre West-Berlin, diese merkwürdige Altertümlichkeit, ohne die Bau-Booms der 60er und 70er Jahre wie in West-Deutschland (ein bisschen wie eine DDR mit Geld), Insel und Blase, Abenteuerspielplatz und partielles Ruinenfeld. Das funktioniert auch für mich, der ich nie dort gelebt habe und nur gelegentlich zu Besuch war, aber die Stadt unwahrscheinlich gern mag. Von daher: guter Comic.

      Sehe ich ähnlich.

      Die Hauptrolle in Gleisdreieck spielt sicher das Berlin der späten 70er / frühen 80er Jahre. Die Story ist in dieses Milieu hineingewoben und mit Figuren ausgestattet. Die Charaktere bleiben folglich tatsächlich etwas flach. Das habe selbst die Autoren bei der Vorstellung ihres Buches offen bekannt. Die Atmosphäre der Stadt Berlin zu Mauerzeiten, darum geht es, und das ist in meinen Augen sehr gut gelungen.

      Freut mich natürlich, dass Dir Gleisdreieck gefallen hat. Der passende Soundtrack ist ja im Buch aufgeführt. Fehlen eigentlich nur noch Bowies Low und „Heroes“ und Iggys The Idiot und Lust For Life. Und wenn man auch noch einen Song aus NYC verwenden darf Life During Wartime von den Talking Heads, der vom Leben als Terrorist im Untergrund („I got three passports, a couple of visas / I don’t even know my real name“) inspiriert ist.

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      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453603  | PERMALINK

      friedrich

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      Chloé Cruchaudet – Das Falsche Geschlecht (2014)

      Bevor ich dieses Buch nachher verleihe, will ich hier noch ein paar Worte darüber verlieren.

      Nach einer waren Geschichte: Der Franzose Paul Grappe desertiert im 1. Weltkrieg traumatisiert aus dem Schützengraben. Da ihm die Todesstrafe droht, verkleidet er sich als Frau um sich in der Öffentlichkeit bewegen zu können und nimmt sogar eine Arbeit als Näherin an. Er gewinnt mehr und mehr Gefallen an seiner Rolle als Suzanne und entdeckt, dass mit diesem Versteckspiel auch Vorteile verbunden sind. Suzanne ist sowohl bei Männern als auch bei Frauen beliebt und beginnt diese neu gewonnene sexuelle Freiheit auszuleben. Seine Ehefrau Louise ist zunächst davon verstört, lässt sich dann aber selbst mehr und mehr auf dieses Spiel ein. Als 1925 eine Amnestie für Deserteure erfolgt, versucht Suzanne wieder in ihre/seine alte Identität als Paul zurückzukehren. Doch dann kommt es zum blutigen Eklat.

      Ein Buch über Identitäten, freiwillige oder unfreiwillige Geschlechterrollenspiele, Phantasien, Trauma, Sex und Gewalt. Grausam, unheimlich, komisch, erotisch und paradox. Von Chloé Cruchadet mit einfachen schwarz-weiß Zeichnungen und Rot als einziger Akzentfarbe, reduzierten Hintergründen aber in Mimik, Gestik und Körpersprache höchst lebendigen Figuren, deren Gefühle man als Leser förmlich miterlebt, großartig erzählt.

      Ein weiterer Fall von truth ist stranger than fiction.

      Das Falsche Geschlecht beim avant verlag

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      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453605  | PERMALINK

      latho
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      Ja, den hatte ich mir auf französisch gekauft, nachdem er in Angoulême den Publikumspreis bekommen hatte. Und gut beschrieben, Friedrich. Eben keine Transgender-Geschichte, wie das Feuilleton verbreitete (zumindest nicht zu 100%), sondern eine Geschichte über Identitäten. Und den 1. Weltkrieg.

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      #6453607  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      lathoJa, den hatte ich mir auf französisch gekauft, nachdem er in Angoulême den Publikumspreis bekommen hatte. Und gut beschrieben, Friedrich. Eben keine Transgender-Geschichte, wie das Feuilleton verbreitete (zumindest nicht zu 100%), sondern eine Geschichte über Identitäten. Und den 1. Weltkrieg.

      Thx!

      Das Falsche Geschlecht ist etwas unscharf, was das Thema betrifft, finde ich. Aber so ist das Leben, oder? Diese Unschärfe im Comic finde ich sogar besonders reizvoll. Was meint die alte Frau damit, als sie (in der deutschen Ausgabe) am Ende, wo Louise’s Waffel in den Gulli gespült wird, sagt „Was für eine Verschwendung!“? Den Comic als Transgender-Geschichte zu bezeichnen, ist zwar nicht vollkommen falsch, aber es setzt einen Fokus, den es im Comic so nicht gibt. Die Bezeichnung Transgender-Geschichte kommt mir daher klischeehaft und auf unangemessene Weise verkürzend vor und wird dem Comic nicht gerecht. Ja, es geht um Krieg, Gewalt, Trauma, um Identitäten, um die Freiheit aus der eigenen Rolle zu schlüpfen. Und am Ende auch um das Scheitern in der anderen Rolle.

      Es wäre noch eine interessantes Thema, in wieweit die Ausschweifungen der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges eine Gegenreaktion auf die Zwänge des Krieges waren. Aber ich bin kein Psychologe und keine Soziologe. Und außerdem ist das eine andere Baustelle.

      Wie haben Dir die Zeichnungen gefallen?

      --

      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453609  | PERMALINK

      latho
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      FriedrichThx!

      You’re welcome, hat mich ein bisschen gewundert, dass der Comic hier im Forum nicht ausführlicher besprochen wurde.

      Friedrich
      Das Falsche Geschlecht ist etwas unscharf, was das Thema betrifft, finde ich. Aber so ist das Leben, oder? Diese Unschärfe im Comic finde ich sogar besonders reizvoll. Was meint die alte Frau damit, als sie (in der deutschen Ausgabe) am Ende, wo Louise’s Waffel in den Gulli gespült wird, sagt „Was für eine Verschwendung!“? Den Comic als Transgender-Geschichte zu bezeichnen, ist zwar nicht vollkommen falsch, aber es setzt einen Fokus, den es im Comic so nicht gibt. Die Bezeichnung Transgender-Geschichte kommt mir daher klischeehaft und auf unangemessene Weise verkürzend vor und wird dem Comic nicht gerecht. Ja, es geht um Krieg, Gewalt, Trauma, um Identitäten, um die Freiheit aus der eigenen Rolle zu schlüpfen. Und am Ende auch um das Scheitern in der anderen Rolle.

      Ich fand den deutschen Titel auch etwas unglücklich (soll ja vorkommen…). Im Original: Mauvais Genre, also etwa „Schlechte Gesellschaft“, „Gesocks“ (merkwürdigerweise gibt es einen Film, auch mit Transgender-Inhalt, der auch so heißt, keine Ahnung, ob das im Französischen eine Bedeutung hat). Das ist das, was die ältere Frau zu Louise auf der letzten Seite sagt. Also in etwa „die schlechten Leute vom anderen Ende der Gesellschaft“. Dorthin transportiert von Umständen, die der Krieg hervor rief.
      Und ja, „Transgender-Geschichte“ ist verkürzend, es geht in dem Comic auch um andere Themen.

      Friedrich
      Es wäre noch eine interessantes Thema, in wieweit die Ausschweifungen der Nachkriegszeit des 1. Weltkrieges eine Gegenreaktion auf die Zwänge des Krieges waren. Aber ich bin kein Psychologe und keine Soziologe. Und außerdem ist das eine andere Baustelle.

      Der 1. Weltkrieg hat in vielen Ländern (Deutschland mal außen vor) tiefere kulturelle Spuren hinterlassen als der 2. WK – wobei man darüber wohl ausführlich diskutieren kann. Eine, auch für Zeitgenossen deutlich sichtbare Folge war der offen ausgelebte Hedonismus – die „Roaring 20s“. Das Ende des steifen, bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Tanz-Wut, sexuelle Promiskuität, das Ändern, ja Umstürzen der Geschlechterrollen – Frauenemanzipation und – wahlrecht, ein Öffentlichwerden von Homosexualität, Damenimitatoren in den Varietees etc. Auch das dem Comic zugrunde liegende Drama kam ja breit in die Presse.

      Friedrich
      Wie haben Dir die Zeichnungen gefallen?

      Gut, sehr gut sogar. Deutlich von Christophe Blaine beeinflusst, hat mir das Grau mit roten Farbstichen sehr gut gefallen. Cruchaudet kann vor allem gut grafisch erzählen, der Comic liest sich wie Butter.

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      If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
      #6453611  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      lathoYou’re welcome, hat mich ein bisschen gewundert, dass der Comic hier im Forum nicht ausführlicher besprochen wurde.

      Schade eigentlich!

      Ich fand den deutschen Titel auch etwas unglücklich (soll ja vorkommen…). Im Original: Mauvais Genre, also etwa „Schlechte Gesellschaft“, „Gesocks“ (merkwürdigerweise gibt es einen Film, auch mit Transgender-Inhalt, der auch so heißt, keine Ahnung, ob das im Französischen eine Bedeutung hat). Das ist das, was die ältere Frau zu Louise auf der letzten Seite sagt. Also in etwa „die schlechten Leute vom anderen Ende der Gesellschaft“. Dorthin transportiert von Umständen, die der Krieg hervor rief.
      Und ja, „Transgender-Geschichte“ ist verkürzend, es geht in dem Comic auch um andere Themen.

      Das ist sehr interessant, denn der andere Titel gibt dem Buch gleich eine andere Bedeutung. Und auch die Bemerkung der alten Frau am Ende bekommt eine andere Bedeutung. Ich habe nie ganz verstanden, was das in der deutschen Ausgabe für eine Sinn ergeben soll. Für mein Empfinden ist das an dieser Stelle eine sinnverzerrende Übersetzung. Und das völlig ohne Not … Man hätte doch einfach schreiben können: „Was für Gesindel!“ oder so.

      Der 1. Weltkrieg hat in vielen Ländern (Deutschland mal außen vor) tiefere kulturelle Spuren hinterlassen als der 2. WK – wobei man darüber wohl ausführlich diskutieren kann. Eine, auch für Zeitgenossen deutlich sichtbare Folge war der offen ausgelebte Hedonismus – die „Roaring 20s“. Das Ende des steifen, bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Tanz-Wut, sexuelle Promiskuität, das Ändern, ja Umstürzen der Geschlechterrollen – Frauenemanzipation und – wahlrecht, ein Öffentlichwerden von Homosexualität, Damenimitatoren in den Varietees etc.

      Sehr schön und treffend gesagt. Es war ja letztes Jahr anlässlich des 100sten Jahrestages viel über den 1. WK in den Medien und auch wenn wir das Thema in der Schule durchgenommen hatten, wurde für mich jetzt erst erkennbar, wie sehr der 1. WK eine Zeitenwende war, der ganze Gesellschaften komplett auf den Kopf stellte – die teilweise nie wieder auf den eigenen Füßen landeten, was am Ende auch den 2. WK auslöste. Insofern ist das Erleben im 1. WK natürlich ganz wesentlich für die Geschichte von Das Falsche Geschlecht. Paul Erlebnisse im Schützengraben lösen die ganze Geschichte ja überhaupt erst aus, was auch drastisch dargestellt wird.

      Auch das dem Comic zugrunde liegende Drama kam ja breit in die Presse.

      Vielen Dank für den link. Die Wahrheit ist ja noch mal ein ganzes Stück haarsträubender als das Buch. Und – Haha! – auf dem Photo sieht man, wo die Zeichnerin Pauls/Suzannes spitze Nase her hat.

      Gut, sehr gut sogar. Deutlich von Christophe Blaine beeinflusst, hat mir das Grau mit roten Farbstichen sehr gut gefallen. Cruchaudet kann vor allem gut grafisch erzählen, der Comic liest sich wie Butter.

      Schön! Wie gut mir die Zeichnungen gefielen, habe ich ja schon oben geschrieben. Christophe Blaine ist bei mir noch eine Bildungslücke.

      --

      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453613  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      FriedrichSchade eigentlich!

      Ich meinte das auch nicht als Vorwurf ans Forum, mich hat nur gewundert, dass ein in Frankreich recht erfolgreicher Comic hier keine größeren Wellen schlug. Aber gut, Deutschland ist kein Comicland.

      Friedrich
      Das ist sehr interessant, denn der andere Titel gibt dem Buch gleich eine andere Bedeutung. Und auch die Bemerkung der alten Frau am Ende bekommt eine andere Bedeutung. Ich habe nie ganz verstanden, was das in der deutschen Ausgabe für eine Sinn ergeben soll. Für mein Empfinden ist das an dieser Stelle eine sinnverzerrende Übersetzung. Und das völlig ohne Not … Man hätte doch einfach schreiben können: „Was für Gesindel!“ oder so.

      Ich hatte mir die deutsche Ausgabe mal kurz angesehen, als sie herauskam, allerdings nicht die letzte Seite. Ja, ärgerlich, einmal mehr eine ungenügende Übersetzung. Ist egal, ob im TV (bei der Synchro), bei Bücher außerhalb des geheiligten E-Bereichs oder eben Comics: Schluderei, fehlendes Sprachgefühl und keine Korrektur. Einer der Gründe, warum ich mein Französisch wieder aufwärme.

      Friedrich
      Sehr schön und treffend gesagt. Es war ja letztes Jahr anlässlich des 100sten Jahrestages viel über den 1. WK in den Medien und auch wenn wir das Thema in der Schule durchgenommen hatten, wurde für mich jetzt erst erkennbar, wie sehr der 1. WK eine Zeitenwende war, der ganze Gesellschaften komplett auf den Kopf stellte – die teilweise nie wieder auf den eigenen Füßen landeten, was am Ende auch den 2. WK auslöste. Insofern ist das Erleben im 1. WK natürlich ganz wesentlich für die Geschichte von Das Falsche Geschlecht. Paul Erlebnisse im Schützengraben lösen die ganze Geschichte ja überhaupt erst aus, was auch drastisch dargestellt wird.

      Ja, am Ende des 1. WK das Zusammenbrechen einer auf den bürgerlichen Nationalismus aufbauenden Kultur – da werden natürlich auch noch andere Grenzen eingerissen: zwischen Klassen, Ländern und eben auch den Geschlechtern.

      Friedrich
      Vielen Dank für den link. Die Wahrheit ist ja noch mal ein ganzes Stück haarsträubender als das Buch. Und – Haha! – auf dem Photo sieht man, wo die Zeichnerin Pauls/Suzannes spitze Nase her hat.

      Ja, das stimmt. Cruchaudet hat überhaupt das kleinbürgerliche Paris der Zwischenkriegszeit gut eingefangen, wie ich finde, das ist alles sehr atmosphärisch und zieht die Handlung ins Reale, weg von irgendwelchen Tante-Charly-Klamotten, mit der solche Themen sonst eher behandelt wurden.

      Friedrich
      Schön! Wie gut mir die Zeichnungen gefielen, habe ich ja schon oben geschrieben. Christophe Blaine ist bei mir noch eine Bildungslücke.

      Isaac der Pirat und Quai d’Orsay sind sehr gut.

      --

      If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
      #6453615  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      Merci beaucoup!

      lathoIch hatte mir die deutsche Ausgabe mal kurz angesehen, als sie herauskam, allerdings nicht die letzte Seite. Ja, ärgerlich, einmal mehr eine ungenügende Übersetzung. Ist egal, ob im TV (bei der Synchro), bei Bücher außerhalb des geheiligten E-Bereichs oder eben Comics: Schluderei, fehlendes Sprachgefühl und keine Korrektur. Einer der Gründe, warum ich mein Französisch wieder aufwärme.

      Es ist für mich kaum nachvollziehbar, dass Comics in Deutschland immer noch so ein Mauerblümchendasein fristen. Einerseits – andererseits bin ich aber auch froh, dort etwas zu finden was noch nicht so sehr vom kulturellen Mainstream vereinnahmt ist und wo es dadurch immer noch was zu entdecken gibt. Es ist eigenartig: Eine Zeitung wie die FAZ schmückt sich damit, gezeichnete Kommentare von Art Spiegelman abzudrucken und damit auch das Medium Comic zu nobilitieren, schreibt aber auch ignorante und strunzdoofe Sätze wie “Niemand hat so viel für den Comic geleistet wie Art Spiegelman (…) 2012 soll endlich sein Befreiungsjahr werden.“. Au weia! Gleichzeitig kenne ich aber auch viele Leute, die sich zwar für durchaus kultiviert und belesen halten, die aber MAUS nicht kennen. Ich wurde sogar mal gefragt, ob MAUS lustig sei? :krank: Na ja, ein altes Lamento …

      Vermutlich lässt sich mit Comics in Deutschland kaum Geld verdienen und es wird dann auch an der Übersetzung gespart. Quel dommage!

      --

      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453617  | PERMALINK

      tina-toledo
      Moderator

      Registriert seit: 15.06.2005

      Beiträge: 13,392

      Danke Euch beiden für den interessanten Austausch. Ich werde mich mal um die französische Ausgabe bemühen.

      --

      Sir, I'm going to have to ask you to exit the donut!
      #6453619  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      Friedrich[…]
      Es ist für mich kaum nachvollziehbar, dass Comics in Deutschland immer noch so ein Mauerblümchendasein fristen. Einerseits – andererseits bin ich aber auch froh, dort etwas zu finden was noch nicht so sehr vom kulturellen Mainstream vereinnahmt ist und wo es dadurch immer noch was zu entdecken gibt. Es ist eigenartig: Eine Zeitung wie die FAZ schmückt sich damit, gezeichnete Kommentare von Art Spiegelman abzudrucken und damit auch das Medium Comic zu nobilitieren, aber auch ignorante und strunzdoofe Sätze wie “Niemand hat so viel für den Comic geleistet wie Art Spiegelman (…) 2012 soll endlich sein Befreiungsjahr werden.“. Au weia! Gleichzeitig kenne ich aber auch viele Leute, die sich für durchaus kultiviert und belesen halten, die MAUS nicht kennen. Ich wurde sogar mal gefragt, ob MAUS lustig sei? :krank: Na ja, eine alte Litanei …

      Ich lese Platthaus manchmal ganz gerne, muss aber auch nicht mit allem übereinstimmen, was er so schreibt. Er schreibt zu recht, dass Spiegelman nach Maus nicht mehr viel gemacht hat und eine DVD mit hunderten Seiten Making-of muss ich auch nicht haben. candy hat es im Neue-Comics-Thread ja ganz gut beschrieben: man muss auch Comics jenseits von Platthaus und der Dussmann-Theke beachten.
      Der Satz ist natürlich doof und Wasser auf Mikkos Mühlen, der mit Platthaus so gar nichts anfangen kann…

      Friedrich
      Vermutlich lässt sich mit Comics in Deutschland kaum Geld verdienen und es wird dann auch an der Übersetzung gespart. Quel dommage!

      Ja klar, die Übersetzungen wären besser, wenn mehr Zeit und Geld da wäre, keine Frage. Ich bin aber der Meinung, die Übersetzungen könnten auch mit den gegebenen Mitteln besser sein.
      Und ja, in Deutschland und durch aus Deutschland Stammende entstanden zwar die modernen Comics, aber nach den Bilderbüchern zum Ende des 19. Jhds hin ist hierzulande nie viel gewesen. Die Comics/Bildgeschichten hatten immer den Ruch des Kindlichen, Unernsten, das passte nicht zum Wilhelminimus, nicht zu der verkrampften Zwischenkriegszeit, in der es auch in der Kultur immer um alles ging, natürlich nie zum Nationalsozialismus und auch nicht zur nüchtern-verklemmten postfaschistischen Nachkriegszeit. Auch heute, so habe ich das Gefühl, ist Comic nie Selbstzweck, immer Mittel. Viele der deutschen Comics sind von Künstlern, die eigentlich in Malerei und Illustration arbeiten. Das wäre ok, die Golden Age der US-Comics wurde von Illustratoren gefertigt, aber die konnten erzählen. Heute wirkt das oft steif und unbeholfen – so als wäre der Comic nur Werbung für die eigene Malerei, Endstation Galerie. Ich kenne wenige deutsche Comics, die ich unbedingt haben muss. Ausnahmen sind Leute, die sich – kaum überraschend – explizit als Comic-Künstler verstehen wie Reinhard Kleist oder Ulli Lust.

      tina toledoDanke Euch beiden für den interessanten Austausch. Ich werde mich mal um die französische Ausgabe bemühen.

      Ist leicht zu beziehen und lohnt sich, schreib dann mal etwas dazu!

      --

      If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
      #6453621  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      tina toledoDanke Euch beiden für den interessanten Austausch. Ich werde mich mal um die französische Ausgabe bemühen.

      Das Vergnügen ist ganz meinerseits!

      lathoIch lese Platthaus manchmal ganz gerne, muss aber auch nicht mit allem übereinstimmen, was er so schreibt. Er schreibt zu recht, dass Spiegelman nach Maus nicht mehr viel gemacht hat und eine DVD mit hunderten Seiten Making-of muss ich auch nicht haben. candy hat es im Neue-Comics-Thread ja ganz gut beschrieben: man muss auch Comics jenseits von Platthaus und der Dussmann-Theke beachten.
      Der Satz ist natürlich doof und Wasser auf Mikkos Mühlen, der mit Platthaus so gar nichts anfangen kann…

      Zum Glück muss ich meine Comic-Empfehlungen nicht aus der FAZ beziehen.

      MAUS ist Spiegelmans opus magnum. Ein Meisterwerk, unbestreitbar. Aber vor MAUS wurde Art Spiegelman von seinem Vater verfolgt, seit MAUS wird er von MAUS verfolgt und kommt da nicht mehr raus. Fluch und Segen zugleich. Das Making of MAUS ist aber trotzdem gut. Da zeigt sich jedoch auch, wie akribisch, fast besessen, AS daran gearbeitet hat und was es ihm bedeutete. Das ist nicht wiederholbar.

      (…) Und ja, in Deutschland und durch aus Deutschland Stammende entstanden zwar die modernen Comics, aber nach den Bilderbüchern zum Ende des 19. Jhds hin ist hierzulande nie viel gewesen. Die Comics/Bildgeschichten hatten immer den Ruch des Kindlichen, Unernsten, das passte nicht zum Wilhelminimus, nicht zu der verkrampften Zwischenkriegszeit, in der es auch in der Kultur immer um alles ging, natürlich nie zum Nationalsozialismus und auch nicht zur nüchtern-verklemmten postfaschistischen Nachkriegszeit. Auch heute, so habe ich das Gefühl, ist Comic nie Selbstzweck, immer Mittel. Viele der deutschen Comics sind von Künstlern, die eigentlich in Malerei und Illustration arbeiten. Das wäre ok, die Golden Age der US-Comics wurde von Illustratoren gefertigt, aber die konnten erzählen. Heute wirkt das oft steif und unbeholfen – so als wäre der Comic nur Werbung für die eigene Malerei, Endstation Galerie. Ich kenne wenige deutsche Comics, die ich unbedingt haben muss. Ausnahmen sind Leute, die sich – kaum überraschend – explizit als Comic-Künstler verstehen wie Reinhard Kleist oder Ulli Lust.

      Ein Freund von mir hat mal behauptet, das die Nazi-Zeit mit ihrer Kulturbarbarei auch jedwede deutsche Comic-Kultur zerstört hat, wie sie auch jedwede andere intelligente populäre Kultur zerstört hat – Film, Popmusik – und dass es – das ist jetzt mein Ergänzung – mindestens ein Generation gebraucht hat, um überhaupt wieder einen Neuanfang zu finden. Mein Gott, was für lange Zeitspannen!

      Ich bin ja mit Walt Disney’s Lustigen Taschenbüchern, ZACK!, Asterix und Tim & Struppi aufgewachsen und (s.o) habe dadurch eine entspannten Zugang zu Comics. Dazu brauche ich weder FAZ noch Dussmann-Theke. Im Gegenteil. Das ist mir suspekt. Aber das ist ein anderes Thema.

      Reinhard Kleist, ja (sein neuestes Buch liegt bei mir auf dem Tisch), mit Uli Lust kenne ich mich (noch) nicht aus, Mawil würde ich gerne in die Runde werfen, Fil, auch wenn er in einer anderen Liga spielt, OL als Cartoonist, sicher noch ein ganze Reihe andere … Doch, es gibt schon einiges Deutschsprachiges, was lesenwert ist.

      --

      „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
      #6453623  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      Friedrich[…]
      Zum Glück muss ich meine Comic-Empfehlungen nicht aus der FAZ beziehen.

      Naja, ist auch keine Schande, gelegentlich ist da schon ein guter Tipp dabei. Aber es ist halt sehr europäisch, deutsch, „kunstgewerblich“ (for lack of a better word), high brow. Ich hätte mir gewünscht, dass er mal etwas zu den neuen Image-Serien von Fraction, Brubaker oder Straczynski (Name aus Google kopiert) schreibt.

      Friedrich
      MAUS ist Spiegelmans opus magnum. Ein Meisterwerk, unbestreitbar. Aber vor MAUS wurde Art Spiegelman von seinem Vater verfolgt, seit MAUS wird er von MAUS verfolgt und kommt da nicht mehr raus. Fluch und Segen zugleich. Das Making of MAUS ist aber trotzdem gut. Da zeigt sich jedoch auch, wie akribisch, fast besessen, AS daran gearbeitet hat und was es ihm bedeutete. Das ist nicht wiederholbar.

      Gut formuliert. Ist es wahrscheinlich nicht, würde ich auch nicht von Spiegelman verlangen (solche Geschichten hat man, wenn, dann nur einmal in sich). Aber mal etwas anderes, vielleicht gar leichtes, das würde ich gerne von ihm lesen. Und nicht dauernd mit Erzählformen experimentierend, sondern erzählend.

      Friedrich
      Ein Freund von mir hat mal behauptet, das die Nazi-Zeit mit ihrer Kulturbarbarei auch jedwede deutsche Comic-Kultur zerstört hat, wie sie auch jedwede andere intelligente populäre Kultur zerstört hat – Film, Popmusik – und dass es – das ist jetzt mein Ergänzung – mindestens ein Generation gebraucht hat, um überhaupt wieder einen Neuanfang zu finden. Mein Gott, was für lange Zeitspannen!

      Deutsche Comics gab es auch vorher nicht viele, die (gute) Ausstellung „150 Jahre deutscher Comic“ konnte für die 20er eigentlich auch nur den Simplicissimus zeigen oder Otto Nückel erwähnen, beide nur mit Mühe unter das Comic-Banner zu bringen.
      Dagegen war die Nachkriegszeit mit Nick Knatterton oder dem absolut psychedelischen Jimmy das Gummipferd deutlich besser besetzt. Das dürfte auch dem US-Einfluss auf die bundesdeutsche Gesellschaft zuzuschreiben sein.

      Friedrich
      Ich bin ja mit Walt Disney’s Lustigen Taschenbüchern, ZACK!, Asterix und Tim & Struppi aufgewachsen und (s.o) habe dadurch eine entspannten Zugang zu Comics. Dazu brauche ich weder FAZ noch Dussmann-Theke. Im Gegenteil. Das ist mir suspekt. Aber das ist ein anderes Thema.

      Hatten wir im Zusammenhang Graphic Novel auch schon, klar, hier eine Ebene E- und U-Comics einziehen zu wollen ist dämlich (damit meine ich natürlich keinen hier im Forum).
      Bei mir war’s ähnlich: Zack (Buddy Longway!), Asterix (einen Comic, den auch meine Eltern lasen) und Disney-Comics – bevor ich lesen konnte, las meine Mutter die mir vor. Quasi zum Ausgleich schmiss sie dann in den 70ern meine DC-Superhelden-Comics weg – Neal Adams Batman habe ich trotzdem nie vergessen. Und Mad natürlich. In den 80ern rollte dann die Comic-Welle, vor allem von Carlsen unter A. Knigge an – Goldene Zeiten, ich möchte das Davor aber nicht missen.

      Friedrich
      Reinhard Kleist, ja (sein neuestes Buch liegt bei mir auf dem Tisch), mit Uli Lust kenne ich mich (noch) nicht aus, Mawil würde ich gerne in die Runde werfen, Fil, auch wenn er in einer anderen Liga spielt, OL als Cartoonist, sicher noch ein ganze Reihe andere … Doch, es gibt schon einiges Deutschsprachiges, was lesenwert ist.

      Reinhard Kleist Der Boxer betritt ähnliches Terrain wie Maus, ist aber epischer, action-reicher und auch nicht ganz so gut wie Maus, trotzdem sehr gut. Seinen neuen Comic über die äthiopische Läuferin habe ich nur online gelesen, den will ich mir noch kaufen. Über Ulli Lusts Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens (viel mehr kenne ich auch nicht) ist hier im Forum schon einiges geschrieben worden. Auf Mawil hatte ich immer noch keinen rechten Bock und Fil ist, vor allem wenn er so richtig Berlin ist, schon grandios komisch. Über OLs Buch habe ich neulich gelesen, aber das ist wohl kein Comic. Auch sonst kenne ich nur Cartoons oder Bilder von ihm. Im übrigen ist das alles ziemlich neu – vor 30 Jahren gab es kaum deutsche Comics.

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      If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
      #6453625  | PERMALINK

      friedrich

      Registriert seit: 28.06.2008

      Beiträge: 4,856

      Was ich noch loswerden wollte.

      Scott McCloud – The Sculptor (2015)

      ScottMcCloud, verdienter Comic-Theoretiker und Autor von UNDERSTANDING COMICS, hier mit 500 Seiten Fiction. Ich quäle mich seit Tagen – nein, Wochen! – durch diesen Schinken und bin immer noch nicht durch. Die Geschichte ist eigentlich schnell erzählt: Ehrgeiziger, aber erfolgloser junger Künstler macht einen deal mit dem Teufel. Um zu Ruhm zu gelangen verkauft er sein Leben. Er hat 200 Tage Zeit, doch dann kommt etwas dazwischen: Eine Frau. So weit, so gut.

      Nur walzt McCloud diese Geschichte so weit aus, führt so viele Themen (Kunst an sich, Kunst und Kommerz, Beziehungskisten, Familie, Freundschaft, Liebe, Leben, Tod …) und so viele Nebenfiguren (der böse Vermieter, der schwule Freund und Galeriemitarbeiter, der Kritiker, der reiche Kunstsammler und dessen Frau, die Ex-Lover (!) der weiblichen Hauptfigur und, und, und …) ein, dass sich die Geschichte behäbig und umständlich dahinzieht. Ich glaube, die Frau taucht nach 50 Seiten zum ersten mal auf, es dauert bestimmt noch mal 50 Seiten – nein: mehr als 100 Seiten! -, bis die zwei ein Paar werden und dann erfährt man über -zig Seiten alle möglichen Einzelheiten ihrer Vergangenheit, Beziehungsprobleme werden ausdiskutiert, über Kunst wird philosophiert usw. usf. bis es überhaupt mal wieder vorangeht und ich frage mich: Warum das alles? Und vor allem, warum muss alles explizit diskutiert werden, wo Comic doch zuvorderst eine visuelle Kunst ist? Gegen Ende nimmt die Geschichte etwas Fahrt auf, wenn die Zeit des Sculptors abzulaufen beginnt, aber bis dahin ist schon sehr viel Geduld beim Leser gefordert. Leider hat McCloud auch einen nur wenig individuellen Zeichenstil, findet aber auch keine Grafik, die auf die Geschichte und das Thema – immerhin geht es um einen Künstler – zugeschnitten ist. So wirkt SCULPTOR auf mich leider zu ambitioniert, zu lang, zu überladen und lässt mich emotional kalt. Schade!

      Reinhard Kleist – Der Traum von Olympia (2015)

      Die Geschichte der Langstreckenläuferin und Olympiateilnehmerin in Peking 2008 Samia Yusuf Omar, der als Frau in ihrer von Bürgerkrieg und islamistischen Terror zerrütteten Heimat Somalia das Training verboten wird, die aber voller Ehrgeiz, an den Olympischen Spielen 2012 in London teilzunehmen, aus ihrer Heimat flüchtet um nach Europa zu gelangen. Der Traum von Olympia ist ursprünglich seitenweise in der FAZ erschienen. Ein Thema also, das Aktualität hat und eine Geschichte, die stellvertretend für unzählige andere Flüchtlingschiksale steht. Das ist aber auch gleichzeitig Vor- und Nachteil des Buches. Denn Samia unterscheidet sich von anderen Flüchtlingen ausschließlich durch ihre Eigenschaft als Sportlerin mit einer – zumindest gewissen – Prominenz. Ansonsten erleidet sie das gleiche Flüchtlingsschicksal wie Tausende andere: Gewalt, Vertreibung, Trennung, Ausgeliefertsein an Schieber, Schmuggler und Betrüger, ständige Ungewissheit, Not und Lebensgefahr. Das stellt Reinhard Kleist auch alles dar, nur folgt eigentlich bei seiner Erzählung nur ein Ereignis auf das andere, ohne dass sich ein Spannungsbogen ergibt. Es ist mehr ein Bericht als eine Erzählung. Aus journalistischer Sicht mag das löblich sein, für ein Stück Comic-Literatur fehlt mir da aber etwas. Ich kann mich (mir? ;-)) des Eindrucks nicht erwehren, dass es hier eher darum geht, sich politisch korrekt und moralisch hochwertig mit dem Thema Flucht zu beschäftigen als darum, es in einer Geschichte gut zu erzählen. Das mag seitenweise in einer Tageszeitung abgedruckt funktionieren, als Buch lässt das aber zu wünschen übrig.

      Gut, vorherige Bücher von Kleist hatten einfach bessere Geschichten als Grundlage. Die großartige Johnny Cash-Biografie, die haarsträubende Geschichte von Der Boxer. Da gibt das unbestritten tragische und leider millionenfach in ähnlicher Form erlebte Schicksal von Samia Yusuf Omar, wie man es täglich in der Zeitung lesen und im Fernsehen sehen kann, für eine gute Erzählung nicht genug her. Oder RK macht nicht genug daraus.

      Zeichnerisch ist Reinhard Kleist hier Reinhard Kleist. Das ist okay, wirkt in diesem Falle für mich aber wie nicht viel mehr als routiniert. Ebenfalls schade!

      Ergänzung: Eine Freundin erzählte mir gerade am Telefon, dass sie auch vom Erzählstil des Buches, in ihren Augen eine bloße Dopplung von Bild und Text, enttäuscht ist. Da ist was dran. Die Geschichte ist im Medium Comic nicht gut erzählt. Da bleibt Reinhard Kleist hinter seinen Möglichkeiten zurück. Hoffen wir auf sein nächstes, richtiges Buch!

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      latho
      No pretty face

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      The Sculptor: Liegt noch anglesen hier. Von meinem Bruder, von dem ich das Buch ausgeliehen habe, hörte ich ähnliches zu McClouds Comic.

      Traum von Olympia: Immer noch nicht gekauft, immer noch nur: online gelesen. Und ja, die Geschichte hat nicht die Wucht, die Epik von Der Boxer.

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