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  • #445285  | PERMALINK

    latho
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    motörwolf@latho und nail

    Wenn man dem Deutschen Reich die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zuweist, müßte man dann nicht korrekterweise die Hauptschuld am Zweiten den Alliierten geben? Bzw. insbesondere den Russen? Denn ohne den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt (quasi der Blankoscheck für den Krieg) hätte die Geschichte ebenso anders laufen können wie ohne Wilhelms unselige Treueerklärung. Das aber empfände wohl nicht nur ich als ziemlich abwegig. Und fast genauso abwegig erscheint es mir, die Alleinschuld für den Ersten Weltkrieg bei den Deutschen zu sehen. Und der gerne verwendete Begriff Hauptschuld ist mir zu schwammig. Was ist denn die Hauptschuld in Prozent ausgedrückt?
    Ich muß allerdings einschränkend vielleicht noch erwähnen, daß ich mich zwar mit dem Ersten Weltkrieg durchaus auseinander gesetzt habe, aber die meisten Bücher, die ich gelesen habe, würden wohl als populärwissenschaftlich eingeordnet werden müssen.

    PS: Ich bin jetzt erst mal arbeiten, kann also erst heute Abend eure Antworten lesen.

    Will ich jetzt nicht allzu sehr vertiefen, aber: keine Alleinschuld, nein. Hauptschuld, ja. Wie genau die sich verteilen lässt, ist ja egal. Warum:
    – Hochaggressive Außenpolitik v.a. gegenüber Frankreich, aber auch anderen Staaten.
    – Planungen im Generalstab, denen zugrunde liegt, dass weitere Staaten in den Krieg eintreten (zB der Schlieffen-Plan, der laut Keegan noch nicht mal als Plan funktionierte). Dass England in den Krieg eintrat, lag definitiv an Deutschland.
    – Planungen von Kaiser und Generalsstab, die den Krieg förmlich herbeisehnten und auch so planten, wie es dann geschah (dazu zunächst nur ein Artikel von John Röhl).
    – Die carte blanche für die Österreicher, vor allem dem Knallkopf Hötzendorf. Es war ja bekannt und zu erwarten, dass die österreichischen Militärs den Krieg gegen Serbien auch auf das Risiko eines Krieges mit Russland wollten.

    Prozentual kann man das nicht ausdrücken (bei mir mit Bauchgefühl: 70%). Es sind halt die unseligen Schatten des Versailler Vertrages bzw. der Hetze gegen ihn, die heute nachwirken (du bist nicht gemeint).

    --

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    #445287  | PERMALINK

    shanks

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    ShanksMockingjay von Suzanne Collins

    Endlich zuende geschafft. Statt dem erwarteten epischen Finale gabs ein epic fail in allen Belangen.

    Jetzt:

    The Monk von Matthew Gregory Lewis

    --

    Es ist Breitling, scheiß auf deine Aldi-Uhr / Auf meinem nächstem Cover halt ich das Excalibur
    #445289  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

    Beiträge: 6,149

    @latho

    Das alles ist mir mehr oder weniger bekannt. Es ist aber in meinen Augen nicht damit getan nachzuweisen, was alles an der Politik des Deutschen Reiches falsch gewesen ist. Daß der Kaiser ein arroganter Hohlkopf unter vielen in Berlin war, geschenkt. Daß die deutsche Politik aggressiv bis zum geht nicht mehr war ebenso. Allerdings fehlt mir die Betrachtung der Gegenseite. Wie grundsätzlich anders war denn die Politik der Alliierten, daß man ihnen eine so viel geringere Schuld am Kriegsausbruch zubilligen könnte? Und warum wird Österreich nicht mehr Schuldanteil zugemutet?
    Verstehe mich nicht falsch, ich will die deutsche Schuld nicht kleinreden. Aber so zu tun, als sei der Rest Europas ein Tummelplatz pazifistischer Menschenfreunde gewesen geht doch wohl an der Realität vorbei. Nehmen wir England. Dessen gewaltige Flotte diente doch keinen anderen Zielen als denen, die sich auch der Kaiser in Berlin gesetzt hatte. Der Unterschied ist vielleicht, daß England sein Weltreich 1914 bereits hatte, während die Deutschen dieses erst schaffen wollten. Und das ist nur ein Punkt.

    Prozentual ist die Kriegsschuld wohl letztlich wirklich nicht zu fassen. Vielleicht wäre das hiesige Sterne-System geeigneter.

    --

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    #445291  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,904

    motörwolf@latho

    Das alles ist mir mehr oder weniger bekannt. Es ist aber in meinen Augen nicht damit getan nachzuweisen, was alles an der Politik des Deutschen Reiches falsch gewesen ist. Daß der Kaiser ein arroganter Hohlkopf unter vielen in Berlin war, geschenkt. Daß die deutsche Politik aggressiv bis zum geht nicht mehr war ebenso. Allerdings fehlt mir die Betrachtung der Gegenseite. Wie grundsätzlich anders war denn die Politik der Alliierten, daß man ihnen eine so viel geringere Schuld am Kriegsausbruch zubilligen könnte? Und warum wird Österreich nicht mehr Schuldanteil zugemutet?
    Verstehe mich nicht falsch, ich will die deutsche Schuld nicht kleinreden. Aber so zu tun, als sei der Rest Europas ein Tummelplatz pazifistischer Menschenfreunde gewesen geht doch wohl an der Realität vorbei. Nehmen wir England. Dessen gewaltige Flotte diente doch keinen anderen Zielen als denen, die sich auch der Kaiser in Berlin gesetzt hatte. Der Unterschied ist vielleicht, daß England sein Weltreich 1914 bereits hatte, während die Deutschen dieses erst schaffen wollten. Und das ist nur ein Punkt.

    Prozentual ist die Kriegsschuld wohl letztlich wirklich nicht zu fassen. Vielleicht wäre das hiesige Sterne-System geeigneter.

    Das die anderen Nationen nicht auch Schuld waren, will ich nicht bestreiten (Löwenanteile vor allem bei Serbien und Österreich), ein „Tummelplatz pazifistischer Menschenfreunde“ war das nicht, habe ich aber auch nie behauptet.
    Die englische Flotte diente primär zur Verteidigung der Insel, sekundär zur Verteidigung der Handels- und Transportwege in die Kolonien, tertiär als Angriffswaffe (aber natürlich beschränkt). Die Hochrüstung der deutschen Flotte war vor allem eines: eine Provokation und eine Bedrohung Englands. „Wir zun damit nichts und wollen nur spielen“ gibt es in der Politik nicht und damals gleich zweimal nicht.
    Zu Österreich: Kakanien hätte nie den Krieg gegen Serbien begonnen (also ein „Ultimatum“ gestellt), wäre es nicht sicher gewesen, dass Deutschland hinter ihm stehen würde. Man hätte also in Wien anrufen können und Hötzendorf mitteilen können, dass er nicht mit Deutschland rechnen soll – de facto wäre Wien dann gezwungen gewesen, die Sache abzublasen – dann hätte auch der Krieg nicht statt gefunden. Statt dessen hielt man Wien wohlwollend hin, lies die österreichische Armee aufmarschieren und äußerte sich selber vornehm nicht bis unter der Hand wohlwollend. Heute weiß man ja auch warum – die Aggression gegen Serbien war willkommener Anlass, den Krieg zu beginnen. Ich müsste das nochmal nachlesen, aber u.a. hatten die Militärs wohl Angst das Frankreich Deutschland beim Bevölkerungswachstum (bedeutet Kanonenfutter) überholt. Und England hatte man nach dem Überfall auf Belgien gegen sich – auch das kam nicht überraschend. Es wird gerne geschrieben, Deutschland (und die anderen europäischen Mächte) wären in den Krieg „hineingeschlittert“ – für Deutschland stimmt das nicht, da gab es lange Planungen.

    Edit: und Sternebewertungen gibt es für die Handelnden nur eine mögliche: *

    --

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    #445293  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

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    latho- Planungen im Generalstab, denen zugrunde liegt, dass weitere Staaten in den Krieg eintreten (zB der Schlieffen-Plan, der laut Keegan noch nicht mal als Plan funktionierte). Dass England in den Krieg eintrat, lag definitiv an Deutschland.

    Dazu gab’s in der SZ von gestern eine ganze Seite (die Geschichte-Seite, zweitletzte des Wochenend-Teils).

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #445295  | PERMALINK

    the-imposter
    na gut

    Registriert seit: 05.04.2005

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    gypsy tail windDazu gab’s in der SZ von gestern eine ganze Seite (die Geschichte-Seite, zweitletzte des Wochenend-Teils).

    müsste das hier sein

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    out of the blue
    #445297  | PERMALINK

    latho
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    gypsy tail windDazu gab’s in der SZ von gestern eine ganze Seite (die Geschichte-Seite, zweitletzte des Wochenend-Teils).

    Die habe ich nicht. Ich bezog mich da auf Keegan, der berichtet, dass Schlieffen schon bei der Planung seines Überfalls auf Belgien einige Divisionen fehlten und der Plan nicht aufgehen konnte. Hat man 1914 trotzdem angewandt, der Plan scheiterte und die Engländer waren im Krieg.

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    #445299  | PERMALINK

    latho
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    The Impostermüsste das hier sein

    Danke, gelesen. Finde den Artikel schwach. Geschwurbel, dass an gesicherten Erkenntnissen vorbei geht. „Irgendwie sind wir alle schuld“.

    --

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    #445301  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

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    Nein, der Artikel heisst „In düsterer Nacht“ und ist von Hubert Wetzel (SZ Nr. 205, Sa/So 5./6. September 2014, Wochenende S. 9 da steht vor dem 9 noch ein kleines „V2“, keine Ahnung, was das heisst). Scheint nicht online zu sein, Keegan wird da kurz erwähnt, aber diese Dinge landen bei mir momentan auf dem Stapel zur späteren Lektüre, ich überflog ihn nicht mal ganz.

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    #445303  | PERMALINK

    motoerwolf

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    lathoDie habe ich nicht. Ich bezog mich da auf Keegan, der berichtet, dass Schlieffen schon bei der Planung seines Überfalls auf Belgien einige Divisionen fehlten und der Plan nicht aufgehen konnte. Hat man 1914 trotzdem angewandt, der Plan scheiterte und die Engländer waren im Krieg.

    Der Plan scheiterte m.E. weniger, weil er prinzipiell militärisch schlecht war, sondern eher, weil er schlecht umgesetzt wurde. Das wiederum lag z.B. an der Struktur des deutschen Heeres, bei dem grade an den Spitzenpositionen nicht die Qualifikation für die Berufung ins Amt maßgeblich war. Dazu kommt dann noch eine fatal schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Armeen. Für mehr Details müßte ich allerdings noch mal Wolfgang Pauls Entscheidung im September. Das Wunder an der Marne 1914 lesen.

    --

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    #445305  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

    Beiträge: 6,149

    Nächste Frage: Wenn der in #8891 von latho verlinkte Artikel von Röhl richtig ist, was bedeutet das dann für heute? Wäre nicht die Konsequenz daraus, daß man jetzt Russland militärisch bekämpfen müßte wegen dessen Ukraine-Politik?

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    #445307  | PERMALINK

    latho
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    motörwolfDer Plan scheiterte m.E. weniger, weil er prinzipiell militärisch schlecht war, sondern eher, weil er schlecht umgesetzt wurde. Das wiederum lag z.B. an der Struktur des deutschen Heeres, bei dem grade an den Spitzenpositionen nicht die Qualifikation für die Berufung ins Amt maßgeblich war. Dazu kommt dann noch eine fatal schlechte Kommunikation zwischen den einzelnen Armeen. Für mehr Details müßte ich allerdings noch mal Wolfgang Pauls Entscheidung im September. Das Wunder an der Marne 1914 lesen.

    Nein, der Plan selber hatte schon Fehler, Schlieffen wusste das auch und war nicht glücklich (Keegan, The First World War, S.25).
    Hier noch eine Einschätzung der Juli-Krise.

    --

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    #445309  | PERMALINK

    latho
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    motörwolfNächste Frage: Wenn der in #8891 von latho verlinkte Artikel von Röhl richtig ist, was bedeutet das dann für heute? Wäre nicht die Konsequenz daraus, daß man jetzt Russland militärisch bekämpfen müßte wegen dessen Ukraine-Politik?

    Zu spezifisch, Putin-Ukraine-Russland sind für mich eine Frage von appeasement (nicht negativ gemeint) und containment. Sollten wir aber im entsprechenden Thread diskutieren.

    --

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    #445311  | PERMALINK

    motoerwolf

    Registriert seit: 25.10.2006

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    lathoNein, der Plan selber hatte schon Fehler, Schlieffen wusste das auch und war nicht glücklich (Keegan, The First World War, S.25).
    Hier noch eine Einschätzung der Juli-Krise.

    Von Keegan habe ich nur Der Amerikanische Bürgerkrieg gelesen, von dessen Qualität ich nicht beeindruckt war (allerdings ist da u.U. auch die Übersetzung mitschuldig). Wenn sein Buch zum Ersten Weltkrieg ähnlich gut ist, ist es nicht unbedingt die beste Quelle.

    Für heute ist bei mir erst mal Feierabend, morgen können wir gerne weiter diskutieren. Spannend genug ist das Thema ja!

    --

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    #445313  | PERMALINK

    brundlefly

    Registriert seit: 27.12.2008

    Beiträge: 4,766

    Die Postings kann man doch einfach in talking heads Thread im politischen Salon verschieben. War wohl eine self-fulfilling prophecy seinerseits.

    lathoIch müsste das nochmal nachlesen, aber u.a. hatten die Militärs wohl Angst das Frankreich Deutschland beim Bevölkerungswachstum (bedeutet Kanonenfutter) überholt.

    Erstens das, aber laut dem Keegan-Buch wurde die „Torschlusspanik“ der deutschen Militärs noch durch die russische Heeresreform, die damals im Gang war, verstärkt. Da war es vor allem Moltke, der eine willkommene Möglichkeit sah, den Krieg gegen Russland möglichst noch vor Beendigung der Modernisierung der russischen Armee zu führen.

    --

    http://hyphish.wordpress.com "Every generation has its one defining moment. We are yours."
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