The Velvet Underground: I’m Waiting For The Man

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    otis
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    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    The Velvet Underground: I’m Waiting For The Man

    Herbst 1969. Ich war sechzehn, Primaner und saß allein vor dem Fernseher. Ein Film, der Furore gemacht hatte in den Medien, sollte gesendet werden. Ein deutscher Undergroundfilm. Mittlerweile hatte ich z.B. Warhols Flesh und den einen oder anderen Godard gesehen und fühlte mich entsprechend gewappnet.
    Es ging los mit einer Musik, wie ich sie bis dahin noch nicht gehört hatte. The Velvet Underground: I’m Waiting For The Man. Hartnäckig, kalt, emotionslos, gnadenlos, unglaublich. Einer solchen Musik konnte filmisch nur Großartiges folgen, dessen war ich sicher. Die nächsten anderthalb Stunden waren dann auch mehr, als ich mir je hätte träumen lassen. Es schien mir ein Stück meines Seelenlebens verfilmt.
    Peter Zadeks: Ich küsse Ihre Hand, Madame.
    Der Film zeigte in neuen Bildern, Schnitten und Einstellungen Szenen aus dem Leben des Primaners Rull an einem Bremer Gymnasium. Eines Freigeistes, der sich nicht einpassen will; weder in die bestehende Ordnung sich fügen, noch vom Unangepassten sich vereinnahmen lassen will. Bis er schließlich seinem Schulleben kurz vor dem Abitur ein Ende bereitet, indem er ein großes Hakenkreuz an die Schulwand malt und damit natürlich für entsprechende Empörung sorgt.
    Die lange Fahrt Rulls mit seinem klapprigen Moped zu diesem Höhepunkt des Filmes wird wieder mit der Eingangsmusik von Velvet Underground untermalt. Und nun öffnete sie sich mir, jetzt schien sie mir so richtig wie, musikalisch gesehen, kaum jemals etwas zuvor. Bis zu dieser Szene hatte das, mir damals recht geläufige, Flower King Of Flies von The Nice leitmotivisch einige Szenen aus dem Leben der aufmüpfigen Jugendlichen untermalt. Das war Alltag, das war der Puls der Zeit, so tickten wir, das war Common Sense.
    Der verzweifelte letzte Akt des Schülers Rull aber war out of the common. Und er schien einzig richtig und in seiner endgültigen Konsequenz notwendig. Er musste handeln. Er war stellvertretend für mich ausgebrochen.
    Und doch war das nur die austauschbare filmische Oberfläche, wichtiger und tiefer und lebendiger war die Musik. Sie hatte dieses Lebensgefühl derart zwingend auf den Punkt gebracht, dass man wieder Luft bekam in dieser Welt. Sie drückte eine Wahrheit aus, derer man sich selbst noch kaum bewusst war, schaffte es, Spannungen einen Ausdruck zu verleihen, dass allein das Hören stark machte und stolz. Sie war Rechtfertigung des eigenen verworrenen jungen Ich und gleichzeitig endgültiges Verständnis dafür.
    Nie würde ich Hakenkreuze schmieren wollen, dessen war ich mir sicher, aber Velvet Undergrounds Musik, der scheppernde Sound, Reeds Gesang, waren mehr als Ersatz. Wenn es eine solche Musik gab, die keinerlei Kompromisse machte, die nirgendwo gefallen wollte, die jede Anbiederung an den Hörer kategorisch auszuschließen schien, die dennoch das Ohr süchtig machte – ganz im Gegensatz etwa zu Free Jazz oder Zappa oder was einem sonst zu jener Zeit an Unerhörtem zu Ohren gekommen sein mochte – dann konnte man in der Welt so ganz falsch nicht sein. Mein Glaube an die Kraft der Pop-Musik begann wieder zu wachsen, nachdem er zwischenzeitig reichlich geschwunden war.
    Der Film endet musikalisch mit dem berüchtigten Freddy-Song: WIR. Zadek nimmt sich Zeit, er spielt ihn quälend lang aus.
    Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? WIR
    Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? WIR!
    Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? WIR! WIR! WIR!

    PS: Einige Zeit später entdeckte ich Folk und Country, entdeckte, dass Musik keineswegs immer radikal sein muss, um richtig zu sein. Oder umgekehrt, man muss kein Rull sein, um überleben zu können.

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    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Interessante Geschichte, otis. Ich kenne den Film, hab ihn aber erst später irgendwann mal im TV gesehen. Und die Musik von VU entdeckte ich en passant im Zusammenhang mit meiner Forschung nach Sixties Garage Punk, was wiederum eine Folge des Erscheinens der Nuggets DoLP war. An die Musik in dem Film kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Jetzt, da ich Deine Schilderung lese, dämmert etwas ganz hinten. Aber seinerzeit hat das auf mich wohl keinen großen Eindruck gemacht. Der Film als solcher schon. Aber ich sah ihn wie gesagt erst viel später. Wann genau, weiß ich nicht mehr.

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    Twang-Bang-Wah-Wah-Zoing! - Die nächste Guitars Galore Rundfunk Übertragung ist am Donnerstag, 19. September 2019 von 20-21 Uhr auf der Berliner UKW Frequenz 91,0 Mhz, im Berliner Kabel 92,6 Mhz oder als Livestream über www.alex-berlin.de mit neuen Schallplatten und Konzert Tipps! - Die nächste Guitars Galore Sendung auf radio stone.fm ist am Dienstag, 17. September 2019 von 20 - 21 Uhr mit US Garage & Psychedelic Sounds der Sixties!
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    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,899

    Schön, schön, schön!

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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